Südliche Lebensfreude gegen den Terror

Barcelona ein Jahr danach

Polizist auf Barcelonas Flaniermeile La Rambla. Foto: epa/Marta Perez
Polizist auf Barcelonas Flaniermeile La Rambla. Foto: epa/Marta Perez

BARCELONA (dpa) - Wohl jeder Katalane weiß heute immer noch, wo er am 17. August 2017 war. Damals, als gegen 17 Uhr ein Lieferwagen auf die Flaniermeile La Rambla raste und über eine Strecke von 600 Metern viele Menschen mit sich riss. Viele, auch einige der Opfer, wollen nach vorne schauen.

Es ist heiß in Barcelona, die Sonne strahlt vom Himmel, typisch August. Einheimische und Touristen flanieren auf dem Boulevard La Rambla, sitzen in Cafés, plaudern bei Wermut und Cava, bummeln an Schaufenstern vorbei. Genau so sah es auf der beliebten Promenade vor einem Jahr aus. Aber dann änderten ein paar Sekunden alles. Sekunden, in denen Terroristen Schmerz und Tod säten. Sekunden, die die zweitgrößte Stadt Spaniens nie vergessen wird - auch wenn es ein Jahr später so aussieht, als habe die südliche Lebensfreude die Oberhand behalten.

Es ist der 17. August 2017, 17 Uhr. Plötzlich rast ein weißer Lieferwagen von der Plaza Catalunya aus in den Fußgängerbereich, reißt über eine Strecke von rund 600 Metern Menschen mit sich und hinterlässt eine Spur des Todes. Leblose Körper bedecken den Asphalt, einige der Opfer sind sofort tot, Dutzende liegen verletzt am Boden. Der Terror hat Katalonien erreicht. Beim Anschlag des Islamischen Staates (IS) und einer wenige Stunden später vereitelten Attacke im Küstenort Cambrils kamen insgesamt 16 Menschen ums Leben. Auch eine Deutsche war unter den Opfern.

Spanische Zeitungen sprechen am Tag darauf vom «Horror auf La Rambla», aber sie blicken auch nach vorne und fassen in Worte, was die Bevölkerung der katalanischen Hauptstadt bald lautstark skandieren wird. Sätze wie «Gemeinsam werden wir den Terror besiegen» (La Razón) oder «Wir werden nicht erlauben, dass sie gewinnen» (La Vanguardia) sind der Tenor der Leitartikel.

Den Blick nach vorne richten - das wollen heute auch viele der Überlebenden und Hinterbliebenen. «Irgendwann musst du aufhören, dir Gedanken zu machen», sagte dieser Tage Elisabet Caritg, die beim Anschlag ihre Mutter Pepita verlor, selber schwer verletzt wurde und noch immer eine Psychotherapie macht.

Die Opfer sollen am Freitag bei der einfachen Gedenkfeier auf der Plaza Catalunya und auf La Rambla, die unter dem Motto «Barcelona, Stadt des Friedens» stattfindet, im Mittelpunkt stehen. «Die Institutionen und Behörden müssen im Hintergrund bleiben», sagte die linke Bürgermeisterin Ada Colau. Zur angekündigten Teilnahme des bei den katalanischen Separatisten verpönten Königs Felipe VI. sagte sie nur: «Wir wollen niemanden ausschließen.»

Die in Katalonien regierenden separatistischen Parteien und auch andere Gruppen, die für die Unabhängigkeit eintreten, wollen den Akt mit Kranzniederlegung und Auftritten von Schülerorchestern nicht für politische Zwecke missbrauchen. Bei einer Großdemo gegen den Terror Ende August 2017 war das noch ganz anders gewesen: Es gab Plakate mit Aufschriften wie «Felipe, wer Frieden möchte, treibt keinen Waffenhandel» und «Weg mit dem König!», der anwesende Monarch bekam schlimme Beschimpfungen zu hören.

Die IS-Attacke mitten in der Urlaubszeit kam völlig unerwartet: Das letzte verheerende Dschihadisten-Attentat in Spanien lag immerhin mehr als 13 Jahre zurück. Radikale Islamisten hatten 2004 in Madrid bei Anschlägen auf mehrere Züge eines der schlimmsten Blutbäder überhaupt in Europa angerichtet. 191 Menschen starben, mehr als 2.000 trugen - teils schwerste - Verletzungen davon.

In Katalonien geht die Angst nach der Todesfahrt auf La Rambla noch stundenlang weiter - ein weiteres Attentat im Küstenort Cambrils südlich von Barcelona kann in der darauffolgenden Nacht gerade noch vereitelt werden. Der Schock sitzt tief, aber die Bevölkerung reagiert mutig, geradezu trotzig. Bereits am Tag nach dem Massaker versammeln sich Massen auf der Plaza Catalunya, schweigen eine Minute lang und skandieren dann lautstark: «No tenim por!» - Wir haben keine Angst!

Der Satz schwingt tagelang immer wieder durch die Stadt, wie ein Mantra, das sagen soll: Nichts und niemand wird uns unsere Freiheit und unsere Lebensfreude nehmen. Trotzdem reagiert die Stadt - sie muss reagieren: Seit dem Herbst ist La Rambla durch zahlreiche Poller geschützt.

Auch die Sagrada Familia, das noch immer unvollendete Meisterwerk Antoni Gaudís, wird heute strengstens überwacht. Besucher müssen Metallschranken passieren, um das Gotteshaus zu besichtigen, der Verkehr ringsum wurde eingeschränkt, Barrieren aufgebaut. Denn die Attentäter hatten noch Blutigeres und weitaus Spektakuläreres geplant - und hatten es unter anderem auf die Basilika abgesehen, wie die Ermittler schnell herausfanden.

Erst seit wenigen Tagen ist aber klar: Das Hauptziel der Terroristen war ein anderes Wahrzeichen der Metropole, das jedes Wochenende Zehntausende Fußballfans lockt. Im Camp Nou, dem imposanten Stadion des spanischen Meisters FC Barcelona mit Platz für fast 100.000 Zuschauer, wollte die Zelle mit Hilfe von Sprengstoff möglichst viele «aficionados» - also Fans - töten.

Der «makabere Plan» sollte am 20. August 2017 zum Saisonauftakt gegen Betis Sevilla umgesetzt werden, wie das katalanische Fernsehen vor wenigen Tagen unter Berufung auf die Sicherheitskräfte berichtete. Dies hätte das bisher schwerste Attentat auf europäischem Boden werden können, da sind sich Beobachter einig.

Es konnte gerade noch verhindert werden - aber nicht etwa durch Geheimdienst- oder Polizeiarbeit, sondern durch ein Missgeschick der Terrorzelle selbst. Am 16. August flog ihre «Bombenwerkstatt» in Alcanar in der Provinz Tarragona in die Luft - und mit ihr ein Imam, der als Drahtzieher der Anschläge gilt. In den Trümmern wurden 120 Gasflaschen und 500 Liter Aceton gefunden - genug Material, um im Camp Nou und der Sagrada Familia schwere Anschläge zu verüben und zahlreiche Menschen zu töten.

Die verantwortliche Zelle hatte nach amtlichen Erkenntnissen zwölf Mitglieder. Zwei starben bei dem Explosionsunfall vor der Tat, sechs - darunter der Fahrer des Lieferwagens - wurden von der Polizei getötet. Von den restlichen vier sitzen zwei in Spanien in Untersuchungshaft, zwei sind unter Auflagen auf freiem Fuß. Die Ermittlungen sind noch in vollem Gang.

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