Toleranz in Thailand?

Die Thais sind durchweg tolerant!

Diese Behauptung wird wahrscheinlich all jene irritieren, die sich in der jüngeren Geschichte dieses Landes auskennen, die sich erinnern an die Demonstrationen in den siebziger und neunziger Jahren, als die Ordnungskräfte - Polizei und Militärs – mit Übergriffen, Massakern, Morden, Folterungen und Erschießungen dagegen angingen. Aber auch, wie die "Roten" und die "Gelben" aufeinander einprügelten.

Das sollte Toleranz sein?

Natürlich nicht. Ein nervenschwacher, überforderter Militärchef gab den Befehl, und die ebenso überforderten Soldaten und Rekruten, die aussahen wie Engel in Uniformen, gehorchten.

Das war alles andere als ein tolerantes Verhalten gegenüber Protestierenden. Und trotzdem ist es kein Widerspruch, denn Thais sind nicht nur tolerant, sie sind auch zum Gehorsam gegenüber Eltern, Lehrern und Vorgesetzten erzogen worden. Einem Befehl von oben würden die meisten von ihnen wahrscheinlich blind gehorchen.

So konnte beispielsweise der damalige Premierminister Thaksin Shinawatra das Land in kürzester Weise von Drogenhändlern "befreien", indem er durch hartes Durchgreifen und zahlreichen Razzien unzählige Drogenhändler verhaften liess.

Und die jüngsten Demonstrationen in Bangkok: Fast bis zum Schluss sind sie friedlich verlaufen, nicht zuletzt wegen der Toleranz der Regierung. Welches Regime auf der Welt hätte sich das Katz- und Maus-Spiel der Rothemden wohl über Monate angesehen, ohne dem Treiben ein gewaltsames Ende zu machen? Welche Regierung hätte solange tatenlos zugeschaut, während der UDD-Fernsehsender der Opposition das Volk täglich 24-Stunden lang mit Parolen aufgehetzt hat? Carlos fällt kein anderes Land ein, das soviel Langmut gezeigt hätte.

Mit der Toleranz in der Welt ist es wahrlich nicht weit bestellt:

  • Im Irak werden Christen verbrannt.
  • In China werden demokratische Aktivisten hingerichtet.
  • In Russland werden liberale Journalisten erschossen.

Die Liste der Intoleranz hängt wie ein Damoklesschwert über dem Frieden in der Welt. Das jüngste Zeugnis für Carlos: Die Mehrheit der Schweizer lehnt den Bau von Moscheen in ihrem Land ab. Dafür erhalten sie von der halben Welt Beifall, denn diese fragt: Wo sind denn unsere christlichen Kirchen in euren islamischen Ländern?

Richtig gefragt, aber trotzdem falsch. Denn bei uns gilt g r u n d g e s e t z l i c h (!) das Recht auf Religionsfreiheit. Wenn wir Muslime zum Arbeiten in unser Land holen, wenn wir sie sogar zu Bundesbürgern machen, dann müssen sie auch das Recht haben, ihre Religion bei uns auszuüben.

Da lobe ich mir Thailand!

Neben der Überzahl von Buddhisten leben hier Muslime, Christen, Hindus, Sikhs und zig andere Religionsgemeinschaften zumeist friedlich nebeneinander. Warum?

Das hat wohl in erster Linie mit dem friedlichen Ansatz des Buddhismus zu tun, der im Gegensatz zum Islam und zum Christentum nicht darauf ausgerichtet ist, andere Menschen zu missionieren. Der Buddhismus kennt keine Götter, sondern nur die Lehre des Erhabenen, der ihnen rät, weltlichen Gelüsten zu entsagen, Gutes zu tun und das Nirwana anzustreben, das Nichts, wo es keine Ängste mehr gibt, keine Nöte, keine Schmerzen und keine Wünsche.

Immer mehr Menschen in aller Welt fühlen sich von dieser toleranten Lehre angezogen. Überall entstehen Zentren, wo Menschen sich treffen, um dieser Philosophie zu folgen. Der Dalai Lama reist umher und predigt Toleranz, Gewaltverzicht und die Hoffnung auf Frieden hier und im Jenseits.

Solange es um den Frieden im Diesseits geht, erfüllen die allermeisten Thais eine Vorbildfunktion. Hier darf jeder glauben was er will, solange er andere nicht in ihrem Glauben einschränkt. Das ist urdemokratisches Gedankengut und einer der Gründe, warum Carlos sich hier wohl fühlt. Aber Toleranz beschränkt sich ja nicht nur auf Religion.

Die freundliche Art thailändischer Gelassenheit kann sich allerdings in Sekunden ändern, wenn man Thais in eine Situation bringt, in der sie ihr Gesicht verlieren können. Dann können sie ausrasten, ihre Hemmungen verlieren.

Millionen Touristen aus aller Welt kommen jedes Jahr nach Thailand, mit den unterschiedlichsten Ansätzen ihrer Kultur.

Bis heute ist Carlos nicht aufgefallen, dass dies zu irgendwelchen schwerwiegenden Problemen führte. Wenn alte Farangs mit jungen Thai-Mädchen händchenhaltend durch die Walking-Street gehen, wo ist das Problem? Schwule Farangs werden hier ebenso akzeptiert wie schwule Thai-Söhne, die mit ihnen ein Verhältnis eingehen. Homosexualität war in diesem Land – im Gegensatz zum christlichen Abendland – noch nie verboten. Ebenso wenig wie die vielen Lady-Boys, die hier Kathoeys genannt werden.

Wenn die Thais Farangs sehen, die sich ungebührlich verhalten, dann schauen sie einfach weg und denken sich ihren Teil. Ob am Strand, im Restaurant oder auf der Straße: Wer sich daneben benimmt, hat sein Gesicht verloren, ist nicht mehr existent, wird nicht mehr beachtet.

Die meisten Farangs bemerken das gar nicht. Sie stolpern durch den exotischen Thai-Dschungel auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück – oft ohne die geringste Ahnung von thailändischer Kultur oder asiatischer Etikette.

Abenteuer und Liebe in Thailand

Und wenn sie dann heimfahren, zurück an ihre Stammtische, dann schwadronieren sie über ihre Erlebnisse, über ihre Abenteuer, über die tolle Liebe in Thailand. Und die Allerwenigsten haben begriffen, dass sie ihre erotischen Episoden der toleranten Einstellung ihrer thailändischen Partnerinnen oder Partner zu verdanken haben. Die haben ja nichts anderes gemacht als ihren "Job", und vieles "ertragen", denn nichts anderes bedeutet das Wort Toleranz. Oder sind Sie der Meinung, dass Carlos den Begriff der Toleranz hier etwa überdehnt?

Aber wenn diese jungen Thais dann irgendwann zurückkommen in ihr Dorf, im besten Fall mit Gold behängt oder mit Geld für die Familie, dann ist das für die gesamte Dorfgemeinschaft ein überzeugendes Argument dafür, dass sie gute Menschen sind , und alle werden sie dafür achten und ehren.

Carlos meint: Auch das ist Toleranz in Thailand.

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