Taliban dringen in Provinzhauptstadt im Westen Afghanistans vor

Afghanische Dolmetscher halten Plakate während eines Protestes gegen die US-Regierung, die UN und andere NATO-Länder in Kabul. Foto:epa/Hedayatullah Amid
Afghanische Dolmetscher halten Plakate während eines Protestes gegen die US-Regierung, die UN und andere NATO-Länder in Kabul. Foto:epa/Hedayatullah Amid

KABUL: Während in Kabul ein weiterer Abschiebeflug aus Deutschland eintrifft, greifen die militant-islamistischen Taliban eine Provinzhauptstadt an. Ihre Kämpfer bewegten sich frei durch Kala-e Nau.

Erstmals seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan haben die militant-islamistischen Taliban eine Provinzhauptstadt angegriffen. Es gebe Gefechte in Kala-e Nau, der Hauptstadt der Provinz Badghis im Westen des Landes, bestätigten mehrere Behördenvertreter der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Die Situation war zunächst unübersichtlich. Provinzräten zufolge hatten sich Regierungsvertreter, darunter der Gouverneur, und ein Teil der Sicherheitskräfte in eine Militärbasis in der Nähe des Flughafens zurückgezogen und von dort aus versucht, die Taliban-Angriffe abzuwehren. Es folgten Berichte über Luftschläge.

Provinzräte sagten, dass Taliban-Kämpfer sich völlig frei auf Motorrädern in der Stadt bewegten. Vor allem Familien von Regierungsvertretern seien in Richtung Herat geflüchtet, Taxifahrer hätten Wucherpreise verlangt. Hunderte Gefangene konnten aus einem Gefängnis der Stadt entkommen. Am frühen Mittwochabend (Ortszeit) erklärten die Sicherheitskräfte, sie seien auf dem Vormarsch. Der Gouverneur sagte, er sei wieder in seinem Regierungsgebäude.

Dem Angriff auf die Stadt ging der Fall der letzten drei noch unter Kontrolle der Regierung stehenden Bezirke in der Provinz voraus. Soldaten und Polizisten hätten sich aus den Bezirken Mukur, Ab Kamari und Kadis in die Provinzhauptstadt Kala-e Nau zurückgezogen, sagten Provinzräte. Ein Konvoi aus Mukur sei dabei angegriffen worden, und die Sicherheitskräfte hätten große Verluste erlitten. Daraufhin hätten sich mehrere Regierungsvertreter und hochrangige Polizisten den Taliban ergeben.

Mit Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen aus Afghanistan Anfang Mai hat sich die Sicherheitslage zugespitzt. Die Taliban haben seither rund ein Viertel der Bezirke im Land neu erobert. Dabei haben sie Hunderte Regierungskräfte getötet, verwundet, gefangen genommen oder zur Aufgabe überredet. Mindestens fünf Provinzhauptstädte haben sie mittlerweile umzingelt.

In der Vergangenheit wurden Angriffe auf Provinzhauptstädte mithilfe von US-Luftschlägen zurückgedrängt. Die USA haben aber vergangene Woche ihre größte Luftwaffenbasis Bagram verlassen. Laut «New York Times» gibt es noch «etwas Hilfe» von den USA in Form von kurzzeitiger Luftunterstützung, die jetzt von außerhalb des Landes kommt. Der Abzug der US-Truppen ist mittlerweile nach Pentagon-Angaben zu mehr als 90 Prozent abgeschlossen. Die Bundeswehr hatte das Land Ende Juni verlassen.

Am Mittwochmorgen war gleichzeitig erneut ein Abschiebeflug aus Deutschland in Kabul eingetroffen. Nach Informationen aus dem Bundesinnenministerium waren 27 abgelehnte Asylbewerber an Bord. 26 davon seien Straftäter gewesen. An der Maßnahme beteiligten sich acht Bundesländer: Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen.

Die Abschiebungen sind aufgrund der schlechten Sicherheitslage umstritten. Ein Sprecher des Flüchtlingsministeriums in Kabul sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass man aufgrund der Sicherheitssituation, hoher Arbeitslosigkeit, steigender Armut und der Corona-Pandemie in offiziellen Treffen mit den abschiebenden Ländern immer wieder anfrage, die Abschiebungen auszusetzen.

Allerdings hätten die Länder ihre eigenen Regeln und würden Afghanen nach diesen Regeln weiter abschieben. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte am Montag, er halte die bisherige Abschiebepraxis trotz der Zunahme der Gewalt noch für vertretbar.

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