Tausende Festnahmen - Prominente zeigen Solidarität

Versammlung zur Befreiung Kubas in North Bergen, New Jersey. Foto: epa/Justin Lane
Versammlung zur Befreiung Kubas in North Bergen, New Jersey. Foto: epa/Justin Lane

HAVANNA: Der Internetzugang wurde in Kuba blockiert, so dass die Außenwelt nur wenig erfuhr. Nach und nach kommen Berichte über die Reaktion der Sicherheitskräfte auf die Proteste heraus. Ein Todesfall wurde inzwischen offiziell bestätigt - es könnten noch viel mehr sein.

Nach seltenen Massendemonstrationen gegen die Regierung in Kuba sind nach Angaben unabhängiger Journalisten inzwischen mehr als 5000 Menschen festgenommen worden. Darunter seien mehr als 120 Aktivisten und Journalisten, berichtete am Mittwoch das Online-Portal 14ymedio, das Angaben aus der Bevölkerung zusammengetragen hatte. Dabei gingen die Sicherheitskräfte teils brutal vor, wie unter anderem in einem Video zu sehen ist, dessen Echtheit die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch am Mittwoch bestätigte.

Dieses zeigt, wie Sicherheitskräfte in der Stadt Cárdenas versuchen, durch den Vordereingang in eine Wohnung einzudringen, während drinnen eine Frau mit einem kleinen Kind im Arm «meine Kinder!» und «warum macht ihr das?» schreit. Dann kommt ein Beamter mit erhobener Pistole aus der anderen Richtung in die Wohnung. Ein offenbar später aufgenommener Teil des Videos zeigt eine Blutlache auf dem Boden. Das Online-Portal «CiberCuba» berichtete, der Ehemann der Frau sei vor seiner Familie angeschossen, geschlagen und mitgenommen worden.

Staatsmedien berichteten am Dienstag von einem Toten bei einer Demonstration am Montag in Havanna. Der 36-jährige Vorbestrafte habe als Teil einer «organisierten Gruppe antisozialer und krimineller Elemente» versucht, eine Polizeistation anzugreifen. Zu den Umständen seines Todes gab es keine Angaben. Die unabhängige Journalistin Yoani Sánchez sagte am Mittwoch in ihrem Podcast Ventana 14, dass es nach Berichten aus der Bevölkerung im Rahmen der Demonstrationen viel mehr Tote gegeben haben könnte. Medien der Opposition berichteten, die Regierung zwinge junge Männer durch Erpressung dazu, Demonstranten mit Stöcken anzugreifen.

Am Sonntag hatten Tausende Kubaner in zahlreichen Städten für Freiheit, gegen Unterdrückung und Mangelwirtschaft demonstriert. Das hatte es seit Jahrzehnten in dem Karibikstaat nicht mehr gegeben. Kubas Wirtschaft leidet stark unter dem Einbruch des Tourismus in der Pandemie sowie unter US-Sanktionen. Auch bleiben Hilfen aus Venezuela aus, da der verbündete Staat selbst in einer Krise steckt. Es fehlt in Kuba an Lebensmitteln und Medikamenten. Auch stiegen die Zahlen der Corona-Infektionen und -Todesfälle zuletzt deutlich. Der Zugang zum Internet war nach Beginn der Proteste zeitweise blockiert. Es gab seitdem nur vereinzelte Berichte über kleinere neue Demonstrationen.

Ministerpräsident Manuel Marrero gab am Mittwoch (Ortszeit) im Fernsehen bekannt, dass bis Ende des Jahres Wertbeschränkungen bei der Einfuhr von Lebensmitteln, Medikamenten und Hygieneartikeln im Gepäck von Passagieren aufgehoben würden. Auch müssten darauf ausnahmsweise keine Zollgebühren bezahlt werden.

Zu den festgenommenen Journalisten zählt die Korrespondentin Camila Acosta von der spanischen Zeitung «ABC». Diese wurde am Montag, nachdem sie über die Demonstrationen in Havanna berichtet hatte, festgenommen und befand sich seitdem in Gewahrsam. Nach Informationen der Zeitung soll sie wegen des Vorwurfs, Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates begangen zu haben, vor Gericht kommen.

Zahlreiche kubanische und kubanisch-amerikanische Prominente solidarisierten sich mit den Demonstranten, darunter der Schauspieler Andy Garcia, die Sängerin Gloria Estefan und der Jazz-Pianist Chucho Valdés - letzterer hatte früher noch harte Strafmaßnahmen der Regierung gegen Dissidenten öffentlich verteidigt.

Beim All-Star-Spiel der US-Baseball-Liga MLB am Dienstag in Denver hatten zwei kubanische Spieler Kappen auf, auf die sie #SOSCuba geschrieben hatten. Mit der Kennung wurde auf Twitter ursprünglich über die Gesundheitslage auf der Karibikinsel, inzwischen vor allem über die Proteste geschrieben. Kubas Außenminister Bruno Rodríguez sagte am Dienstag in einer Pressekonferenz, der Hashtag sei Teil einer von der US-Regierung finanzierten Operation gegen Kuba.

Auf den Kappen der Spieler Aroldis Chapman und Adolis García stand auch «Patria y Vida» (Vaterland und Leben). Der Spruch wurde oft bei den Demonstrationen gerufen. Es handelt sich um den Titel eines im Februar veröffentlichten Protest-Lieds mehrerer bekannter kubanischer Musiker. Dieser ist eine Anspielung auf einen viel zitierten Ausspruch Fidel Castros: «Patria o Muerte» (Vaterland oder Tod).

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Thomas Sylten 17.07.21 11:50
Obwohl ich oft in Cuba war, da mir dort vieles gefällt - sehr schönes Land mit sehr solidarischen Leuten - kann ich zur gegenwärtigen Situation nicht viel sagen, auch wenn mir der von außen unterstütze Regimechange-Gedanke durchaus plausibel erscheint -
aber Yoani Sánchez ist ganz sicher keine "unabhängige" Journalistin, sondern erklärte Regierungsgegnerin, die permanent kritisch bloggt, wohlgemerkt: Aus Cuba (!), wo sie weitgehend unbehelligt lebt -
was der allgemein verbreiteten Ansicht, dort würden kritische Geister umgehend mundtot gemacht, ja eher widerspricht.

Tatsächlich kenne ich kaum ein Land, wo derart ungeniert über die eigene Regierung hergezogen wird wie in Cuba - allerdings ist auch allen klar, welche sozialen Errungenschaften auf dem Spiel stünden, wenn das System Richtung Kapitalismus wechselt: z.B. wäre es dann aus mit der jedermann zugänglichen freundlichen kostenfreien Behandlung im Krankenhaus - was gerade für ältere Arme in vielen Entwicklungsländern schnell zum Todesurteil wird.

Auch die zitierten Prominenten, die diese Demonstrationen unterstützen, sind ganz überwiegend in den USA reich gewordene Exilcubaner, die keine Gelegenheit auslassen, gegen ihre Regierung zu hetzen - gänzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt.
Ingo Kerp 16.07.21 12:40
Präsident Diaz-Cnel hat inzwischen oeffentlich zugegeben, das es Versäumnisse in der Regierung gegeben hat. Wenn dadurch jetzt die Gewalt zurückgenommen werden kann und friedliche Gespräche mit Demonstrantensprechern und Regierung geführt werden koennten, wäre schon einiges erreicht. Moeglicherweise würden sich dann auch die UN und die USA zur humanen Hilfe bereit erklären, was bisher abgelehnt wurde. Den Menschen ist es zu wünschen.