KIEW/MOSKAU/PEKING: Die ukrainischen Truppen sind im Kampf gegen Russlands Angriffskrieg besonders in der Region Charkiw unter Druck. Derweil trifft Kriegsherr und Kremlchef Putin zu Gesprächen in China ein.
? In der massiv von russischen Truppen angegriffenen Region Charkiw im Osten der Ukraine hat sich die Lage nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj teils stabilisiert. «Der Besatzer, der in die Region Charkiw eingedrungen ist, wird mit allen verfügbaren Mitteln vernichtet», sagte Selenskyj in seiner am Mittwoch in Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft. «Artillerie, Drohnen und unsere Infanterie arbeiten ziemlich akkurat.» Es sei gelungen, die Situation teils zu stabilisieren.
Die Lage im Gebiet Charkiw ist durch die russischen Gebietsgewinne der vergangenen Wochen extrem gespannt. Der ukrainische Generalstab sprach von intensiven Gefechten. Gleichwohl hatten auch westliche Militärexperten nun eine Verlangsamung der russischen Angriffe festgestellt.
Selenskyj sagte wegen der schwierigen Situation alle Auslandsreisen ab - und schilderte in seiner Videobotschaft, dass besonders in der Stadt Wowtschansk nahe der russischen Grenze die Verteidigungsaktivitäten der ukrainischen Truppen fortgesetzt würden. Zugleich konzentrierten sich die Streitkräfte auch auf andere Richtungen, darunter die Stadt Kupjansk im Gebiet Charkiw und im Gebiet Donezk um die Stadt Pokrowsk.
Der ukrainische Präsident betonte einmal mehr, dass sein Land mit allen Mitteln ausgestattet werden müsse, um den Feind zurückzuschlagen. «Die Welt hat die Kraft, sie hat die Waffen, sie hat die Fähigkeit, Russland zum Frieden zu zwingen ? zu einem gerechten Frieden», sagte Selenskyj. Es müsse alles dafür getan werden, dass die russische Offensive und Moskaus Versuch scheiterten, den Krieg auszuweiten.
Ukraine-Konferenz: Mehr als 50 Zusagen - aber noch nicht von China
Die Ukraine setzt ihre Hoffnungen auch auf eine erste hochrangig besetzte Konferenz in der Schweiz, auf der ein Weg zum Frieden ausgelotet werden soll. Einen Monat vor der Konferenz haben schon mehr als 50 Länder ihre Teilnahme zugesagt, aber ein besonders wichtiges fehlt: «China hat sich bis jetzt noch nicht angemeldet», räumte die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd am Mittwoch nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin ein. Sie fügte aber hinzu: «Wir gehen davon aus, dass es bis zum letzten Moment Veränderungen auf dieser Teilnehmerliste geben wird.»
Die Schweiz hat für den 15. und 16. Juni rund 160 Länder eingeladen, um über mögliche Wege zu einem dauerhaften Frieden in der Ukraine zu reden. Russland, das die Ukraine vor gut zwei Jahren angegriffen hat, hat keine Einladung erhalten. Die Initiative für die Konferenz geht von Präsident Selenskyj aus, der auf einer Umsetzung seines Friedensplans besteht. Seine Kernforderung ist ein russischer Truppenabzug aus allen besetzten Gebieten der Ukraine. Moskau wies den Plan als realitätsfern zurück.
Für einen Erfolg der Konferenz wird es nun als entscheidend angesehen, dass nicht nur die westlichen Verbündeten der Ukraine dabei sind, sondern auch einflussreiche mit Russland befreundete Staaten - allen voran China, der wichtigste Verbündete Moskaus. Aber auch die G20-Staaten Indien, Brasilien und Südafrika sind weiterhin eng mit Moskau verbunden. Rund die Hälfte der Zusagen komme von nicht-europäischen Ländern, heißt es aus der Schweiz.
Scholz hat seine Teilnahme bereits angekündigt und bei seinem Besuch in Peking im April auch für die Konferenz geworben. Mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping vereinbarte er aber lediglich, über das Treffen in der Nähe von Luzern im Gespräch zu bleiben.
Russlands Präsident Putin reist nach China
Am Donnerstag und Freitag weilt Putin in Peking, um Xi zu treffen. «Natürlich ist das ein Treffen, das wir genau verfolgen», sagte Scholz dazu. Er würde sich wünschen, dass die Gespräche Putin der Erkenntnis näher bringen, «dass er sich bewegen muss, dass er Truppen zurückziehen muss und die Möglichkeit für einen gerechten Frieden, der kein Diktatfrieden ist, eröffnen muss».
Xi Jinping hat den Kremlchef zu der Visite in Peking und der nordchinesischen Industriegroßstadt Harbin eingeladen. Es ist Putins erste Auslandsreise, seit er vor etwas mehr als einer Woche seine fünfte Amtszeit antrat. Der 71-Jährige wurde in der Nacht zum Donnerstag in Peking mit militärischen Ehren empfangen.
Bei den Gesprächen soll es auch um den Krieg in der Ukraine gehen. Putin wird unter anderem vom frisch ernannten Verteidigungsminister Andrej Beloussow und dessen Vorgänger Sergej Schoigu begleitet, der künftig als Sekretär des nationalen Sicherheitsrates auch für Rüstungsfragen zuständig ist.
Die beiden Atommächte sind wirtschaftlich eng verflochten. Russland ist durch seinen Angriffskrieg in der Ukraine von weitreichenden Sanktionen des Westens betroffen und braucht China als Handelspartner. Peking gibt sich in dem Konflikt nach außen zwar neutral, gewährt Moskau damit faktisch aber Rückendeckung. Bisherige Vorschläge aus China zur Lösung des Ukraine-Krieges trugen bislang keine Früchte. Auch verurteilte die chinesische Regierung den Überfall bislang nicht.
Kremlchef: Russlands Generalstab hat sich um Krieg bewährt
Putin hatte vor seiner Abreise betont, dass es im Generalstab unter dessen Chef Waleri Gerassimow, der für die Kampfhandlungen in der Ukraine verantwortlich ist, keine strukturellen Veränderungen geben werde. «Dieser Block der Gefechtsarbeit hat sich bewährt, er funktioniert rhythmisch, läuft erfolgreich, und hier sind keine Veränderungen geplant.»
Putin hatte erklärt, dass er den Wirtschaftsexperten und Zivilbeamten Beloussow als Minister eingesetzt habe, weil die Rüstungsausgaben des Landes extrem gestiegen seien. Für deren ordentliche Verteilung und Verwendung brauche es einen Ökonomen. Beloussow soll auch Innovationen und eine Modernisierung im Militär durchsetzen. Putin forderte, die Anstrengungen in der Rüstungsindustrie zu verdoppeln und zu verdreifachen, um der Ukraine in dem Krieg dauerhaft überlegen zu sein.