Ist die Zeit reif für den Wiederaufbau?

Foto: epa/Mohammed Badra
Foto: epa/Mohammed Badra

DAMASKUS (dpa) - Frieden, Wiederaufbau, Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien - über diese Dinge reden Politiker jetzt öfter. Wo die Hindernisse für eine neue Blüte liegen, zeigt eine Reise durch das Bürgerkriegsland. Erstmal wächst die Furcht vor einer Gewalteskalation in Idlib.

Die Sprechchöre gellen in den Ohren. Syrische Kinder sind angetreten im Hof ihrer Schule in Jalda, einem Vorort von Damaskus. «Mit unserer Seele, mit unserem Blut verteidigen wir Baschar!», schreien sie. Immer wieder der gleiche Spruch. Ein fanatisches Bekenntnis zu Baschar al-Assad, dem Präsidenten. Örtliche Würdenträger sind zu Besuch, syrische Soldaten, und das russische Verteidigungsministerium hat ausländische Journalisten aus Moskau eingeflogen, um zu zeigen: In Jalda ist Frieden eingekehrt.

Trotzdem sichern russische Scharfschützen vom Dach eines zerstörten Hauses das Gelände. Im syrischen Bürgerkrieg herrschte bis März die islamistische Miliz Dschaisch al-Islam in der Stadt. Dann griffen die Regierungsarmee und die Russen an. Die von Saudi-Arabien unterstützten Kämpfer verloren ihre Stellungen rund um Damaskus.

Nun hat Assad wieder das Sagen in Jalda. Und mit ihm das Regime, von dem sich viele 2011 befreien wollten. Der Versuch mündete in einen Bürgerkrieg mit mehr als 400.000 Toten und Millionen Vertriebenen.

Was denken die Lehrer, die Kinder, die Einwohner von Jalda wirklich? Standen sie den Islamisten nahe? Oder haben sie unter deren Terror gelitten? Sind sie einfach froh, dass Kämpfe, Bomben und Tod vorbei sind? Auf alle Fälle scheint es heute sicherer, die Liebe zum neuen alten Herrscher Assad zu bekunden. Aber sieht so Befreiung aus?

Die Schule ist renoviert. Innen spachtelt ein Handwerker noch die Wände. Vier Millionen Schülerinnen und Schüler erwartet die syrische Regierung regulär zum Schuljahresbeginn im September, dazu wohl eine Million Kinder, die aus Flüchtlingslagern zurückkehren.

Die russische Armee hat der Schule eine Ladung Bauholz gestiftet. «Hilfe von Russland für Syrien» steht auf dem Armeelastwagen. Freundliche Offiziere lassen die Kinder über den Holzstapel toben. Militärpolizisten machen Erinnerungsfotos mit den kleinen Syrern.

UND DIE DEUTSCHEN?

Russland tut oft so, als sei der Syrien-Krieg so gut wie zu Ende. Präsident Wladimir Putin hatte 2015 militärisch eingegriffen und damit das Blatt zugunsten von Assad gewendet. Der 52-Jährige war fast schon geschlagen gewesen. Nun sind zwei Drittel des Landes wieder unter seiner Kontrolle. Nach Moskauer Darstellung herrscht Frieden. Der Wiederaufbau soll beginnen, die Geflüchteten sollen zurückkehren.

Putin setzt dabei auf Geld aus dem Land in Europa, das die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat: Deutschland. Knapp 725.000 Syrer zählt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hierzulande. Zwar sind sich die EU und die USA bislang einig: Gezahlt wird nicht. Assad habe sein Land selbst zerstört, Russland habe mit Luftangriffen schwere Schäden und viele Tote auf dem Gewissen. Dort liege die Aufgabe.

Aber Putin weiß auch, wie stark die Flüchtlingsfrage die deutsche Politik unter Druck setzt. Als er Mitte August auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin mit Kanzlerin Angela Merkel sprach, warb er um Hilfe für den Wiederaufbau. Eine verlockende Aussicht: Syrer gehen in ihre Heimat zurück. Andererseits drohte Putin kaum verhohlen mit neuen Fluchtbewegungen, wenn nicht geholfen wird. «Das ist potenziell eine große Last für Europa», sagte der Kremlchef.

FAKTENCHECK: FRIEDEN?

Aber ist Syrien überhaupt schon so friedlich, dass das Land aufgebaut werden kann? In der Tat haben Syriens Regierungstruppen, unterstützt von Russland und Iran, zuletzt wichtige Gebiete eingenommen. So die lange umkämpfte Region Ost-Ghuta bei Damaskus mit zerstörten Städten wie Harasta und Duma. Auch die Provinz Daraa im Süden, wo der Aufstand begann, brachte Assad wieder unter Kontrolle.

Doch echter Frieden zeichnet sich nach über sieben Jahren Bürgerkrieg nicht ab, von einem Ausgleich zwischen den verfeindeten Parteien gar nicht zu reden. Vielmehr könnte die blutigste Operation noch kommen. Assad betont immer neu, dass er jeden Winkel des Landes wieder unter seine Herrschaft bringen will. Wenn nötig, mit aller Gewalt.

Seine Truppen sammeln sich deshalb an den Frontlinien in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens, der letzten Rebellenbastion. Auch Assads Gegner bringen Zehntausende in Stellung. Sie wissen, dass diese Schlacht ihre letzte sein könnte. Bei einem Angriff Assads droht die nächste humanitäre Katastrophe. Fast drei Millionen Zivilisten leben in dem Rebellengebiet. Viele könnten versuchen, über die Grenze in die Türkei zu kommen - um dann Wege nach Europa zu suchen.

DIE HEIMKEHRER

Al Dschadidah ist ein Grenzübergang vom Libanon nach Syrien. Langsam rollen Busse von Westen heran. Fernsehkameras halten drauf. Hier kommen Flüchtlinge aus dem Nachbarland zurück. Der syrische Staat will zeigen, dass er zum Empfang bereit ist. Ärzte warten, eine Landjugend-Gruppe jubelt auf Befehl, Russen regeln den Verkehr.

Die Heimkehrer nehmen die Nationalfahne in die Hand. Familien machen den symbolischen Schritt aus dem Bus zurück auf syrischen Boden. Sie sei aus Sorge um ihre Tochter ins Ausland gegangen, berichtet eine Frau. Ein Mann erzählt, er sei geflohen, als Terroristen sein Dorf besetzt hätten. Er habe im Süden des Libanons gelebt. Nun ist er zurück - mit Mutter, Frau und Sohn. «Man fühlt, dass es jetzt sicherer ist.»

Fast eine Million Syrer hat sich in den Libanon geflüchtet. Das Leben dort war elender als anderswo, Hilfen gab es kaum. Deshalb ist die Bereitschaft zur Rückkehr höher als aus anderen Ländern. Einen Tag später will das russische Militär der Presse die Begrüßung von Heimkehrern auch an einem Grenzübergang aus Jordanien vorführen. Doch von dort kommt kein Bus in Sicht.

«Der Sieg wird erst komplett sein, wenn alle Flüchtlinge aus dem Ausland heimkehren» - so hat es der Minister für Kommunalverwaltung und Umwelt, Hussein Machluf, in der Hauptstadt gesagt. Doch was erwartet die Rückkehrer?

FAKTENCHECK: SICHERHEIT

Bislang sind, so berichten die Vereinten Nationen (UN), nur wenige Tausend Flüchtlinge aus dem Ausland heimgekehrt. Syrien ist berüchtigt für die Folterkeller der Sicherheitsdienste. Menschenrechtler beklagen, Zehntausende seien in Gefängnissen verschwunden. Sie befürchten, viele davon könnten zu Tode gefoltert worden sein. Wer immer im Verdacht steht, mit der Opposition sympathisiert zu haben, muss auch als Heimkehrer mit Verhaftung und einem solchen Schicksal rechnen.

Weil Syriens Militär nach vielen Jahren Krieg ausgelaugt ist, droht jungen Männern auch die Zwangsrekrutierung. Mehr als 50.000 seien seit April in eroberten Gebieten eingezogen worden, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

DIE BRÜCKE

Rastan ist den ganzen Krieg lang Schlachtfeld gewesen. Die Stadt revoltierte 2011 gegen Assad, wurde die meiste Zeit von der Freien Syrischen Armee, kurz FSA, gehalten. Erst im Mai zogen die letzten Kämpfer geschlagen ab. Wichtig an Rastan war immer die Kontrolle der Brücke - der Straßenbrücke über das tiefe Flusstal des Orontes.

Jahrelang war hier die Fernstraße M5 als wichtige Verbindung zwischen Damaskus im Süden und Aleppo im Norden unterbrochen. «Jetzt ist die Magistrale wieder frei», sagt Talal al-Barasi, Gouverneur der Provinz Homs, auf der Brücke. Hoch über ihm schrauben Elektriker die letzten Glühbirnen in die neue Beleuchtung. Syrische Polizisten, eiförmige Helme auf dem Kopf, dirigieren gut gelaunt den Verkehr.

Einige Kilometer weiter in der Stadt verteilen russische Soldaten als gute Helfer Lebensmittel: eine Tüte mit Mehl, Reis, Zucker je Familie. Nothilfe ist immer noch wichtig in Syrien. Die Menschen drängen, keiner will leer ausgehen, syrische Soldaten halten die Menge in Schach. «Die Leute vergessen langsam, dass Krieg war», sagt der russische Major Rinat Achmedschin, der die Aktion leitet.

DIE ZERSTÖRUNGEN

Eine Schätzung der Weltbank von 2017 besagt, dass fast ein Drittel aller Häuser Syriens beschädigt oder völlig zerstört ist. Der Osten von Aleppo in Nordsyrien liegt zu großen Teilen in Schutt und Asche. Ebenso Ost-Ghuta am Rande von Damaskus. Viele Industriezonen hat es schlimm erwischt. In den großen Städten ist jedes zweite Krankenhaus beschädigt. Syriens Wirtschaft ist um fast zwei Drittel geschrumpft.

Unterschiedliche Prognosen kursieren, wie teuer der Wiederaufbau werden könnte. 200 Milliarden US-Dollar (172 Mrd. Euro) mindestens. Die UN-Wirtschaftskommission für Westasien geht sogar von Schäden in Höhe von fast 400 Milliarden Dollar aus. Unglaubliche Summen. Bislang läuft der Aufbau schleppend, weil der Regierung die Ressourcen fehlen und sie unter den internationalen Sanktionen leidet.

SCHICK UND NEU

Bunt und rosig sieht die Zukunft nur in der Assad-Propaganda aus, die manchmal fast wahnwitzig wirkt. So wie in «Marota City», einem Entwicklungsprojekt im Südwesten der Hauptstadt. Werbefilme zeigen am Computer animierte futuristische Hochhäuser mit Luxuswohnungen, ein Einkaufszentrum, Schwimmbäder und großzügige Parks. So könnte auch ein Bauprojekt in Dubai aussehen, der glitzernden Golfmetropole. 60.000 Menschen sollen in «Marota City» angeblich eines Tages leben.

Tatsächlich dient das Projekt wohl dazu, die Hauptstadt zu sichern auf Kosten der lokalen Bevölkerung. Diese hat sich aus Sicht des nahen Präsidentenpalastes als illoyal erwiesen und soll weichen. Die «Marota City» würde im Stadtteil Basatin al-Rasi wachsen. Der hatte sich beim Ausbruch des Aufstands der Opposition angeschlossen, fiel ein Jahr später dann wieder an die Regierung. Für diese Untreue rächt sich Assad nun. Mittlerweile wurden die alten Häuser in Basatin al-Rasi dem Erdboden gleichgemacht.

Überhaupt drohen vor allem Einwohnern in früheren Rebellengebieten Enteignungen. Das von Assad im Mai unterzeichnete Gesetz Nr. 10 steht als Symbol dafür. Es sieht vor, dass die Regierung Entwicklungszonen ausweisen kann - Eigentümer dort müssen ihren Besitz nachweisen, was aber vor allem für Flüchtlinge oft kaum möglich sein dürfte. Sie dürften ihr Hab und Gut verlieren.

Die Investoren in solchen Zonen zählen hingegen zur Assad-treuen Wirtschaftselite: In «Marota City» gehört etwa Rami Machluf dazu, ein Cousin des Präsidenten, wahrscheinlich der reichste Mann Syriens. Schon früher ließ die Regierung in Damaskus neue Stadtteile bauen, um sie mit Gefolgsleuten, oft aus der Armee, zu besiedeln.

DER BASAR IN HOMS

Vier Tage fährt das russische Verteidigungsministerium die Gruppe ausländischer Journalisten in Bussen durch Syrien. Gezeigt wird genau das, was zu sehen sein soll: Beispiele für einen Neuanfang. Generalmajor Igor Konaschenkow, der Sprecher des Ministeriums, erzählt dabei, wie viel sicherer die Lage in Syrien geworden sei.

Doch bei der Einfahrt nach Homs verstummen alle Gespräche. Das Zentrum der drittgrößten Stadt Syriens liegt auch zwei Jahre nach Ende der Kämpfe in Trümmern. Artillerie und Luftangriffe haben die Stadt in einen Schutthaufen verwandelt. Zerschossene Fassaden wohin man blickt. Geborstene Betonplatten hängen wie schlappe Lappen herab.

Trotzdem müssen in dieser Endzeitlandschaft Menschen weiterleben, und an diesem Abend wird in Homs der traditionsreiche Basar wiedereröffnet. Trommelwirbel, ein Fanfarenzug legt los, Trompeten schmettern. Gouverneur Al-Barasi führt seinen Tross vorbei an den Ladenlokalen: Kosmetik, Sonnenbrillen, Kleidung. Ein Anfang, doch der Gouverneur hofft, dass sich viele Firmen ansiedeln. Versteckt in einer Ecke verkündet ein Schild, dass der Basar mit Hilfe der UN und der Schweiz saniert wurde.

DIE AUSSICHTEN

Kann Syrien wieder ein blühendes Land werden? Tatsächlich wird die Wirtschaft ohne massive Hilfe von außen kaum auf die Beine kommen. Den Verbündeten Russland und Iran fehlen die Mittel und der Wille, um Milliarden für den Aufbau nach Damaskus zu schicken. Hinzu kommt der Bevölkerungsschwund. Rund 21 Millionen Menschen zählte Syrien vor dem Krieg. Mehr als fünf Millionen sind ins Ausland geflohen, mehr als sechs Millionen im Land vertrieben worden. Der Internationale Währungsfonds IWF schätzte 2016, der Wiederaufbau werde mindestens 20 Jahre dauern, sollte er 2018 beginnen - eine hypothetische Annahme.

Denn es kommt nur wenig Geld aus dem Ausland. Und Syriens Devisenreserven sind so gut wie aufgebraucht. Die Machthaber in Damaskus haben die Kontrolle über wichtige Ressourcen verloren. Die Landwirtschaft ist ein Eckpfeiler der Wirtschaft. Doch bedeutende Anbaugebiete im Norden werden von Kurden kontrolliert, die an der Seite der USA kämpfen. Auch auf die größten Ölressourcen - etwa im Euphrat-Tal nahe der Grenze zum Irak - hat Damaskus keinen Zugriff.

MORALISCHES DILEMMA

Vermutlich haben die russischen Offiziere in ihrem groben Realismus Recht: Überleben ist besser als der Tod, ein schlechter Friede ist besser als Krieg. Nur ist besser noch lange nicht gut. Wie lange halten die Menschen es in zerstörten Städten wie Homs und Aleppo noch aus, bevor sie anderswo ein besseres Leben suchen? Vielleicht droht keine neue große Flüchtlingswelle, trotzdem tut Hilfe Not.

Nur die Verhältnisse, die sind nicht so. Ausländische Gelder, eine Lockerung der Sanktionen würden als erstes dem eng verflochtenen und korrupten Assad-Regime zugutekommen. Wie viel die Bevölkerung erreicht, ist unklar. Sollten Deutschland und andere helfen, würde das Assads Herrschaft anerkennen - auch darauf zielt Moskau ab.

Die USA und die europäischen Länder haben Assad und Russland militärisch das Feld in Syrien überlassen. Das Tauziehen um den Wiederaufbau ist ihre wohl letzte Chance, noch Einfluss auf die Nachkriegsordnung zu nehmen. Als Hebel für ein Abdanken Assads reicht das nicht aus. Russland stellt klar, dass sein Schützling nicht weichen wird. Die womöglich einzige Lösung dürfte sein, schrittweise Zugeständnisse von Damaskus mit schrittweisen Hilfen zu verknüpfen.

Dazu muss man sich mit schwierigen Partnern an einen Tisch setzen. Im Raum steht die Idee einer neuen Vierergruppe mit Russland, Deutschland, Frankreich und der Türkei. Doch der Weg bis zu einem Wiederaufbau Syriens, zu einer Heimkehr der Flüchtlinge, womöglich gar aus Deutschland, ist extrem weit.

DIE VERLORENE TRAUMSTADT

Der Blick von der Zitadelle von Aleppo ist erschütternd. Dort unten am Fuß der türkischen Festung lag einmal die lebendige Altstadt, in der islamische, christliche und jüdische Einflüsse einander begegneten. Hausfassaden wie in Paris, Unesco-Weltkulturerbe. Und heute? Ein Feld bizarrer Trümmer und Ruinen, in die nur langsam Leben zurückkehrt. Die Zitadelle selbst wurde belagert und beschädigt. Trotzdem hat Museumsdirektor Ahmed Gharib Hoffnung: «Unser Plan ist, dass die Zitadelle in einem Jahr wiederhergestellt wird.»

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