Spitzen von CDU und CSU warnen SPD vor weiterer Selbstbeschäftigung

Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD, spricht mit Kevin Kühnert (l), Bundesvorsitzender der Jusos und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Foto: Kay Nietfeld/Dpa
Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD, spricht mit Kevin Kühnert (l), Bundesvorsitzender der Jusos und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Foto: Kay Nietfeld/Dpa

BERLIN (dpa) - Nach dem Linksrutsch beim Parteitag der Sozialdemokraten droht der großen Koalition erneut eine Zerreißprobe. Die Union pocht auf den Koalitionsvertrag - und bei der SPD rumort es weiter.

Die Spitzen von CDU und CSU warnen die SPD nach deren Linksschwenk davor, mit neuen Forderungen die Zusammenarbeit in der großen Koalition zu belasten. Der Koalitionsvertrag werde nicht nachverhandelt, «für Selbstbeschäftigungsmaßnahmen steht die Union nicht zur Verfügung», sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nach einer Telefonkonferenz der engsten Unionsspitze am Sonntagabend in Berlin. Daran hatten neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch die Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder (CSU) teilgenommen.

Die Spitzen der beiden Schwesterparteien beraten an diesem Montag in Berlin und München über Konsequenzen aus dem Linksruck beim SPD-Parteitag. Die Sozialdemokraten hatten etwa die perspektivische Überwindung der Schuldenbremse und die Wiedereinführung der Vermögensteuer verlangt. Für die Union sind beide Forderungen rote Tücher. Außerdem beschloss die SPD eine Abkehr von der Sozialagenda 2010 ihres früheren Kanzlers Gerhard Schröder und von Hartz IV. Mit ihrem Kurs riskiert die Partei eine neue Zerreißrobe in der großen Koalition.

Der neue SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans will Spielraum für politische Kompromisse mit der Union erkannt haben, die dem neuen Linkskurs seiner Partei entgegenkommen. Die Kanzlerin habe in ihrer Haushaltsrede mehrere Punkte genannt, die ihn mit Blick auf die zu führenden Gespräche optimistisch stimmten, sagte Walter-Borjans der «Rheinischen Post» (Montag). Bei den Themen Klimaschutz, Vermögensteuer, schwarze Null und E-Mobilität sehe er durchaus Möglichkeiten, den Koalitionspartner zu Zugeständnissen zu bewegen.

Ziemiak hingegen betonte am Sonntagabend, Grundlage für die Zusammenarbeit mit der SPD sei der Koalitionsvertrag - an dieser Grundlage habe sich nichts verändert. «Es muss jetzt um Deutschland gehen und nicht um die SPD», ergänzte Ziemiak. «Wir haben viel zu tun, und diese Aufgaben wollen wir angehen.»

Einen Termin für die nächste Sitzung des Koalitionsausschusses gibt es nach Angaben von Ziemiak noch nicht. Er gehe aber davon aus, «dass wir noch vor Weihnachten einen Koalitionsausschuss haben werden». Bei dem Treffen werde es auch darum gehen, sich kennenzulernen, sagte er mit Blick auf die neuen SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies zentrale Forderungen des SPD-Parteitags als «Linksträumereien» zurück. Er habe verstanden, dass es einen Gesprächswunsch gebe, «und in einer Koalition gehören natürlich Gespräche zum Alltäglichen», sagte er in der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin». «Aber das, was da formuliert worden ist - Schuldenbremse abschaffen, damit das Grundgesetz verändern, Vermögensteuer einführen -, das sind Linksträumereien, und das ist nicht das, über das wir reden können.» Er könne der SPD «nur raten, nicht zu versuchen, jetzt bewusste Konflikte zu schüren und dann Belastungen für diese Koalition zu schaffen».

Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, der CDU-Politiker Carsten Linnemann, kritisierte die Forderung nach einer Vermögensteuer. «Das letzte, was Deutschland jetzt braucht, sind Diskussionen um neue Steuern», sagte er der «Welt» (Montag). Die SPD wisse, «dass das mit uns nicht zu machen ist». Wenn die Sozialdemokraten diese Inhalte «trotzdem fordern und mit dem Kopf durch die Wand wollen, dann müssen sie halt offen sagen: Das war's, wir machen nicht mehr mit».

Die neuen SPD-Chefs Esken und Walter-Borjans sehen im Parteitag ein Signal für innerparteiliche Solidarität. Geschlossen solle es nun weitergehen, betonten die Vorsitzenden am Sonntag und forderten den im Rennen um den Parteivorsitz unterlegenen Vizekanzler Olaf Scholz auf, sich weiter für die SPD zu engagieren.

Doch hinter den Kulissen rumort es weiter: Die SPD-Linke Hilde Mattheis glaubt nicht, dass ihre Partei auf längere Sicht geeint bleibt. «Der Parteitag bereinigt die Konflikte nicht, sondern nimmt sie in die neue Zeit mit», sagte sie den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. «Es gab eine neue linke Idee, die hätte gestärkt werden müssen.» Stattdessen sei die neue Parteiführung zu sehr auf die Gegenseite eingegangen.

Mattheis äußerte auch die Befürchtung, Juso-Chef Kevin Kühnert werde als stellvertretender Parteivorsitzender zu kompromissbereit sein. «Man kann nicht im Establishment sitzen und gleichzeitig linker Impulsgeber sein», meinte sie. Kühnert sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will» mit Blick auf die Parteitags-Themen: «Manches davon wird man vielleicht mit der Union hinkriegen können, anderes ist Futter für den nächsten Wahlkampf.» Kühnert lieferte sich in der Sendung einen Schlagabtausch mit CDU-Generalsekretär Ziemiak etwa zur SPD-Forderung, den Mindestlohn perspektivisch auf 12 Euro anzuheben.

In den nächsten Tagen wollen Esken und Walter-Borjans den Koalitionspartner zum Kennenlernen treffen. Auch Verhandlungen über Nachbesserungen am Kurs von Schwarz-Rot sollen aus ihrer Sicht rasch beginnen. Notfalls wollen die neuen SPD-Chefs die Koalition mittelfristig verlassen.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte der «Passauer Neuen Presse» (Montag), die Partei wolle, dass Handschrift und Programmatik der SPD in der Regierung deutlicher werden. «Es geht nicht um rote Linien und einen Showdown, es geht um Lösungen für Alltagsprobleme.» Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vertrat die Ansicht, dass die große Koalition nach dem Parteitag sicherer dastehe als vor zwei Wochen. «Die Diskussionen auf diesem Parteitag waren von einem spürbaren Realismus geprägt», sagte er der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung». «Ich bin guten Mutes, dass die große Koalition bis zum Ende dieser Legislaturperiode ihre Arbeit fortsetzen kann.»

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