LONDON: Im September 1969 fand im kanadischen Toronto ein Musikfestival statt, das in mehrfacher Hinsicht als historisch gilt. Das Toronto Rock and Roll Revival war zwar weder so groß noch so ikonisch wie das berühmte Woodstock Festival, das einen Monat zuvor stattgefunden hatte. Doch es hatte angeblich große popkulturelle Auswirkungen. «Das Konzert, das die Beatles zerstörte: Toronto 1969» heißt ein Dokumentarfilm, der am Freitag um 22.40 Uhr beim Sender Arte läuft und noch zwei Monate lang in der Mediathek verfügbar ist.
Das gigantische Line-up klingt noch heute beeindruckend. Neben Rock'n'Roll-Legenden wie Chuck Berry, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Bo Diddley und Gene Vincent traten in Toronto damals angesagte und junge Bands wie Chicago, die Alice Cooper Band und als Headliner The Doors auf. Als eine Art Überraschungsgast trat Beatle John Lennon erstmals mit seiner Plastic One Band auf. Zusammen mit Yoko Ono, Gitarrist Eric Clapton, Bassist Klaus Voormann und Yes-Schlagzeuger Alan White gab er ein überwiegend improvisiertes Konzert, für das alle Beteiligten erst im Flugzeug geprobt hatten.
Der deutsche Titel des Films von Ron Chapman ist allerdings etwas irreführend, denn um John Lennon und die Beatles geht es zwar auch, aber nicht nur. Der gleichermaßen kuriose wie wegweisende Auftritt der Plastic Ono Band ist nur ein Aspekt der Doku, deren Originaltitel anders lautet: «Revival 69: The Concert That Rocked The World».
In 90 Minuten erzählt der Film, wie es überhaupt dazu kam, dass Lennon, der mit den Beatles seit drei Jahren kein Konzert mehr gespielt hatte, kurzfristig nach Toronto kam. Zu einer Zeit, als große Musikfestivals noch nicht die Norm waren, dachten sich zwei junge Unternehmer das Toronto Rock and Roll Revival aus, für das trotz vieler großer Namen zunächst kaum Tickets verkauft wurden.
«Es war bedeutungslos, bis es plötzlich zum wichtigsten Ereignis der Welt wurde», erzählt John Brower vor der Kamera. Als 22-Jähriger hatte der Produzent und Talentscout mit seinem Geschäftspartner Ken Walker, der ebenfalls erst 23 Jahre alt war, das Projekt auf die Beine gestellt. Lennon und Co. buchte das Duo aber erst wenige Tage vorher in einem letzten Versuch, den Verkauf anzukurbeln.
Um ein Haar hätte der Beatles-Star kurz vor dem Abflug nach Toronto sogar noch abgesagt, was Brower in große Schwierigkeiten gebracht hätte. Denn das Geld dafür hatte er von der kanadischen Motorrad-Gang The Vagabonds geliehen. Denn Brower hatte dem Vagabonds-Gründer Edjo Leslie versprochen, dass Lennon kommen würde. Leslie, der eine Eskorte mit 80 Motorrädern organisierte, kommt im Film ebenfalls zu Wort.
Alice Cooper, der als Newcomer auftrat und für den Tod eines Huhns verantwortlich gemacht wurde, Rush-Sänger Geddy Lee, der im Publikum war, und Doors-Gitarrist Robby Krieger erzählen von damals - dazu der legendäre Musikmanager Shep Gordon, DJ Rodney Bingenheimer, Sängerin Claudja Barry und das Filmteam von D.A. Pennebaker. Für Pennebakers Film «Sweet Toronto» fingen seine Mitarbeiter das Geschehen mit zahlreichen Kameras und Mikrofonen ein. Nur der Headliner-Gig der Doors wurde nicht gefilmt - wohl Jim Morrisons Entscheidung, wie Krieger vor der Kamera mutmaßt. Schade.
Überwältigt vom eigenen Auftritt, bei dem er das erste Mal «Give Peace A Chance» live sang und Yoko Ono ohrenbetäubend in einem Wäschesack kreischte, soll John Lennon seinen Beatles-Kollegen das Ende der Band verkündet haben. Doch Ron Chapmans Film ist längst nicht nur deshalb sehenswert. Durch die vielen Zeitzeugen und die Originalaufnahmen von Pennebakers Crew entsteht ein faszinierendes und rundes Bild dieses fast vergessenen Festivals und einer spannenden Zeit der Musikgeschichte.