Thailand Mon Amour

Sein oder Nichtsein

Eine Stadt, die etwas auf sich hält, hat natürlich auch einen Stadtneurotiker. Da die Einheimischen in dieser Hinsicht eher diskret sind und ihre auffälligen Zeitgenossen im Auge behalten, fällt dieser Part in Hua Hin einem Farang zu. Er lebt in einem Quartier, das früher als ruhig und friedlich in den Immo-Gazetten angepriesen wurde. Das war sicher so, bis Felix kam, ein Mensch mit sicherem Gespür für Klamauk jeder Art.

Er fuhr seine Lautsprecher der Marke „Inferno“ auf und gestattete den Anwohnern großzügig, sich an seinen Konzerten zu erfreuen. Da war jetzt echt etwas los, denn er brachte den „Highway to hell“ in die guten Stuben. Dabei saß er kettenrauchend in seiner Veranda auf einer Art Thron in bester Gesellschaft von ein paar Flaschen Wein, meist leeren Flaschen natürlich. „Alles ist Schall und Rauch.“ Vielleicht sah er sich als Philosophen, der jedermann ungebeten diese Heilsbotschaft mit kakophonischem Eifer unterjubeln wollte.

Da viele der betagten Rentner sowieso schwerhörig sind, dauerte es eine Weile, bis sich Widerstand regte und wir das zweifelhafte Vergnügen seiner Bekanntschaft machten, denn die Besitzerin des Hauses wandte sich hilfesuchend an meine Frau mit der Bitte, mich mit Felix in Verbindung zu setzen, um zu vermitteln. Sie dachte wohl, einem Schweizer kann nur ein Schweizer helfen, frei nach dem homöopathischen Prinzip, Gleiches mit Gleichem zu bekämpfen.

Herzattacke auf dem „Highway to hell“

Als wir ihn besuchten, war die Lage bereits hoffnungslos eskaliert. Der Nachbar aus dem hohen Norden Europas beschuldigte ihn, Drogen zu nehmen und zeigte ihn an. Die Polizei fand nichts und bevor der erbos-te Wikinger seine Morddrohungen in die Tat umsetzen konnte, ereilte ihn selbst das Schicksal. Er starb unfriedlich an einer Herzattacke. Nahm er den „Highway to hell“ zu wörtlich?

„Was kann ich da dafür?“ fragte Felix mit kindlicher Unschuld und schnippte die Asche von der Zigarette, womit er wohl sagen wollte: Friede seiner Asche.

Irgendwann schien auch Friede in seiner Seele einzukehren. Der Grund: Er hatte via Internet Bekanntschaft mit einer jungen Chinesin gemacht. Er zeigte mir ihr Foto und ich nickte anerkennend. Eine sympathische junge Frau blickte da lachend in die Kamera.

Wahrscheinlich Fake News, dachte ich. Was will die mit Felix? Was hat er ihr bloß erzählt? Dass er ein Vermögen im Schnapshandel gemacht habe? Oder dass er Direktor von Philip Morris gewesen sei und jetzt jemand suche, der mit ihm die Millionen durchbringe? Ich klopfte ihm nach einem Besuch auf die Schultern und dachte: Träum weiter alter Schwerenöter.

Zwei Wochen später rief er mich an und lud zum Dinner. Seine Stimme hatte einen anderen Klang, es hörte sich aufgeräumt und klarer an, keine Spur mehr von seinem schleppenden Gelalle von früher.

„Sie ist da,“ sagte er.

„Wer ist da?“, fragte ich zurück. „Die Polizei? Wollen sie dich wieder ausweisen?“

Er lachte.

„Nein, Jin, meine Freundin. Ich will sie euch vorstellen.“

Wir fuhren also hin. Der Müll auf der Veranda war weg, statt zehn leerer Weinflaschen stand nur noch eine da. Felix saß auf seinem Thron und grinste. Er hatte ein weißes Hemd an und war rasiert. Er war zwar immer noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, als er sich zur Begrüßung erhob, aber man musste nicht mehr fürchten, dass er gleich der Länge nach hinschlug.

Auch das Wohnzimmer war jetzt zum Wohnen da. Der Teppich, der früher als Aschenbecher diente, war nicht mehr grau, sondern himmelblau. Das Sofa war fort. Wenn es nicht die Kakerlaken fortgetragen hatten, dann ein Mensch mit Sinn für Wohnlichkeit, also nicht Felix. Das war die junge Chinesin, die jetzt aus dem Halbdunkel des Korridors auf uns zukam. Sie sah tatsächlich dem Foto ähnlich. Wir sahen aus wie zwei Fragezeichen.

Jin pendelte zwischen China und Thailand hin und her. Felix war auf Wolke Sieben, brachte ihr nach eigener Aussage das Schwimmen bei – er saß dabei am Poolrand auf einem Stuhl und machte es ihr vor, beim Trockenschwimmen war er in seinem Element. Sie begriff es aber auch so. Dann schenkte er ihr ein Fahrrad, mit welchem sie die Stadt erkundigte und die Einkäufe erledigte. Sie waren ein ungleiches Paar, aber das fällt in Hua Hin niemand auf, die sind hier in der Mehrheit.

Eines Tages rief er mich an und schimpfte über die Schweizer Botschaft. Der Grund: Er wollte heiraten.

„Niemand nimmt dort den Anruf an, was machen die den ganzen Tag? Wozu bezahle ich Steuern?“

Na ja, das mit den Steuern stimmt natürlich, dachte ich, wenn auch nur Alkoholsteuern. Als er dort anzurufen versuchte, klingelten vermutlich die Alarmglocken. Sie mussten ihn schon einmal ausschaffen. Er hatte den Pass verloren und vier Monate „overstay“. Das kommt hier gleich nach der Majestätsbeleidigung.

Sie bewegte sich um kein Jota

Aus der Hochzeit wurde nichts. Jin kam plötzlich nicht mehr. Sie teilte es ihm am Telefon mit und meinte, sie müsse jetzt eine Ausbildung machen und dankte für die schöne Zeit. Felix tobte, flehte und drohte. Er rief sie über WhatsApp an und zeigte ihr per Video, wie er sich in der Küche mit einem Messer die Pulsadern aufschnitt – aufritzte, denn es war Showtime. Er lieferte eine oscarreife schauspielerische Leis­tung ab, aber es half nichts. Jin bewegte sich kein Jota aus dem Reich der Mitte.

Er rief mich jeden Tag an, war betrunkener denn je und sprach andauernd von Selbstmord. „Ich vermache dir all meinen Besitz,“ lallte er.

Ich empfand dies als Bedrohung und versuchte, ihn nun erst recht zu überzeugen, dass ein Verbleiben im Diesseits ja auch seinen Reiz habe, zum Beispiel mit einer neuen Bekanntschaft. „Geh ins Internet... in China gibts 600 Millionen Frauen… nur eine von ihnen hat dir einen Korb gegeben...“

Dann hörte ich ein paar Tage nichts mehr von ihm. Vielleicht war er damit beschäftigt, ein paar Millionen Chinesinnen zu kontaktieren...

Nach einer Woche war der größte Kummer vorüber. Nach zwei Wochen kam ein Anruf.

Ich: „Hallo Felix, rufst du aus dem Nirwana an, wie schmeckt der Chianti dort drüben..?“

Er lachte und sagte: „Ich habe in einer Bar eine Thai kennengelernt... sie kommt heute Abend vorbei…“

Jetzt habe ich seit einer Woche nichts mehr von ihm gehört.

„Holz alänge.“


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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