Hoffnung auf US-russischen «Wendepunkt»

​Syrien-Einigung 

Eine Flughafenangestellte kontrolliert auf dem Internationalen Flughafen Damaskus die Tickets der Passagiere. Foto: epa/Youssef Badawi
Eine Flughafenangestellte kontrolliert auf dem Internationalen Flughafen Damaskus die Tickets der Passagiere. Foto: epa/Youssef Badawi

NEW YORK: Von «Tiefpunkt» zu «Wendepunkt» in vier Wochen? Die Zusammenarbeit der USA und Russland beim Kompromiss um die Syrien-Hilfe lässt hoffen, dass es aufwärts geht im Verhältnis der Gegenspieler.

Der Kompromiss im Streit um die humanitäre Hilfe für Millionen notleidende Syrer nährt die Hoffnung auf eine Verbesserung in den Beziehungen zwischen den USA und Russland. Vertreter beider Länder priesen die Zusammenarbeit im UN-Sicherheitsrat am Freitag in New York als mögliche neue Dynamik, die ihren Anfang mit dem Treffen der beiden Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin im Juni in Genf genommen habe.

Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja sagte, die Lösung im mächtigsten UN-Gremium könne zum «Wendepunkt» werden: «Heute erleben wir zum ersten Mal einen historischen Moment, in dem es Russland und den USA nicht nur gelungen ist, eine Einigung zu erzielen, sondern auch einen gemeinsamen Text vorzulegen, der von allen unseren Ratskollegen unterstützt wurde».

US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield stimmte - etwas verhaltener - zu: «Ich sehe auf jeden Fall, dass es ein wichtiger Moment in unserer Beziehung ist.» Er zeige, was bei konstruktiver Zusammenarbeit mit den Russen möglich sei. Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter sagte am Freitag, die USA seien über Monate besorgt gewesen über die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit eines russischen Vetos.

Zuvor hatte sich der 15-köpfige UN-Sicherheitsrat nach monatelangen zähen Verhandlungen einstimmig darauf geeinigt, einen wichtigen Hilfsmechanismus für humanitäre Güter in syrische Rebellengebiete zu verlängern. Dem verabschiedeten Text zufolge soll der Grenzübergang Bab al-Hawa im Nordwesten Syriens für weitere zwölf Monate offen bleiben. Die Resolution lässt jedoch Interpretationsspielraum dafür, ob eine automatische Verlängerung nach einem halben Jahr von einem Bericht von UN-Generalsekretär António Guterres zur Wirksamkeit des Mechanismus abhängt.

Bei der grenzüberschreitenden Hilfe geht es um eine seit 2014 bestehende UN-Resolution, die am Samstag ausgelaufen wäre. Die Regelung erlaubt es den Vereinten Nationen, wichtige Hilfsgüter über Grenzübergänge auch in Teile des Bürgerkriegslandes zu bringen, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Russland, das die syrische Führung von Staatschef Baschar al-Assad stützt, hatte in den vergangenen Monaten signalisiert, dass es auch den letzten von einst vier Grenzübergängen - Bab al-Hawa im Nordwesten - schließen möchte.

Dies hätte aus Sicht der UN zu einer humanitären Katastrophe führen können. Über zwei Millionen Menschen in den Rebellengebieten im Norden und Nordwesten Syriens sind von der Hilfe aus der Türkei über den Grenzübergang abhängig. Insgesamt leben in der Region rund vier Millionen Syrer, die meisten sind Vertriebene, die in Lagern, halb fertigen Häusern und ähnlichen ärmlichen Unterkünften leben. Bab al-Hawa, über das monatlich etwa 1000 LKW im Auftrag der UN kommen, gilt hier als «Lebensader».

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich angesichts der Einigung «erleichtert», die Verlängerung sei «ein absolut notwendiger Schritt». Auch Hilfsorganisationen atmeten auf. «Man darf allerdings nicht vergessen, dass hier lediglich der Status quo aufrechterhalten wird. Selbst mit Resolution ist die humanitäre Lage im Nordwesten Syriens katastrophal», wandte der Syrien-Koordinator der Welthungerhilfe, Konstantin Witschel, ein.

Während der Verhandlungen in den vergangenen Tagen hatten Diplomaten die Stimmung von russischer Seite aus als etwas konstruktiver als in der Vergangenheit beschrieben. Dies erklärten sie neben einem großen internationalen Druck auf Russland auch immer wieder mit einer neuen US-russischen Dynamik nach dem Treffen der Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin im Juni in der Schweiz. Dort hatten die beiden Staatsoberhäupter auch die Syrien-Hilfe besprochen. Zuvor hatten Beide das von zahlreichen Sanktionen überschattete Verhältnis ihrer Länder übereinstimmend als auf einem «Tiefpunkt» bezeichnet.

«Wir danken unseren amerikanischen Kollegen, die im Geiste der Vereinbarungen gearbeitet haben, die während des Genfer Gipfels zwischen Präsident Putin und Biden getroffen wurden», sagte Russlands Botschafter Nebensja. Er deutete dabei auch eine mögliche weitere Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington an: Die Resolution vom Freitag sei ein «Meilenstein» zur Lösung der Syrien-Krise.

Auch die Vereinten Nationen begrüßten die Verlängerung der Resolution und die Zusammenarbeit im Sicherheitsrat: «Es gibt nichts, was uns mehr gefällt als eine enge positive und produktive Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrats, zwischen den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats und zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation», sagte Sprecher Stephane Dujarric. In den vergangenen Jahren war der 15-köpfige Rat bei internationalen Krisen immer wieder blockiert, auch wegen der Rivalität zwischen den USA und China sowie Russland.

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