Carpe diem

Kein Tag wie jeder andere. Es war zwar der Dreizehnte, aber nicht Freitag. Ich wurde am frühen Morgen durch ein ungewöhnliches Geräusch aus dem Garten geweckt: Tock, tock, tack., tack... Bauarbeiten? Das müsste ich eigentlich wissen! Ich schaute aus dem Fenster und alles war klar: Ta, mein Thai-Schwiegervater, schlug mit dem Stiel des großen Besens im Eingangsbereich der Zufahrt auf den Boden, was aus meiner Distanz gesehen keinen Sinn machte. Wollte er sich bei irgendwelchen Antipoden auf der anderen Seite des Planeten bemerkbar machen? Mit welcher Botschaft? Reisbauern aller Länder vereinigt euch…?

Ich trat auf die Veranda und sah nun den Grund für seine ungewöhnliche Morgengymnastik: Eine grüne Schlange – oder was von ihr übriggeblieben war – lag in den letzten Zuckungen. Hätte man sie wieder zusammengesetzt, wäre ungefähr ein Meter fünfzig Länge dabei herausgekommen, abzüglich meiner Lust zu Übertreibungen war sie wohl gute „Einszwanzig“ lang.

Ein sabbernder Cerberus im Garten

Als ich nähertrat, hörte ich ihn irgendetwas murmeln. Es klang aber nicht wie eine Verwünschung oder ein Fluch, sondern eher wie ein Selbstgespräch ohne jegliche Emotion, so wie jemand feststellt, dass der Tag auch schon lustiger begonnen habe. Vielleicht erledigt er das nächste Mal ein Ungeheuer mit einer Pappnase im Gesicht und hat dann mehr Grund zu lachen. Die Schlange entsorgte er dann umstandslos im Abfall. Da Mülltrennung in Thailand immer noch kein Thema ist, brauchte er auch nicht lange nach einem Kübel mit der Aufschrift: Schlangen, Skorpione und Diktatoren zu suchen.

Damit hatte der Tag schwungvoll begonnen und strebte weiter nach Höhepunkten. Ich hatte es mir gerade im Liegestuhl gemütlich gemacht und war mit geschlossenen Augen in die Transzendenz abgedriftet, als mich ein beißender Geruch daran erinnerte, wie der Tag begonnen hatte: mit unerwünschtem Besuch. Als ich die Augen zwar neugierig, aber widerwillig öffnete, sah ich in den bodenlosen Schlund eines sabbernden Cerberus, der von freundlicher-en Menschen auch als Hund bezeichnet wird, und der es fertiggebracht hatte, von unserem Nachbarn (Psst!) geliebt zu werden. Bully war in der Folge derart inspiriert, dass er diese Liebe unbedingt weitergeben wollte und machte sich eben daran, mit seiner Zunge über mein Gesicht zu wischen und es hingebungsvoll einzuspeicheln. Liebe kennt halt keine Grenzen und wer könnte schon einen Bully zurückweisen, immerhin überragte er mich im Liegestuhl um einen Hundskopf und die Reißzähne waren sicher auch lieb, aber ich hatte keine Lust herauszufinden, ob sie auch „immer“ lieb sind.

Als der Nachbar ihn endlich zurückrief, hatte er mich soweit zugehechelt, dass ich wieder einigermaßen tro­cken war. Auf dem Weg zur Dusche versuchte ich meiner Frau aus dem Weg zu gehen, um ihr keinen Abschiedskuss geben zu müssen, bevor sie zur Arbeit fährt. Immerhin bestand das Risiko, dass ich sie mit dem „Virus bullynensis“ anstecken würde und sie am Abend auch mit Reißzähnen nachhause kommen würde.

Schlange und Hund hatte ich hinter mir, aber das konnte doch nicht alles sein, argwöhnte ich. Wenn ein Tag einmal so begonnen hat, schaukeln sich die Überraschungen gerne hoch, auch aller schaurigen Dinge sind drei. Vermutlich hockt irgendwo ein Drache, der mir einheizen will. Die Schwiegermutter kann es aber nicht sein – sie kann nicht fliegen. Sorry „Jai,“ war nur ein kleiner Scherz!

Der Drache ist gelandet

Um das Schicksal nicht allzu sehr herauszufordern, beschloss ich, das traute Heim zu verlassen und mich Downtown Hua Hin in Sicherheit zu bringen. Der gestartete Rasenmäher des Nachbarn gab wie zur Bestätigung das Signal dazu. Ich wollte mich eben auf den Sattel schwingen und entdeckte im letzten Augenblick, dass er schon besetzt war: Der Drache war gelandet. Ein fetter, brandschwarzer Mix aus Gecko und Waran hockte da und sah mich an, wie jemand, der schon seit Generationen dahockt und sich fragt, was man eigentlich von ihm will. Mit anderen Worten: er saß ziemlich fest im Sattel, denn auch energisches Rütteln half vorerst nicht. Der Drache klammerte. Erst als ich ihm gut zusprach und ein bisschen anstupste, bewegte er sich millimeterweise rückwärts, wie jemand, der zwar weiß, dass die Sache verloren ist, aber immerhin das Gesicht wahren will, ein thailändischer Drache eben. Dann seilte er sich über seinen eigenen langen Schwanz gewissermaßen selbst ab, aber nicht ohne mir vorher noch einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. Der Abschied fiel mir beinahe schwer und ich schwang mich mit einem Anflug von schlechtem Gewissen auf den freigewordenen Sitz.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Khun Resjek 16.06.19 19:34
Antw. v. Khun Resjek:
Kolumnen schreiben ist wie Geige spielen in einem stockdunkeln Saal. Du weisst
nie, ob da jemand zuhört bzw. liest, was du schreibst. Wenn dann Beifall geklatscht
wird, ist das eine grosse Erleichterung: Aha, es ist also jemand da, ich schreibe nicht
bloss für die Altpapiersammlung. In diesem Sinne herzlichen Dank an Michael, Markus,
Gerhard und Jürgen für die Rückmeldungen.

Und Jürgen, apropos Buchprojekt: Ich muss mal den Chef fragen, vielleicht hat er
„Musikgehör“...
Markus Boos 10.06.19 01:18
Schmunzelecke
Dank für Schwank. Die Kolumne des Resjek weckt mich immer wieder aus dem Leseschlaf, der mich bei der Lektüre des „Farang“ ereilt. Lebensecht, wortwitzig und frei von orthographischen Mängeln. Danke dafür.
Jurgen Steinhoff 09.06.19 21:31
Sehr gut erzählt
Danke für die amüsanten Geschichten, die wirklich spannend erzählt werden und treffend formuliert sind!
Sie werden wohl demnächst in Buchform erscheinen?