Steinmeier dankt Ungarn für Beitrag zur deutschen Einheit

Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Ungarn. Foto: epa/Noemi Bruzak Ungarn Aus
Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Ungarn. Foto: epa/Noemi Bruzak Ungarn Aus

SOPRON: 35 Jahre ist die Flucht Hunderter DDR-Bürger über Ungarn her. Das Loch im Eisernen Vorhang bereitete den Fall der Mauer mit vor. Dafür kommt Dank von höchster Stelle, verbunden mit einer Mahnung.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Ungarn für seinen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Teilung Europas und zur Wiedervereinigung Deutschlands gedankt. In einer Pressekonferenz mit Präsident Tamas Sulyok rief er das Land zugleich auf, seine aktuelle EU-Ratspräsidentschaft zur Stärkung der Europäischen Union zu nutzen.

Steinmeier nahm in der ungarisch-österreichischen Grenzstadt an der Gedenkveranstaltung zum Paneuropäischen Picknick vor genau 35 Jahren teil. Dieses hatten 600 bis 700 DDR-Bürger genutzt, um in den Westen zu fliehen.

DDR-Bürger fliehen - «alles richtig gemacht»

Unter ihnen war auch Walter Sobel. Wenn er an den 19. August 1989 zurückdenkt, dann wird seine Stimme noch heute euphorisch. «Wir haben alles richtig gemacht. Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und wir hatten Mut», sagt der 61-Jährige.

Für ihn, seine zwei Jahre jüngere Frau Simone und ihre beiden kleinen Töchter änderte sich das Leben an jenem heißen Samstagnachmittag grundlegend. Im ungarisch-österreichischen Grenzort Sopron ließen sie die Unfreiheit der DDR hinter sich und nutzten eine sich unverhofft auftuende Lücke im Eisernen Vorhang. Sie wurden Teil der größten Massenflucht aus der DDR seit dem Bau der Mauer 1961, die dann nicht einmal drei Monate später fiel.

35 Jahre nach diesem historischen Geschehen sind die Sobels als Gäste Steinmeiers wieder in Sopron. «Es ist schon sehr bewegend», sagt Walter Sobel vor dem Rathaus der Stadt.

Steinmeier dankt Ungarn

Die symbolische Grenzöffnung für drei Stunden am 19. August 1989 habe de facto den ersten Riss im Eisernen Vorhang gebracht, der Europa so lange geteilt habe, sagte Steinmeier in Sopron. Dieses Paneuropäische Picknick sei ein «Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung» gewesen. «Deutschland wird den Menschen in Ungarn immer dankbar sein für ihren Beitrag zu unserer Einheit. Und als Bundespräsident sage ich aus vollem Herzen: Danke, liebe Ungarn.»

Europa verdanke seine Freiheit und Einheit auch dem Mut des ungarischen Volkes, seiner Freiheitsliebe und Leidenschaft für Europa. «Wir brauchen diese Leidenschaft für Europa auch heute», mahnte Steinmeier, ohne direkt auf den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban einzugehen, der wegen seiner Alleingänge in der EU umstritten ist und vielen als Bremser und Quertreiber gilt.

Mahnende Worte an ungarische EU-Ratspräsidentschaft

Die Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit der EU müsse gerade angesichts der neuen geopolitischen Herausforderung gewahrt werden, sagte Steinmeier. «Mit seiner EU-Ratspräsidentschaft kommt Ungarn dabei eine wichtige Rolle zu, die Einigkeit innerhalb der EU zu stärken und bei unseren gemeinsamen Zukunftsthemen konstruktive und gemeinsame Lösungen voranzubringen.» Deutschland hoffe wie alle anderen EU-Mitglieder, «dass Ungarn diese Rolle annimmt und ausfüllt».

Paneuropäisches Picknick als Fluchtchance

Eigentlich hätte der 19. August 1989 ganz anders verlaufen sollen. Die Paneuropa-Bewegung Österreichs und das ungarische Demokratische Forum hatten zu einem «Paneuropäischen Picknick» in Sopron aufgerufen. Sie wollten so für den Abbau der Grenzen und für ein geeintes Europa werben.

Damit die Menschen beider Länder gemeinsam feiern konnten, sollten die Grenzanlagen symbolisch für drei Stunden geöffnet werden. Löcherig waren sie zu diesem Zeitpunkt bereits. Die Grenze wurde aber noch von Soldaten bewacht.

Für das Picknick wurde mit Flugblättern - inklusive Anfahrtsskizze - geworben, sodass auch DDR-Bürger davon erfuhren, die in Ungarn Urlaub machten. Hunderte von ihnen setzten sich schließlich nach Österreich ab. Die ungarischen Grenzsoldaten schritten nicht ein. Zurück blieb eine lange Schlange von Autos der Geflohenen.

Zwei Fluchtversuche scheitern

Darunter war auch der Lada der Familie Sobel. Zweimal versuchte die Familie im August 1989 zunächst die Flucht von Ungarn über Jugoslawien in den Westen, zweimal wurde sie gefasst und zurückgewiesen. Eigentlich wollte sie schon aufgeben. Doch Simone Sobel schaute nochmals in den Atlas nach einem möglichen anderen Fluchtweg. Ihr Finger tippte auf Sopron. «Das war Schicksal», sagt sie.

«Dann waren wir drüben»

In Sopron erfuhren auch die Sobels von der sich möglicherweise bietenden Chance zur Flucht. «Füße in die Hand genommen und gelaufen. Dann waren wir drüben», erinnert sich ihr Mann heute an den entscheidenden Moment damals. «Ich sage Ungarn einfach nur danke», sagt seine Frau Simone.

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