Soldaten aus Stahlwerk in Gefangenschaft

​Finnland will in die Nato

Russische Soldaten filzen ukrainische Soldaten, als sie aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal in Mariupol evakuiert werden. Foto: epa/Presse Des Russischen Verteidigungsministeriums S
Russische Soldaten filzen ukrainische Soldaten, als sie aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal in Mariupol evakuiert werden. Foto: epa/Presse Des Russischen Verteidigungsministeriums S

KIEW: Stockholm und Helsinki unterzeichnen historische Anträge auf eine Nato-Mitgliedschaft, die sie am Mittwoch im Brüssel überreichen wollen. Der Widerstand im Mariupoler Stahlwerk Asovstal scheint gebrochen. Kiew will Friedensgespräche nur mit konkreten Vorschlägen.

Die Ukraine und Russland haben die Verhandlungen zur Beendigung des seit fast drei Monaten andauernden russischen Angriffskrieges vorerst ausgesetzt. Russland näherte sich derweil mit der Gefangennahme von mehr als 260 ukrainischen Soldaten aus dem belagerten Stahlwerk Asovstal weiter der vollständigen Eroberung der strategisch wichtigen Hafenstadt Mariupol. Die nordischen Länder Schweden und Finnland unterzeichneten am Dienstag als Reaktion auf den Krieg Mitgliedsanträge für die Nato und wollen sie am Mittwochmorgen gemeinsam in Brüssel einreichen.

Fragezeichen um Austausch der Gefangenen von Azovstal

In den anhaltenden Kampf um die letzte Bastion der Ukrainer in Mariupol, das Stahlwerk an der Küste des Asowschen Meeres, ist Bewegung gekommen. «In den vergangenen 24 Stunden haben 265 Kämpfer, darunter 51 Schwerverletzte, ihre Waffen niedergelegt und sich in Gefangenschaft begeben», sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Dienstag. In Kiew war von 264 Gefangenen und 53 Schwerverletzten die Rede.

Moskau veröffentlichte ein Video, das die Gefangennahme der Ukrainer, medizinische Behandlung sowie den Abtransport der Verletzten zeigen soll. Kiew hofft auf einen Austausch gegen russische Kriegsgefangene, Russlands Militär ließ einen solchen Schritt zunächst offen. Unklar ist auch, was mit den im Werk verbliebenen Soldaten passiert. «Wir arbeiten an weiteren Etappen der humanitären Operation», schrieb die ukrainische Vize-Regierungschefin, Iryna Wereschtschuk, bei Telegram.

Kiew macht Verhandlungen von Rückzug russischer Truppen abhängig

Die Gespräche zur Beendigung des Krieges zwischen Moskau und Kiew sollen nur bei konkreten Vorschlägen wieder aufgenommen werden. Das sagte Kiews Unterhändler Mychajlo Podoljak am Dienstag. Auch Russland bestätigte das vorläufige Ende von Gesprächen. Eine gesichtswahrende Lösung für Kremlchef Wladimir Putin lehne Kiew ab, sagte Podoljak. Zudem könne man über einen Waffenstillstand nur nach einem vollständigen Rückzug russischer Truppen diskutieren. «Der Krieg endet nicht, wenn wir irgendetwas aufgeben», so Podoljak. Nur eine vollständige Befreiung aller besetzten Territorien sei akzeptabel.

Verhandlungen waren am Dienstag auch Thema bei einem Telefonat zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit mitteilte, tauschten sich die Politiker über die militärische und humanitäre Lage in der Ukraine aus. Den Angaben zufolge waren sich Scholz und Selenskyj darüber einig, «dass eine diplomatische Verhandlungslösung zwischen der Ukraine und Russland» erforderlich ist.

Schweden und Finnland unterzeichnen Antrag auf Nato-Beitritt

Schweden und Finnland nehmen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gemeinsam Kurs auf die Nato. Am Mittwochmorgen wollten die nordischen Länder ihre Mitgliedsanträge bei der Nato einreichen. Sie geben damit ihre lange Tradition der militärischen Bündnisfreiheit auf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte die Anträge als «historischen Schritt für das Verteidigungsbündnis und für Europa». «Deutschland wird sich dafür einsetzen, dass das Beitrittsverfahren sehr zügig vonstattengeht.» Den Anträgen müssen alle 30 Nato-Staaten zustimmen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow spielte die Folgen eines Nato-Beitritts der Länder herunter. «Finnland, Schweden und andere neutrale Länder nehmen seit vielen Jahren an Nato-Militärübungen teil, die Nato berücksichtigt ihr Territorium bei der militärischen Planung der Bewegung nach Osten», sagte Lawrow. «Daher gibt es in diesem Sinne wahrscheinlich keinen großen Unterschied.» Russland werde die Situation beobachten.

Die Türkei droht damit, die Norderweiterung zu blockieren und begründet dies mit der angeblichen Unterstützung der Nordländer etwa für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Präsident Recep Tayyip Erdogan will nur gegen Zugeständnisse zustimmen. Diplomaten zufolge könnten auch Waffengeschäfte eine Rolle spielen. Hoffnung ist nun, dass Gespräche des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in New York Bewegung in den Streit bringen könnten.

Weltstrafgericht schickt größtes Ermittlerteam in die Ukraine

Im Zuge der Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine hat der Internationale Strafgerichtshof ein Team von 42 Experten in das Land entsandt. Es sei das bisher größte Ermittler-Team, das das Weltstrafgericht jemals entsendet habe, teilte Chefankläger Karim Khan am Dienstag mit. Die Experten sollen Zeugen befragen, Beweismaterial sichern und analysieren sowie nationale Ermittler unterstützen. Das Gericht mit Sitz in Den Haag verfolgt Einzeltäter wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Russland erkennt das Gericht nicht an. Die Ukraine hat ausdrücklich die Zuständigkeit des Gerichts für sein Grundgebiet anerkannt.

G7 beraten über Milliardenhilfen für Ukraine

Die führenden westlichen Industrienationen (G7) beraten über milliardenschwere Zuschüsse für die Ukraine. Beim Treffen der G7-Finanzminister in dieser Woche auf dem Petersberg bei Bonn wollen sie Budgethilfen für das Land auf den Weg bringen, wie die Deutsche Presse-Agentur aus dem Umfeld des Finanzministeriums erfuhr. Demnach hat die Ukraine für drei Monate um Hilfen in einer Größenordnung von rund fünf Milliarden Euro pro Monat gebeten. Insgesamt geht es also zunächst um rund 15 Milliarden Euro. Die Ukraine braucht das Geld, um etwa Renten und Staatsbedienstete zu bezahlen. Unklar ist, ob die gesamte Summe als Zuschuss oder ein Teil als Darlehen gewährt wird.

Militärexperte erstaunt mit Kriegskritik in Russlands Staatsfernsehen

Im russischen Staatsfernsehen hat ein Militärexperte die Zuschauer einer Talkshow mit einer pessimistischen Bewertung des Ukraine-Kriegs überrascht. Die ukrainischen Streitkräfte seien weit von einem Zerfall entfernt und Russland in der Welt durch den Krieg isoliert, sagte Michail Chodarjonok in einer am Montag ausgestrahlten Show, die am Dienstag in sozialen Netzwerken viel kommentiert wurde. In der Sendung widersprach der ehemalige Generalstabsoffizier etwa einer Reihe von Behauptungen der Staatspropaganda, die er als «Info-Beruhigungstabletten» kritisierte. Moskau müsse einen Ausweg aus der Lage finden, «dass die ganze Welt gegen uns ist». Seine Aussagen stießen auf großes Interesse, auch weil kritische Stimmen in Russland seit Kriegsbeginn weitgehend ausgeschaltet wurden.

Britischer Geheimdienst ortet «wahllosen» Beschuss als Strategie

Die russischen Streitkräfte setzen nach britischen Erkenntnissen zunehmend auf «wahllosen Artilleriebeschuss». Russland habe nur begrenzte Möglichkeiten zur Erfassung von Zielen und scheue zudem das Risiko, Kampfflugzeuge über ukrainisch kontrolliertem Gebiet einzusetzen, teilte das Verteidigungsministerium in London mit.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.