Wenn die Zeiten und die Lebensumstände sich massiv verändern, dann muss auch das Leben selbst verändert werden.
Mein Großvater war Hufschmied. Für ihn gäbe es schon seit Jahren keinen Job mehr bei uns. Meine Großmutter schrieb Briefe für Menschen, die nie gelernt hatten, mit der Schrift umzugehen, die weder Lesen noch Schreiben konnten. Viele andere Berufe sind inzwischen ausgestorben. Es gibt keine Schriftsetzer mehr in den Zeitungsverlagen, viele Fotoläden müssen schließen und viele andere sind überflüssig geworden. Andere Techniken sind heute gefragt, mit der die heutige Jugend ganz selbstverständlich aufwächst, aber auch die sind ständigem Wandel unterworfen. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten.
Unserer Fantasie sind kaum noch Grenzen gesetzt. Sie zielen ebenso ins Universum wie in unseren Alltag. Stellen Sie sich vor: Sie gehen zum Essen in eine Gaststube, setzen sich an einen Glastisch, unter dessen Platte ein Computer eingebaut ist. Sie geben Ihren Personal-Code ein, können dann Ihr Essen bestellen und gleichzeitig mailen, twittern und danach auf gleiche Weise bezahlen. Es ist der Anfang einer neuen Zeit, die sich nicht aufhalten lässt. Ältere Menschen fühlen sich verunsichert. Sie können jetzt schon die vielen Automaten nicht mehr bedienen. Jetzt sollen sie bald auch noch bargeldlos einkaufen. Ja, wie denn? Sie haben doch die Geräte gar nicht, die dafür erforderlich sind. Und wenn, dann sind sie nicht in der Lage damit umzugehen. Was bedeutet das alles für ein selbstbestimmtes Leben? Eine Katastrophe! Ich kenne Menschen, die vor dieser Zukunft soviel Angst haben, dass sie lieber sterben wollen, als das zu erleben. Sie können sich doch jetzt schon nicht mehr selbst helfen, und oftmals ist der Weg zum Arzt nicht mehr machbar.
Im Pflegeheim ist man abhängig von fremden Menschen, die häufig nur ihre Heimatsprache beherrschen. Okay, man muss froh und dankbar sein, dass es sie überhaupt gibt, und dass sie für ein bescheidenes Gehalt diese schwere Arbeit übernehmen. Und wer dann am Ende in eine demente Welt abtaucht, frei von Stress, Not und Elend, der kann seinem Ende in Ruhe entgegensehen. Ich weiß wovon ich rede, denn ich komme gerade aus Deutschland zurück, wo ich einem Freund, der längst in eine andere Welt abgewandert ist, einen Monat lang zur Seite stand. Aber es gibt ja noch so viele andere Menschen, die ihr Leben gern selbstbestimmt meistern wollen, aber nicht dürfen. Namfon ist achtzehn Jahre alt. Sie ist schwanger, weiß aber nicht wodurch. Sie will das Kind nicht, aber sie findet keinen Arzt, der ihr hilft. Engelmacherin gesucht! Schrecklich! Wann wird der Gesetzgeber endlich dieses Elend beenden? Oder sollen Schwangere weiterhin zu Touristen gemacht werden in Länder, wo Abtreibungen erlaubt sind?
Opa Adolph ist 92 Jahre alt. Er liegt nur noch im Bett und lebt bei seiner Familie, die ihn so gut wie möglich versorgt. Er ist geistig auf der Höhe der Zeit. Er liest die Tageszeitungen und moderne Literatur, aber die körperlichen Qualen sind für ihn kaum noch auszuhalten, trotz aller Schmerzmittel. Wie oft hat er schon gebeten: „Lasst mich doch endlich sterben“. Nein, er muss leben. Seine Familie hat es so beschlossen. Er bekommt alles was er braucht, aber sterben darf er nicht. Gäbe es für ihn ein selbstbestimmtes Leben – wie beispielsweise in der Schweiz – er hätte längst diese Reise angetreten, um seine Ruhe zu finden. Aber das verhindert seine christliche Familie, die davon überzeugt ist, dass nur Gott, der das Leben schenkt, es auch zurücknehmen darf. Ich nenne das Entmündigung! Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich an berühmte Zeitgenossen, die sich in die Schweiz fahren ließen, um dort den Trunk zu sich zu nehmen, der ihrer Qual ein Ende setzte. Es gibt schlimmere Wege.
Meine Mutter hat sich im tiefsten Winter in einen Fluss gestürzt. Andere, wie Günther Sachs, haben sich erschossen oder vor einen Zug geworfen. Nicht für jeden ist das Leben eine Freude, und nicht für jeden ist das Alter erträglich. Sollten wir, die wir noch einigermaßen bei Gesundheit sind und unser Auskommen haben, nicht endlich begreifen, welches Glück wir erleben dürfen? Dabei denke ich besonders an Leute, die es geschafft haben, im Alter noch nach Thailand, in ihr Sonnenparadies zu kommen. Ja, das Leben hier wird immer teurer und so mancher Rentner denkt schon wieder darüber nach, in die alte Heimat zurückzukehren. Kommt für mich nicht in Frage. Ich spare, wo immer es geht. Aber die kalte Heimat ist mir entfremdet. Ihr werde ich nur noch in der Urne begegnen. Hier aber bleibe ich, selbstbestimmt bis zum Ende.