Seenotrettung vor Libyens Küste

Kapitäne in rechtlicher Grauzone

Symbolbild: epa/ Filip Singer
Symbolbild: epa/ Filip Singer

BERLIN: Abgeschreckt von brutalen Erpressern und Bürgerkriegs-Chaos in Libyen versuchen inzwischen auch mehr Afrikaner, über die Türkei in die EU zu gelangen. Wer als Kapitän vor Libyens Küste Schiffbrüchige aufnimmt, steht vor einer schwierigen Entscheidung.

Gegen Kapitäne deutscher Schiffes sollte nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kein Bußgeld verhängt werden, wenn sie schiffbrüchige Migranten entgegen der Anweisung der libyschen Küstenwache nicht nach Libyen zurückbringen. Wer sich aufgrund menschenrechtlicher Bedenken weigere, Gerettete aus dem Mittelmeer nach Libyen zurückzubringen, dürfe dafür nicht belangt werden.

In seiner Ausarbeitung führt der Dienst allerdings auch aus, dass Kapitäne, die aus Seenot gerettete Menschen nach Libyen bringen, damit nicht automatisch gegen das völkerrechtliche Verbot der Zurückweisung in einen Verfolgerstaat verstoßen - da dieses Verbot bisher nur für staatliche Akteure gelte. Allerdings empfiehlt die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO), Gerettete nicht an einen Ort zu bringen, «wo ihnen Verfolgung und andere Gefahren drohen». Die Vereinten Nationen hatten im vergangenen Jahr die «grässlichen Lebensbedingungen» beklagt, denen Migranten in einigen Gewahrsamseinrichtungen in Libyen ausgesetzt seien. In einer dieser geschlossenen Unterkünfte seien beispielsweise 22 Menschen an Tuberkulose gestorben, da sie nicht ärztlich behandelt worden seien.

Der Abgeordnete Andrej Hunko (Linke) forderte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, sich dafür einsetzen, dass Einsätze in der libyschen Seenotrettungszone künftig wieder aus Italien koordiniert werden. Dies sei ohne weiteres möglich, wenn die libysche Regierung hierzu ihr Einverständnis gebe. «Dies ist umso dringlicher, da die libysche Küstenwache wegen des Bürgerkriegs nur noch in Ausnahmen einsatzfähig ist», mahnte Hunko.

Aktuell bewegten sich Kapitäne von privaten Schiffen unter deutscher Flagge im Seegebiet nördlich von Libyen bei der Seenotrettung von Geflüchteten in einer Art Grauzone, stellte der Wissenschaftliche Dienst fest. Sie müssten einerseits gemäß der Verordnung über die Sicherung der Seefahrt den Anweisungen der jeweils zuständigen Seenotrettungsleitstelle Folge leisten.

Andererseits sei fraglich, inwieweit die Verpflichtung, Gerettete in einen sicheren Hafen zu bringen, wo auch Nahrung und medizinische Versorgung gewährleistet sind, bei einer erzwungenen Rückkehr der Migranten nach Libyen als erfüllt angesehen werden könne. Bei einer Rücküberführung in Staaten wie Tunesien oder Marokko, wo auch Schmugglerboote starten, sei die Lage weniger eindeutig als im Falle Libyens.

Nach UN-Angaben fanden im vergangenen Jahr 1327 Menschen den Tod bei der Flucht über das Mittelmeer oder sind vermisst. Die wichtigsten Routen der Schlepperboote führen von der Türkei auf die griechischen Inseln, von Libyen Richtung Italien oder Malta, sowie von Tunesien nach Italien und von Marokko nach Spanien. In einzelnen Fällen ist es auch schon vorgekommen, dass aus Seenot gerettete Migranten die Besatzung des aufnehmenden Schiffes daran gehindert haben, sie nach Libyen zurückzubringen.

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