Taliban fordern Suspendierung von NGO-Mitarbeiterinnen

Frauen in Burkas warten auf Lebensmittelrationen, die von einer humanitären Hilfsorganisation aus Saudi-Arabien verteilt werden. Foto: Ebrahim Noroozi/Ap/dpa
Frauen in Burkas warten auf Lebensmittelrationen, die von einer humanitären Hilfsorganisation aus Saudi-Arabien verteilt werden. Foto: Ebrahim Noroozi/Ap/dpa

KABUL: Erst verbannen die Taliban in Afghanistan Frauen von den Universitäten, nun dürfen sie auch nicht mehr für Nichtregierungsorganisationen arbeiten. NGOs setzen ihre Arbeit im Land aus. Was treibt die Islamisten zu ihrer Politik?

Inmitten einer schweren humanitären Krise in Afghanistan haben mehrere Hilfsorganisationen ihre Arbeit wegen neuer Anweisungen der Taliban eingestellt. Hintergrund ist eine am Samstag von den militanten Islamisten veröffentlichte Aufforderung an Nichtregierungsorganisationen (NGOs), ihre Mitarbeiterinnen bis auf Weiteres zu suspendieren. Der Schritt löste weltweit Sorge und Kritik aus. Manche sprachen von einer «roten Linie», die die Taliban überschritten hätten.

Das Wirtschaftsministerium in Kabul begründete seine Forderung nach Suspendierung der Mitarbeiterinnen damit, dass die Frauen sich angeblich nicht ordentlich verschleierten und damit gegen Vorschriften verstießen. Taliban-Anhänger schrieben in sozialen Medien, Frauen würden unter ihnen besser beschützt als von westlichen NGOs.

Eigentlich waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen die letzten Vertreter aus dem Westen, die in dem krisengeplagten Land geblieben waren. Die Taliban übernahmen im Sommer 2021 die Macht in Afghanistan. Internationale Truppen zogen überhastet ab. Westliche Länder brachten ihr Botschaftspersonal in Sicherheit. Internationale Helfer versorgten zuletzt Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln, betrieben Gesundheitskliniken oder unterrichteten Mädchen. Damit könnte nun Schluss sein.

Auch wenn die NGOs Beobachtern zufolge hoffen, dass sie mit der Einstellung ihrer Arbeit bei den Taliban ein Umdenken auslösen, hatten sie zunächst keinen Erfolg. Am Sonntag rief Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid dazu auf, sich nicht in die internen Angelegenheiten Afghanistans einzumischen. Alle Institutionen, die in Afghanistan tätig werden wollten, seien verpflichtet, die Regeln und Vorschriften des Landes einzuhalten.

Der Dachverband der in Afghanistan tätigen Nichtregierungsorganisationen ACBAR sprach am Montag von einer «drastischen Maßnahme» und forderte das Wirtschaftsministerium auf, die schriftliche Anordnung zurückzunehmen. Viele der 183 lokalen und internationalen Mitgliedsorganisationen hätten ihre humanitäre Hilfe beendet, ausgesetzt oder reduziert, hieß es in einer Erklärung. Die Mitgliedsorganisationen beschäftigten 55.249 Menschen aus Afghanistan. 28 Prozent - das sind rund 15.500 - seien Frauen. Viele der beschäftigten Mitarbeiterinnen unterstützten Frauen und Mädchen, und diese Tätigkeiten müssten von Mitarbeiterinnen der NGOs ausgeführt werden.

Das Verbot habe katastrophale Auswirkungen auf die gesamten Hilfsprogramme, teilte die Welthungerhilfe am Montag mit. Die Hilfsorganisation setzte ihre Arbeit vorerst aus. Die Hilfsorganisationen Care, Save the Children, die Norwegische Flüchtlingshilfe (NRC), World Vision und das International Rescue Committee (IRC) hatten zuvor mitgeteilt, sie hätten ihre Arbeit in dem Land mit geschätzt 37 Millionen Einwohnern eingestellt. «NGOs die Beschäftigung von Frauen zu verbieten, überschreitet eine humanitäre rote Linie», schrieb NRC-Chef Jan Egeland auf Twitter.

Offen ist noch, ob und wie wichtige UN-Organisationen wie das Kinderhilfswerk Unicef oder das Welternährungsprogramm WFP über ihre Kritik an der Taliban-Verfügung hinaus reagieren.

Die Ankündigung zu den NGO-Mitarbeiterinnen löste weltweit Sorge aus. Unter anderem der UN-Generalsekretär, die EU-Kommission und die Außenminister der USA und Deutschlands verurteilten den Schritt. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wies die Forderung der Islamisten am Sonntag zurück. «Wir werden nicht akzeptieren, dass die Taliban die Humanitäre Hilfe zum Spielball ihrer Frauenverachtung machen», twitterte die Grünen-Politikerin.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) stellte die Hilfe für das Land infrage. «Ohne weibliche Beschäftigte können Organisationen ihre Arbeit in vielen Bereichen für die Hälfte der Bevölkerung nicht fortführen», sagte Schulze laut Mitteilung am Montag in Berlin. «Ich bin deshalb dafür, dass die gegenwärtige Unterstützung, die wir mit anderen leisten, zunächst suspendiert wird.» Schulze kündigte an, sie wolle gemeinsam mit der Weltbank zu einem Treffen der Beteiligten des Wiederaufbaufonds Afghanistan Reconstruction Trust Fund (ARTF) einladen. Der Fonds wird von der Weltbank verwaltet und finanziert beispielsweise Teile des Gesundheits- und Bildungssystem.

Das NGO-Arbeitsverbot für Frauen reiht sich ein in eine Liste von immer harscher werdenden Maßnahmen der Taliban. Selbst langjährige Beobachter des Landes fragen sich, weshalb die Taliban-Führung, deren Regierung bislang von keinem Land der Welt anerkannt wird, durch ein derartiges Vorgehen noch weitere Isolation und noch mehr Armut der Bevölkerung in Kauf nimmt. Manche erklären dies damit, dass sich bei den Taliban zunehmend die Hardliner durchsetzen und die Pragmatiker, die eine Annäherung an den Rest der Welt suchen und Wandel unterstützen, ins Hintertreffen geraten.

Der Universitätsdozent und Aktivist Obaidullah Bahir schrieb auf Twitter, es gebe keine Garantie, dass eine Einstellung der internationalen Hilfen in Afghanistan die Politik der Taliban ändern werde. Auch für religiöse Argumente seien sie nicht zugänglich. «Jene, die bei den Taliban die Entscheidungen treffen, kennen die Konsequenzen ihrer Handlungen ganz genau, und sie finden, sie selbst sind die höchste Autorität in religiösen Fragen. Es gibt nicht viel, was jemand von außen tun könnte, um sie zu beeinflussen.»

Es bleibt laut Bahir nur eine radikale Reform innerhalb der Taliban - oder die Menschen im Land drängen die Islamisten etwa mit zivilem Ungehorsam zurück. Ungeachtet großer Gefahr von Repressionen haben sich im Land zuletzt etwa Studenten mit ihren verbannten Kommilitoninnen solidarisch gezeigt, indem sie Prüfungen geschlossen verließen. Dutzende Uni-Lektoren legten aus Protest ihr Amt nieder. In mehreren Städten gab es kleine Demonstrationen.

In all den Schocks der vergangenen Tage sieht Bahir aber auch etwas Gutes. Dass all diese Rechte in kurzer Abfolge weggenommen worden seien, helfe. «Wären sie subtil und schrittweise angegangen worden, hätte die Empörung vielleicht nicht die Dynamik gehabt, die sie hat.»

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