Brexit-Streit um Nordirland: London will «intensive Gespräche»

Foto: Pixabay/Dimitris Vetsikas
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BELFAST/LONDON: Die EU-Kommission hat mit einem ausgefeilten Vorschlagspaket den ersten Schritt auf die Briten im Streit um das Nordirland-Protokoll zugemacht. Nun soll ausgelotet werden, ob es einen gemeinsamen Nenner gibt.

Nach Vorstellung eines ganzen Pakets an Vorschlägen aus Brüssel zur Lösung des Streits um die Brexit-Regeln für Nordirland hat die Regierung in London «intensive Gespräche» mit EU-Vertretern angekündigt. Am Freitag werde sich der Brexitminister David Frost mit dem EU-Brexit-Beauftragten Maros Sefcovic in Brüssel treffen, wie ein Regierungssprecher am Donnerstagabend mitteilte. Gleichzeitig erneuerte ein Regierungssprecher aber auch die Kritik Londons am Europäischen Gerichtshof als Kontrollinstanz zur Einhaltung des sogenannten Nordirland-Protokolls - und erntete prompt Gegenwind von EU-Seite.

Sefcovic hatte am Mittwochabend erhebliche Erleichterungen für den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland in Aussicht gestellt. Die Checks zu Qualitätsstandards bei Lebensmitteln und andere Waren sollen dadurch um bis zu 80 Prozent verringert werden. Medikamente sollen ohne Einschränkungen in die britische Provinz gelangen können. Zollformalitäten sollen um die Hälfte verringert werden. Für landestypische Produkte wie Würstchen soll es Ausnahmen geben.

Das zum Vereinigten Königreich gehörende Nordirland hat durch das Brexit-Abkommen einen Sonderstatus erhalten. Anders als England, Schottland und Wales unterliegt die Provinz weiterhin den Regeln des europäischen Binnenmarkts und der Zollunion. Hintergrund ist, dass die Grenze zum EU-Mitglied Republik Irland offen bleiben soll, um einen neuerlichen Ausbruch des gewalttätigen Konflikts zwischen Befürwortern einer Wiedervereinigung der beiden Teile Irlands und den Anhängern der Union Nordirlands mit Großbritannien zu verhindern.

Weil die britische Regierung sich aber von EU-Standards lösen und neue Handelsabkommen in aller Welt schließen will, wurden Warenkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland vereinbart. Das führte teilweise zu Schwierigkeiten im innerbritischen Handel. London erklärte das Protokoll daher für gescheitert und verlangte eine Neuverhandlung.

Die EU-Kommission sei mit ihren Vorschlägen einen Schritt weitergegangen als bisher und habe «nie dagewesene» Maßnahmen ergriffen, um den durch den Brexit entstandenen Problemen in Nordirland zu begegnen, sagte der EU-Botschafter in London, João Vale de Almeida, im BBC-Fernsehen am Mittwochabend.

Die Kritik der britischen Regierung an der Rolle des Europäischen Gerichtshofs wies Almeida jedoch zurück. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei eine Grundvoraussetzung für den Zugang Nordirlands zum Europäischen Binnenmarkt. «Ohne Europäischen Gerichtshof gibt es keinen Binnenmarkt», erklärte der Diplomat.

Auch Irlands Premier Micheal Martin lobte den Vorstoß der EU. «Es ist ein ernsthafter, hart erarbeiteter, einfühlsamer und engagierter Ansatz» sagte der irische Regierungschef. Sefcovic habe sich mit allen Seiten in Nordirland beraten, sagte Martin weiter.

Ob die britische Seite es tatsächlich ernst meint, wurde am Donnerstag erneut in Zweifel gezogen: Premierminister Boris Johnson habe bereits vor Unterzeichnung des Nordirland-Protokolls deutlich gemacht, dass er sich nicht daran halten wolle, berichtete ein nordirischer DUP-Abgeordneter im Gespräch mit der BBC. «Boris Johnson hat mir persönlich gesagt, dass er sich nach Zustimmung zu dem Protokoll dafür einsetzen werde, es zu ändern und sogar in Stücke zu reißen», sagte Ian Paisley.

Zweifel an der Aufrichtigkeit der britischen Regierung hatte vor wenigen Tagen auch Johnsons ehemaliger Chefberater Dominic Cummings gesät. Er selbst habe nie vorgehabt, sich an das Protokoll zu halten, so der inzwischen im Streit ausgeschiedene Ex-Regierungsberater auf Twitter.

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Michael R.. 14.10.21 23:42
Geschwätz von EU-Hassern
@Dracomir Pires
"Sämtliche Aggressionen und Erpressungen gehen vom undemokratischen Moloch in Brüssel aus."
Ja klar!

Warum übernehmen die Alp-Öhis dann sämtliche, ach so undemokratischen, Regeln aus Brüssel?
Da kommt der Geschäftssinn dann doch vor der Moral.

Den Klein-Engländern passte nur nicht, dass sie ihr Empire-Gehabe innerhalb der EU nicht hemmungslos ausleben konnten. Aber mittlerweile scheinen sie ganz schön auf die Schnauze zu fallen.
Dracomir Pires 14.10.21 15:40
"Aggressive Töne aus London"
Man könnte fast meinen, diesen Bericht hätten Personen aus der EU geschrieben ;-)
Aber mal ganz im Ernst und aus der Sicht eines neutralen Schweizers: Sämtliche Aggressionen und Erpressungen gehen vom undemokratischen Moloch in Brüssel aus.
Ingo Kerp 14.10.21 12:30
Man darf gespannt sein, wieweit sich die EU von den Briten noch erpressen und noetigen läßt. Deren Verhalten ist ein Signal an alle, die zukünftig einen Handelsvertrag mit den Briten abschließen wollen. Wenn der ratifiziert ist, kommen die Briten mit neuen Forderungen um die Ecke. So stellt man sich einen serioesen Vertragpartner vor.