SPD will keinen Koalitionsbruch

Gabriel isoliert

Foto: epa/Hayoung Jeon
Foto: epa/Hayoung Jeon

BERLIN (dpa) - Zwei Tage hat die SPD-Spitze Selbsttherapie betrieben - der Bruch mit Hartz IV führt zu scharfen Reaktionen der Union. Das ist gewollt. Einer, der nicht dabei war, schwebt wie ein Gespenst über allem.

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hat sich klar zur Fortsetzung der großen Koalition bekannt - trotz des Beschlusses für einen Bruch mit dem bisherigen Hartz-IV-System. Die Entscheidung des SPD-Vorstands für ein neues Sozialstaatskonzept habe nichts mit der Arbeit in der Regierung zu tun, sagte Nahles am Montag zum Abschluss einer Klausurtagung der Parteispitze. «Das war null Thema», sagte sie mit Blick auf ein Ende der großen Koalition.

Zugleich betonte sie, dass man versuchen wolle, einiges von dem Konzept auch mit der Union umzusetzen. So stehe ein Urteil des Bundesverfassungsgericht zu den Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger an - je nach Ausgang könnte eine Reform mit weniger Sanktionen dann Thema für die Koalition werden. «Das ist erstmal eine Positionierung und klare Aufstellung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands», sagte Nahles. «Ich gehe nicht davon aus, dass wir das ganze Paket noch in dieser Legislaturperiode umsetzen können.»

Das SPD-Sozialstaatskonzept sieht weniger Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger bei Auflagenverstößen vor, einen längeren Bezug des höheren Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose und mehr gezielte Qualifizierung. Ab 58 Jahren soll es nach dem Willen der Sozialdemokraten bis zu drei Jahre Arbeitslosengeld I geben, um langjährige Einzahler zu belohnen und Gerechtigkeitslücken im System zu schließen. Nahles bestritt, dass dies Arbeitslosigkeit verfestigen und eine Frühverrentungswelle befördern könnte.

Die Finanzierung ist allerdings bisher unklar. Möglich sind mittelfristig eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung einer Vermögensteuer. «Erstmal haben wir momentan Steuereinnahmen, die sind da», sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im ZDF. Für den Erhalt des Sozialstaates müsse man «auch Superreiche zur Verantwortung ziehen». Und: «Die Vermögensteuer ist ein Punkt, über den wir als SPD nachdenken.» Er beobachte, dass «die Kluft in diesem Land zwischen Arm und Reich» auseinandergehe.

Ein Überblick über wichtige Erkenntnisse des SPD-Treffens:

REVISIONSKLAUSEL: In der SPD wurden am Montag Spekulationen über das Provozieren eines Koalitionsbruchs als abwegig zurückgewiesen. Es gehe um das Schärfen des eigenen Profils und ein Angebot für künftige Wahlkämpfe. Mit Blick auf die «Revisionsklausel» - eine Bewertung der Koalition und eine Entscheidung über die Fortsetzung -, betonte Nahles, das Prozedere wolle man gemeinsam mit CDU/CSU beraten. «Wir werden auch den Zeitplan mit der Union absprechen.» Bisher ist unklar, wann die «Halbzeit»-Bewertung der Koalition erfolgen soll. In der SPD wird als eine Option der für Anfang Dezember in Berlin geplante Parteitag gehandelt.

GUTE LAUNE: SPD-Chefin Andrea Nahles kann etwas aufatmen. Wo zuletzt immer offener über ihre Ablösung diskutiert wurde und Altkanzler Gerhard Schröder einem Comeback von Sigmar Gabriel das Wort redete, ist Nahles bis zur Europawahl am 26. Mai und der parallel stattfindenden Bremen-Wahl erst einmal gerettet. Und immerhin konnte die SPD nach ihrem Ideenfeuerwerk in Umfragen wieder leicht zulegen, auf bis zu 17 Prozent. Mit der Ersetzung von Hartz IV durch das «Bürgergeld»-Konzept versucht Nahles, die tiefe Wunde der Partei zu heilen - aber vor allem ist es Munition für künftige Wahlkämpfe. Juso-Chef Kevin Kühnert nennt den Schwenk nach links einen «Befreiungsschlag».

GABRIELS EIGENTOR: Der Ex-SPD-Chef hat mit seinen Sticheleien gegen Nahles und den Zweifeln an der Koalition ein Eigentor geschossen. Von der «beleidigten Leberwurst aus Goslar» war beim abendlichen Treffen der Parteiführung im Kreuzberger Braugasthaus Dolden Mädel die Rede. Er könne die Ausbootung als Außenminister durch Nahles nicht verwinden. Und habe sich nun selbst aus dem Spiel für ein Comeback genommen, «statt einfach die Klappe zu halten». Vergleiche zu dem «Mann-mit-den-Haaren-im-Gesicht»-Ausrutscher bei Martin Schulz wurden gezogen - Gabriel zeige bei allem Talent mal wieder seine Defizite.

GRUNDRENTE: Das ist das einzige Lieblingsprojekt der SPD mit zeitnaher Aussicht auf Umsetzung, weil es im Koalitionsvertrag steht. Der Streit mit der Union dreht sich darum, ob es eine Bedürftigkeitsprüfung geben soll oder nicht - bei der Mütterrente wurde darauf verzichtet, so bekommt auch die Gattin des reichen Anwalts diese Leistung. Arbeitsminister Hubertus Heil soll nun rasch einen Entwurf vorlegen. Er plant eine Aufstockung um bis zu 447 Euro im Monat für Geringverdiener, die 35 Jahre lang Beiträge gezahlt haben. Das kann rund 5 Milliarden Euro im Jahr kosten. Die CDU will die SPD-Sozialpläne im Koalitionsausschuss an diesem Mittwoch zur Sprache bringen.

QUATSCH: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil meint mit Blick auf Vorhaltungen von CDU-Vize Volker Bouffier, die SPD beerdige gerade die soziale Marktwirtschaft: «Das ist sicher Quatsch». Es gehe um mehr Gerechtigkeit und die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt hätten sich grundlegend geändert, auch durch die Digitalisierung. Aber die Debatte zeigt: Die Profilschärfung hilft dem politischen Wettbewerb, Unterschiede werden wieder klarer - und seit weniger über Flüchtlinge geredet wird, stagniert auch die AfD. Deren Fraktionschefin Alice Weidel betont, die SPD ziele darauf ab, die Mittelschicht weiter zu schröpfen. Besser wäre es, Einkommen unter 2.000 Euro pro Monat gar nicht mehr zu besteuern. «Nicht das Gießkannen-Prinzip dient Deutschland, sondern der Fleiß seiner Bürger.» Die AfD hat bisher kein eigenes ausformuliertes Konzept.

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Ingo Kerp 13.02.19 13:16
Einige geforderten Punkte der SPD hat die CDU schon eine Absage erteilt. Damit dürfte die große Besprechnung der SDP nicht mehr sein, als der Versuch, ein eigenes Profil zu finden. Da sie aus wohlerwogenen Gründen die Koalition nicht verlassen moechte, da sie sonst in der Versenkung verschwinden würde, wird sie, wie gehabt, auch in diesem Fall wieder klein beigeben. Die SPD versucht verzweifelt etwas zu finden, damit sie zum Ende der Legislaturperiode nicht auf der Oppositionsbank wieder zu finden ist, wo sie wahrscheinlich noch nicht mal den Oppositionsführer stellen kann.
Jürgen Franke 12.02.19 23:33
Die Wähler haben in drei Landtagswahlen
die Möglichkeit, der SPD ihre Meinung zu sagen. Ein Ziel wurde schon erreicht, da die Umfrageergebnisse zur AfD negativ sind.