Studie: TV-Sendern steht radikaler Wandel bei Nutzung bevor

Foto: Alexander Heinl/Dpa
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MÜNCHEN/BERLIN (dpa) - Medienforscher erwarten einen Zuschauerschwund beim klassischen Fernsehen: Eine neue Studie sieht Netflix als Maß aller Dinge. Eine Untersuchung von ARD und ZDF kommt anderen Ergebnissen.

Den TV-Sendern steht laut einer Studie ein wachsender Schwund bei ihren Zuschauerzahlen bevor. Nur noch etwa die Hälfte der Sehzeit (54 Prozent) verbringen Zuschauer demnach heute mit linearem Fernsehen, ergab eine Studie der Beratungsgesellschaft Roland Berger und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Entwicklung vom linearen TV zum Streaming werde sich in den kommenden Jahren deutlich fortsetzen, prognostizieren die Autoren der Studie. Netflix habe in Sachen Sehzeit bereits die führende Position eingenommen - und zwar nicht nur im Streaming-Markt. Dabei sehen sie die klassischen TV-Sender schlecht gerüstet.

In einer ersten Reaktion meldete die ARD Zweifel an der Studie an: «Wesentliche Aspekte der zugrundeliegenden Untersuchung werden nicht transparent gemacht», hieß es dort auf Anfrage. Dies gelte etwa für die methodischen Standards zur Erhebung von Reichweiten und Zeitbudgets. Auch die «sehr kurze Feldzeit von nur zwei Wochen für 1571 Fälle» lasse «an der Aussagekraft der Ergebnisse zweifeln», so die ARD. Weiterer Kritikpunkt: «Die Studie beansprucht nur für die Gruppe der 16- bis 69-Jährigen Gültigkeit. Ob sie zumindest für diese Gruppe repräsentativ ist, kann aufgrund der fehlenden Angaben gar nicht beurteilt werden.»

Gleichzeitig verwies die ARD auf die erst kürzlich veröffentlichte Repräsentativstudie «ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2019» mit den Ergebnissen des renommierten Institut Kantar. Eine Kernaussage lautet hier: In der Gesamtbevölkerung macht lineares Fernsehen den noch weit überwiegenden Teil der Videonutzungsdauer aus. Der Anteil liegt hier bei 76 Prozent, wie die Untersuchung besagt.

Der ZDF-Intendant und Vorsitzende der ARD/ZDF-Medienkommission, Thomas Bellut, hatte Anfang September zum Thema gesagt: «Die aktuellen Ergebnisse bestätigen einmal mehr, dass wir den Nutzerinnen und Nutzern auch im digitalen Raum einen individuellen Zugang und auf sie zugeschnittene Inhalte anbieten müssen. Wir sind dabei auf dem richtigen Weg, aber der Wettbewerb mit den Streamingdiensten nimmt weiter zu. Wir arbeiten deshalb etwa auch daran, den Zugang zu unserer Mediathek auf den Fernsehgeräten zu erleichtern.»

Der neuen Studie von Roland Berger und WWU zufolge widmet das Gesamtpublikum 10,3 Prozent seines Zeitbudgets Netflix. Auf den Plätzen danach folgen mit ihren linearen und nichtlinearen Angeboten RTL (10,0 Prozent), ZDF (9,8 Prozent) und ARD (8,8 Prozent), vor Amazon mit 8,7 Prozent.

Mit ihren eigenen Streaming-Angeboten hätten die TV-Sender in Sachen Attraktivität bereits jetzt «den Anschluss verloren», sagte Niko Herborg, Medienexperte bei Roland Berger. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass den Sendern in den kommenden zehn Jahren rund ein Drittel der Zuschauerzeit und damit zwischen 4,5 und 8,8 Milliarden Euro entgehen werden. In den vergangenen zehn Jahren hätten die beiden großen privaten TV-Häuser Werbeumsätze in Höhe von gut 50 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Wie die Studie ergab entfällt unter allen Zuschauern aktuell 54 Prozent des Zeitbudgets auf lineares Fernsehen, 12 Prozent auf Pay-TV-Angebote, 24 Prozent auf kostenpflichtiges Streaming und 11 Prozent auf kostenfreies Streaming. Unter den jungen Zuschauern liegt der Anteil am Streaming bereits bei fast 60 Prozent.

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