Menschen, die Sklaven ihrer Gefühle sind, haben keine Gewalt über sich. Sie sind unfrei und jeglichem Unglück ausgesetzt, da sie leicht zu Opfern ihrer aufwallenden Erregungen werden und in diesem Zustand unberechenbar sind. Der Westen galt früher als der Prototyp dafür, der immer wieder neue Kriege und Rachefeldzüge angezettelt hat.
Heutzutage steht der Osten ihm darin kaum nach. Insbesondere im Land der Freien kämpfen ihre Bewohner oft vergeblich gegen das Aufbrausen ihrer Gefühle an. Ein falsches Wort durch das ein Thai glaubt, sein Gesicht verloren zu haben, kann zu nicht absehbarer Gewalt führen, und jedes Mittel ist ihm recht, seine Ehre wiederherzustellen. Der Verursacher dieses Gesichtsverlustes ist gut beraten, seine Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen, soweit ihn seine Füße tragen. Denn in der Wahl der Mittel für seine Rache kennt der verletzte Thai keinen Unterschied: Messer, Pistole, Gift oder Eisenstab, alles ist ihm in seinem Zerstörungsrausch recht. In einem mir bekannten Fall ging das beleidigte Opfer allerdings taktisch vor: Ein Farang hatte eine Thai geheiratet, die ihren thailändischen Ehemann als Bruder ausgegeben hatte. Der zum Bruder degradierte Thai-Ehemann sann auf Rache, aber solange er gut versorgt wurde, hielt er still und seine verletzten Gefühle im Zaum. Als seine als Abfindung angesehene Versorgung immer weniger wurde, begann er sein teuflisches Spiel. Er mixte unter die Getränke und Speisen seiner Frau und ihres Farang kleine Giftmengen, die er peu a peu steigerte, bis die beiden schwer erkrankten und schließlich starben. Dann riss er das Erbe an sich, da weitere Angehörige nicht ermittelt werden konnten. In Thailand sind Racheakte zur Wiederherstellung des verlorenen Gesichtes an der Tagesordnung. Häufig liest man von Schülern verschiedener Berufsschulen, die sich gegenseitig so lange beschimpfen, bis das Fass überläuft und sie sich schließlich in einem mörderischen Kampf aufeinander stürzen. Bei diesem Blutbad sind Tote von vornherein eingeplant. Die Polizeiakten quellen über von solchen kriminellen Geschichten. Dem Autor dieser Zeilen wäre es um ein Haar auch schlecht ergangen: Der Fahrer eines 10-Baht-Taxis bog in eine Richtung ein, in die er nicht wollte. Als einziger Gast klingelte er einmal, zweimal, dreimal, aber der Fahrer stoppte nicht. Auf das Dauerklingeln des Fahrgastes hielt er schließlich an. Wutentbrannt, mit einer Eisenstange in der Hand, kam er auf den Farang zu. Der nahm, so schnell er konnte Reißaus, denn dieser Typ sah nicht so aus, als wollte er spaßen.
Die Gewalttaten spielen sich überall im Land ab, häufig im armen Isaan, wo der Diebstahl eines Büffels oft ein ganzes Dorf dazu veranlasst, den Kamoe zu bestrafen, was zu dessen Tod führen kann. Die Gerichte sahen solche Vergeltungsmaßnahmen bisher als gerecht an und verhängten oft keine Strafen oder nur sehr geringfügige. Manchmal fragt man sich, wo die Gerechtigkeit bleibt. Der Sohn eines reichen Unternehmers, der einem Motorradfahrer, der ihm nicht rechtzeitig auswich, absichtlich zu Tode fuhr, lebt heute noch – nach Jahren – frei und unbescholten in Bangkok. Auch lärmende Kinder können dazu führen, dass ein Vater in seiner Wut die eigene Brut erschießt, wie erst vor kurzem in Chiang Mai geschehen, wo der Vater sich anschließend selbst erschoss. Oft passieren diese aggressiven Taten allerdings unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol. Wie erklären Psychologen sich das auffällige Verhalten? Einer sagte mir, die Libido dieser Menschen sei in der Kindheit und frühen Jugend massiv unterdrückt worden. Oom, den ich schon seit einigen Jahren kannte, ließ sich auf eigenen Wunsch in eine Klinik einweisen, weil er spürte, dass er sein jähzorniges Verhalten nicht unter Kontrolle hatte. Es hat ihm nicht geholfen. Nach seiner Entlassung hat er einen Dorfvorsteher in seiner Gemeinde erschlagen mit der Begründung: „Der hat mich blöd angeschaut.“ Ähnliche Fälle kann man täglich nachlesen. Ein Thai in Pattaya vermutete, seine Frau würde ihn mit einem Farang betrügen, ohne einen Beweis für seinen Argwohn zu haben.
Er steigerte sich so in die Rolle des gehörnten Ehemanns hinein, dass er dem Farang auflauerte und ihn erschoss. Anschließend brache er seine Ehefrau um. Er hat nun mindestens vierzig Jahre lang Zeit, im Gefängnis über seine unbeherrschte Tat nachzudenken. Ein anderer Fall betraf eine Thai aus Phuket, die von ihrem deutschen Liebhaber nach zwei Jahren verlassen worden war. Im höchsten Grade beleidigt, wütend und verletzt, hatte sie beim letzten Zusammentreffen mit ihrem Verflossenen, als sie ihre Habe aus dem bislang gemeinsam bewohnten Apartment abholte, ein kleines Päckchen mit Drogen unter dem Bett versteckt. Dann rief sie die Polizei an und forderte sie anonym auf, eine Untersuchung der Wohnung wegen Drogenbesitzes vorzunehmen. Der Farang mochte hinterher noch so oft und heftig bestreiten, der Besitzer dieser Drogen zu sein, er wurde trotzdem vorerst in Untersuchungshaft genommen. Da er lauthals immer wieder seine Unschuld beteuerte und seine Ex-Geliebte verdächtigte, knöpfte die Polizei sich diese Dame vor. Schließlich brach sie unter dem massiven Vorwurf zusammen und gestand ihre Tat. Nicht immer geht es so gut aus. Ein Thai in der Nähe von Buriram sah sich plötzlich einem massenweisen Angriff im Internet ausgesetzt, obwohl er sich keiner Schuld bewusst war. Daraufhin wurde er auch von seinen Nachbarn angegriffen, gemieden und schließlich sogar bedroht. Einige Tag wuchs die Wut in ihm an, bis sie unbeherrschbar wurde. Aus dem Fenster im ersten Stockwerk seines Hauses schoss er dann blindwütig auf die Leute, die sich davor versammelt hatten, um ihn zu bewegen, in eine andere Stadt zu ziehen. Als die Polizei sein Haus stürmte, machte er seinem Leben eigenhändig ein Ende. All die hier geschilderten Fälle sind natürlich kein ausschließlich thailändisches Phänomen, es häuft sich nur hierzulande. Deshalb sei allen Farangs angeraten, ihre Worte vorsichtig zu wählen, wenn sie mit einem Thai in Streit geraten. Bei Gesichtsverlust droht höchste Gefahr.
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