Mit mildem Lockdown in die Weihnachtstage

Hunderte von Menschen warten darauf, den traditionellen Weihnachtsmarkt Santa Llucia in der Innenstadt von Barcelona zu betreten. Foto: epa/Alejandro Garcia
Hunderte von Menschen warten darauf, den traditionellen Weihnachtsmarkt Santa Llucia in der Innenstadt von Barcelona zu betreten. Foto: epa/Alejandro Garcia

MADRID: Spanien war der Corona-Hotspot Europas. Aber während Deutschland in einen harten Lockdown geht, sind in Madrid und Barcelona Geschäfte und Bars gut besucht, Weihnachtsmärkte offen. Und die Corona-Zahlen sind niedriger als in Deutschland. Der Versuch einer Erklärung.

«Alles wieder viel besser hier», so begrüßt eine Frau aus Madrid freudig ihren Bekannten, den sie zuletzt Ende August gesehen hat. Früher als in Deutschland rollte damals die zweite Corona-Welle in Spanien an, bis Anfang November stieg die Zahl der Neuinfektionen auf über 240 je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen.

Die Behörden reagierten mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die aber nie so drastisch waren wie das, was Deutschland jetzt bevorsteht. Früher als in Deutschland sanken die Zahlen auch wieder, der Sieben-Tage-Wert betrug nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Dienstagabend gut 98 - zwar gerade wieder mit leicht steigender Tendenz - aber in Deutschland liegt der Wert weit höher bei 180.

Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez warnte seine Landsleute sogleich vor einer möglichen Verschärfung der Maßnahmen gegen Corona, sollten die Zahlen auch in den kommenden Tagen weiter steigen. «Diese Weihnachten entscheidet sich, ob wir eine dritte Welle vermeiden können», sagte der Sozialist am Mittwoch im Parlament in Madrid. Das bisher Erreichte sei sehr positiv, betonte Sánchez unter Hinweis auf den starken Rückgang der Infiziertenzahlen der vergangenen Wochen.

Seine Regierung werde aber nicht zögern, die Maßnahmen in Kooperation mit den Regionen auch über Weihnachten zu verschärfen, sollten die Corona-Zahlen nun wieder steigen. «Die beste Art, Ansteckungen zu vermeiden, ist so zu tun, als ob wir alle infiziert wären und nicht genau wüssten, ob wir ansteckend sind», betonte Sánchez.

Vorerst aber genießen viele Spanier die relative Freizügigkeit. Wer an den Wochenenden vor Weihnachten durch die Innenstadt von Madrid geht, traut seinen Augen kaum. Trotz der Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen und Obergrenzen bei der Anzahl der Besucher in Gaststätten, Geschäften, Kinos, Theatern und Museen sind an den Wochenenden vor Weihnachten in den Innenstädten Madrids oder Barcelonas Massen von Menschen unterwegs.

An der Puerta del Sol im Zentrum Madrids bahnt sich ein Elektro-Polizeiauto ganz langsam einen Weg durch die Menge. Die wird über einen plärrenden Lautsprecher immer wieder dazu aufgerufen, doch bitte den Sicherheitsabstand und die Hygieneregeln einzuhalten. Unmöglich in dem Gedränge. Auf der Plaza Mayor ist ein Weihnachtsmarkt aufgebaut, Stände locken mit Weihnachtsdekoration, Süßigkeiten und dem üblichen Tinnef.

Vor dem berühmten Museum Reina Sofía, wo seit dem 11. November eine Sonderschau über die niederländische Künstlergruppe De Stijl zu sehen ist, drehen besonders wagemutige Spanier ihre Runden auf einer Eislaufbahn, die kurz vor Weihnachten aufgebaut wurde. Cafés, Restaurants und die beliebten Tapa-Bars sind an Wochenenden rappelvoll. Nur die Gesichtsmasken stören das Bild. Wie hat es Spanien geschafft, sich vom Corona-Hotspot zu dem Land mit einer der niedrigsten Infektionszahlen Westeuropas zu entwickeln?

Die Gegenmaßnahmen waren von Region zu Region unterschiedlich. Während Katalonien zeitweise das öffentliche Leben stark herunterfuhr, verzichtete etwa Madrid auf Zwangsschließungen von Geschäften und Gaststätten. Auch Reisen innerhalb des Landes wurden stark begrenzt, zum Teil durften die Menschen am Wochenende nicht einmal ihre Heimatgemeinde verlassen. Die Zahl der Menschen, die sich im öffentlichen Raum oder Zuhause treffen dürfen, wurde begrenzt. Derzeit sollen sich nicht mehr als zehn Menschen aus zwei Haushalten privat treffen.

Die Geschäfte und Schulen blieben aber offen.

Die Frage, warum die Zahlen dennoch gesunken sind, ist auch für den Professor für öffentliche Gesundheit, Ildefonso Harnández, von der Universität Miguel Hernández in Elche schwer zu beantworten. Den Experten fehlten für verlässliche Antworten wichtige Daten. «Wir können Infektionszahlen messen, die Auslastung der Intensivbetten, Todeszahlen, aber wir wissen so gut wie nichts darüber, wie sich die Menschen im privaten Bereich verhalten», sagt er in einem Video-Interview. «Wissen wir denn, ob sich die Menschen zuhause an die Vorsichtsmaßnahmen halten?», gibt er zu bedenken.

Die Verhalten eines jeden Einzelnen sei aber entscheidend. So hätten die Infektionszahlen in Madrid ab dem 23. September zu sinken begonnen, zeitgleich mit den ersten, von der Regionalregierung angeordneten sehr milden Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Da es in etwa 14 Tage dauere, bis sich Gegenmaßnahmen in niedrigeren Infektionszahlen bemerkbar machten, hätten die Menschen offenbar schon lange vor der Politik aus eigenem Antrieb auf die Berichte über die damals dramatische Entwicklung reagiert.

Dennoch treibt die Behörden die Sorge über die Folgen der derzeitigen Laxheit um. So hat die Regionalregierung Mallorcas wegen auch dort wieder anziehender Corona-Infektionen die Maßnahmen über Weihnachten gerade wieder verschärft. Die Sorge ist, dass Spanien von einer dritten Welle abermals früher getroffen werden könnte, und zwar noch bevor die näherrückenden Impfungen ihre Wirkung entfalten können.

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