«Staat wie Schweinestall»: Proteste vor Misstrauensvotum

Die Bulgaren rufen Parolen und halten die Nationalflagge während einer Demonstration vor dem Ministerrat in Sofia. Foto: epa/Vassil Donev
Die Bulgaren rufen Parolen und halten die Nationalflagge während einer Demonstration vor dem Ministerrat in Sofia. Foto: epa/Vassil Donev

SOFIA: Die Proteste in Bulgarien gegen die Regierung lassen nicht nach. Ein Misstrauensvotum wird von Demonstranten gegenüber dem Parlament in Sofia unterstützt. Hauptstraßen und Kreuzungen werden blockiert.

In Bulgarien sind die Proteste mit Forderungen zum Rücktritt der Regierung am zwölften Abend in Folge fortgesetzt worden. Tausende Menschen gingen am Montag erneut auf die Straßen in der Hauptstadt Sofia sowie in Warna und Burgas am Schwarzen Meer, in der Donaustadt Russe und in Plowdiw im Süden. In Sofia wurden der zentrale Boulevard «Zar Oswoboditel», weitere Hauptstraßen, Kreuzungen sowie vorübergehend auch U-Bahnzüge blockiert. «Rücktritt, Rücktritt!» und «Mafia» riefen die Demonstranten.

Mit einem Dauerprotest am Parlament unterstützten sie einen Misstrauensantrag gegen die bürgerlich-nationalistische Regierungskoalition. Die Volksvertreter sollen heute über den Vorstoß der oppositionellen Sozialisten (Ex-KP) abstimmen. Dann sollen die Proteste weiter gehen. Die Demonstranten sowie die Sozialisten werfen der seit 2017 amtierenden Regierung Korruption, unzureichende Korruptionsbekämpfung sowie Begünstigung von Oligarchen vor. Die Regierung geht davon aus, das Votum zu überstehen.

«Dies ist kein Staat, sondern ein Schweinestall», sagte eine aufgebrachte Frau mittleren Alters dem Staatsfernsehen. Die einzige zentrale Forderung der seit 9. Juli laufenden Straßenproteste ist der Rücktritt der Regierung und des Generalstaatsanwalts. Darüber hinaus hat wohl jeder Teilnehmer seinen eigenen Grund, zu protestieren - vom «ineffizienten Justizsystem» über die «permanente Umweltverschmutzung» bis hin zur «miserablen Instandhaltung und Renovierung» von Straßen und Autobahnen.

Unbeachtet bleiben positive Entwicklungen wie etwa die Aufnahme Bulgariens am 10. Juli in den EU-Wechselmechanismus II, der als das «Wartezimmer» für den Euro gilt. Kein Lob gibt es auch für die Finanzdisziplin des ärmsten EU-Staates.

Proteste haben in Bulgarien nach dem Fall des Kommunismus eine beträchtliche Tradition mit Höhepunkten 1989-90 und 1996-97 sowie 2013-14, als das Land bereits EU-Mitglied war. Aktuell protestieren auch viele junge Menschen, die allerdings politische und keine sozialen Forderungen haben. Einige von ihnen studieren in Westeuropa, sind aber wegen der Corona-Krise in die Heimat zurückgekehrt. Nun fallen ihnen mehr Missstände auf als vor dem Studium.

Ein aus Den Haag heimgekehrter Jura-Student berichtet, er sei schon am zweiten Protestabend Opfer von Polizeigewalt geworden. «Ein Uniformierter gab mir mehrere Schläge auf das Kinn. Es waren starke Schläge. (...) Als die Schläge weitergingen, verlor ich das Bewusstsein», sagte er dem privaten Fernsehsender bTV.

Der Vorfall, von dem es eine Videoaufzeichnung gibt, wird von den Behörden überprüft. Die beteiligten Polizisten sollen, wie es hieß, nicht mehr bei Protesten eingesetzt werden. Der Fall überschattet die meist friedlichen Proteste. Die wenigen Ausschreitungen führt die Polizei auf Provokateure zurück.

Die Demonstranten sind fest entschlossen, ihre Proteste auch nach einem Scheitern des Misstrauensantrags fortzusetzen. «Wir bleiben hier bis zum Sieg», sagten zwei Protestteilnehmer am Parlament. Der Politologe Dimitar Awramow warnt davor, das «enorme Potenzial des Protests» zu unterschätzen: «Niemand kann sich gegen das eigene Volk stellen», sagte er dem Staatsfernsehen.

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