Staat statt Start-up - Chinas «Eiserne Reisschüssel» boomt

Ein Mann geht durch den Plenarsaal der Großen Halle des Volkes. In China sind Beamtenjobs so beliebt wie lange nicht. Foto: Johannes Neudecker/dpa
Ein Mann geht durch den Plenarsaal der Großen Halle des Volkes. In China sind Beamtenjobs so beliebt wie lange nicht. Foto: Johannes Neudecker/dpa

PEKING: Chinas schwacher Arbeitsmarkt lässt junge Menschen im «Reich der Mitte» hoffnungslos zurück. Nutznießer davon ist das Beamtentum. Verglichen mit Deutschland sehen Chinesen darin andere Vorteile.

Frau Li hat alle Hände voll zu tun. Die 24 Jahre alte Chinesin will bald ihren Universitätsabschluss machen, doch schon jetzt wartet eine zukunftsentscheidende Prüfung. Li hat sich für eine offene Stelle bei der Steuerbehörde beworben. Sie wolle sich an der Entwicklung des Landes beteiligen, der Öffentlichkeit dienen und gesellschaftliche Probleme lösen, sagt sie. Doch das ist nicht der einzige Grund.

Wer in Chinas Zentralregierung und angeschlossenen Organen in den Provinzen arbeiten will, muss die Zulassungsprüfung - auf Chinesisch Guokao - bestehen, die an diesem Wochenende abgenommen wird. Wie Li haben sich in diesem Jahr rund 3,41 Millionen Menschen in der Volksrepublik auf die für 2025 ausgeschriebenen rund 39.700 Stellen beworben. Damit reichten noch einmal mehr Menschen eine Bewerbung ein als im bisherigen Rekordjahr 2023. Auf einen Platz kommen also im Schnitt etwa 86 Bewerbungen.

Warum so viele zum Staat wollen

Die «Eiserne Reisschüssel» - ein Synonym für einen sicheren Arbeitsplatz beim Staat mit stetigem Einkommen - wird unter wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit offenbar zusehends beliebter. Für Studenten werde es immer schwieriger einen Job zu finden, weshalb der Staatsdienst nun ihr größter Plan sei, sagt Forscher Yi Fuxian von der US-Universität Wisconsin-Madison. Selbst wenn man in diesem Jahr einen Job in einem privaten Unternehmen finde, könnte man ihn schon im nächsten wieder verloren haben. Der chinesischen Wirtschaft gehe es nicht gut und deshalb biete die Staatsdienst-Prüfung vergleichsweise eine Garantie, sagt Yi.

Auch Li ging es bisher wie vielen anderen: «Ich kann wirklich keine Arbeit finden», sagt sie. Ihren vollständigen Namen wollte Li nicht nennen. Mitunter können Chinesen in Schwierigkeiten geraten, wenn sie mit ausländischen Medien sprechen. Sie erhofft sich vom Staatsdienst nach eigenen Worten Stabilität, gesellschaftlichen Status, Autorität und soziale Absicherung. Dafür muss sie wohl ein geringes Gehalt in Kauf nehmen. Die düstere Berufsperspektive verunsichert schon länger viele junge Menschen im «Reich der Mitte». Im Oktober lag die Arbeitslosenquote unter der 16 bis 24 Jahre alten Stadtbevölkerung landesweit bei 17,1 Prozent. Die der Altersgruppe darüber zwischen 25 und 29 Jahren bei 6,8 Prozent.

Hauptsache Arbeit - Nachteile egal

Das hat weitere Folgen: «Umfragedaten legen nahe, dass die Menschen wirklich in schlechter Stimmung sind, denn sie finden nicht, dass ihre Anstellungs- oder Einkommensaussichten sehr gut sind», sagte der Experte für chinesische Wirtschaft, Arthur Kroeber. Solange der Arbeitsmarkt nicht anfängt, sich deutlich zu erholen, geben die Menschen ihm zufolge weiter zurückhaltend ihr Geld aus. Das trägt damit weiter zu Chinas wirtschaftlicher Schwäche bei, die vor allem durch eine jahrelang anhaltende Krise im Immobiliensektor befeuert wird.

Für die meisten Stellen werden Uni-Absolventen gesucht. In China ist der Staatsdienst wegen seiner Jahrhunderte alten Tradition sehr angesehen. Anders als die Kaiser setzt die regierende kommunistische Partei aber nicht auf die Abfrage konfuzianischer Klassiker, sondern prüft politische Kompetenz und Theorie. Viele Eltern sind stolz, wenn ihre Kinder eine der viel umkämpften Stellen bekommen, trotz gewisser Nachteile: Staatsbedienstete müssen sich etwa Reisen ins Ausland genehmigen lassen. Für Bewerberin Li ist das jedoch weniger ausschlaggebend. «Eine Arbeit zu finden, ist das Wichtigste», sagt sie. Zudem seien Auslandsreisen nicht gänzlich eingeschränkt. Für viele Stellen sei Reisen erlaubt.

Auch mehr Beamte in Deutschland

So beliebt wie in China ist der Staatsdienst in Deutschland eher nicht, auch wenn die Bundesrepublik ebenfalls mit wirtschaftlichen Problemen kämpft - jedoch in anderen Bereichen und Ausmaßen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im vergangenen Jahr etwa 5,27 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst tätig - ein leichter Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr. Darunter waren den Angaben zufolge rund 1,76 Millionen Beamte und Richter, ebenfalls ein weiterer Anstieg, der seit 2019 anhielt.

Der Beamtenbund und Tarifunion dbb begrüßt die Entwicklung. Beispielsweise bei der Bundespolizei sei man wegen der gestiegenen Grenzkontrollen froh über mehr Stellen, auch wenn diese mit Blick auf die steigende Belastung kaum ausreichen würden, hieß es von der Interessenvertretung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Der dbb geht allerdings nicht davon aus, dass das Beamtentum an sich für Jobsuchende in Deutschland grundsätzlich beliebter geworden ist. Die Menschen suchten sich in erster Linie einen konkreten Job und keinen Status aus, erklärte ein Sprecher der Gewerkschaft. Gleichwohl sei die Möglichkeit der Verbeamtung auch unter dem Aspekt der Personalgewinnung relevant.

Eine vom dbb beauftragte Bürgerbefragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa ergab für dieses Jahr, dass Beamte in puncto Ansehen unter verschiedensten Berufsgruppen mit 35 Prozent im Mittelfeld liegen. Über die Jahre seit 2008 stiegen Beamte dem Ranking nach auf. Ganz oben in der Rangfolge standen Feuerwehrleute und Krankenpflegepersonal.

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