Vor Küste des Jemen droht eine Ölpest

​Schwimmende Zeitbombe  

Foto: Pixabay/Jodydelldavis
Foto: Pixabay/Jodydelldavis

SANAA/DEN HAAG: Seit Jahren rostet ein Tanker im Roten Meer vor sich hin - mit 1,1 Millionen Barrel Rohöl an Bord. Die Folgen einer Ölkatastrophe wären für Umwelt und die verarmte Bevölkerung des Jemen verheerend. Unter Zeitdruck versuchen die Vereinten Nationen, das Unglück abzuwenden.

Der Tanker wirkt gespenstisch. Verwahrlost schwimmt der 350 Meter lange Koloss vor der Küste des Jemen, Rost hat sich in den rotbraunen Stahl gefressen. Im Inneren der «Safer»: 1,1 Millionen Barrel Rohöl und damit eine Menge, die das Rote Meer und seine Küsten bei einem Leck oder Unfall über Hunderte Kilometer mit schwarzem Schlick überziehen könnte. Mit einer Konferenz am Mittwoch versuchten die Vereinten Nationen im Wettlauf gegen die Zeit, eine drohende Umweltkatastrophe noch zu verhindern.

Der Tanker war im Jemen seit den 1980er Jahren eigentlich als fest ankernde, schwimmende Lagereinheit (FSO) im Einsatz. Er speicherte Öl, das über eine Pipeline von Feldern im Landesinneren kam und dann exportiert wurde. Aber nachdem der Jemen 2015 in einem Bürgerkrieg versank, wurden Produktion und Export gestoppt. Die staatliche Ölfirma SEPOC stellte die teure Wartung ein, 2016 wurde die «Safer» außer Dienst gestellt - mit 1,1 Millionen Barrel Öl an Bord.

Inzwischen hat sich das 45 Jahre alte Schiff mit seiner Ladung in eine ökologische Zeitbombe verwandelt. Das «Risiko einer massiven Ölpest» stehe unmittelbar bevor, warnte der UN-Nothilfekoordinator für den Jemen, David Gressly. Er sagt eine «massive Katastrophe» für Umwelt und Menschen voraus rund um ein Land, das mit den Folgen eines jahrelangen Bürgerkriegs kämpft.

Am Mittwoch sammelten die UN gemeinsam mit den Niederlanden bei einer Geberkonferenz Geld, um die Krise noch abzuwenden. Von den benötigten 144 Millionen Dollar (136 Mio Euro) für die Rettung kamen dabei 33 Millionen (31 Mio Euro) zusammen. Neben dem reichen Golfemirat Katar sagten zunächst nur europäische Länder Mittel zu, darunter Deutschland und die Schweiz. Die Suche nach anderen Geldgebern soll diesen Monat weitergehen.

Bei der Rettung würden zunächst Experten an Bord gehen und das Schiff untersuchen. Das Öl würde dann auf einen anderen Tanker gepumpt, gesichert durch Ölsperren im Wasser. Das alternde Schiff würde in eine Werft geschleppt und verkauft. Die Huthi-Rebellen, die Häfen in der Nähe seit ihrem Vormarsch im Jemen kontrollieren, stimmten der Rettung zunächst grundsätzlich zu. Am Dienstag warfen sie den UN aber auch vor, noch keinen Einsatzplan vorgelegt zu haben.

Die Zeit drängt. Rost und die verschleppte Wartung könnten jederzeit zu Öllecks führen, oder das angesammelte Gas könnte sich in den Tanks entzünden und eine Explosion samt Großfeuer verursachen. Es würde dann etwa eine Woche dauern, bis der Ölteppich die Küsten erreicht. Die ohnehin leidende Fischerei, Lebensgrundlage für 1,7 Millionen Menschen, wäre vorerst am Ende, verdreckte Entsalzungsanlagen würden die Wasserversorgung gefährden. Die wichtigen Häfen Hudaida und Salif müssten wohl Monate schließen. Auch das wäre verheerend für das Land, das 90 Prozent seiner Lebensmittel importiert.

Umweltschützer erinnern an die Ölkatastrophe mit dem Tanker «Exxon Valdez» vor Alaska 1989. Im Fall der «Safer» könnte nun bis zu vier Mal so viel Öl austreten. Die Organisation Greenpeace sagt ein dramatisches Szenario voraus für Tiere, Pflanzen und Korallen im Roten Meer. Das Analyseprojekt ACAPS schätzt, dass bei einem Brand auf der «Safer» 500 Quadratkilometer Agrarflächen verunreinigt würden. Ruß würde Papaya-, Zitrus- und Mangofrüchte bedecken und Ernten von Mais, Tomaten oder Süßkartoffeln gefährden.

Säuberungsarbeiten nach solch einer Katastrophe mit Kosten von rund 20 Milliarden Dollar (18,9 Mrd Euro) könnte der Jemen sich niemals leisten. Ein Ölteppich bis hoch nach Saudi-Arabien und zur anderen Seite der Meerenge Bab al-Mandab könnte noch ganz andere Folgen haben: Die wichtige Schifffahrtsstrecke und Zufahrt zum Suezkanal müsste womöglich geschlossen werden. Für Logistik und Handel wäre es eine dramatische Neuauflage des Falls «Ever Given» - das Containerschiff, das tagelang den Suezkanal blockierte. Durch die Wasserstraße laufen täglich zwölf Prozent des weltweiten Handels.

Die Zeit drängt auch, weil die Rettung einige Monate in Anspruch nehmen würde. Sie muss beendet sein, ehe sich das Wetter vor der Küste im September verschlechtert. Ab Oktober machen starke Winde und unbeständige Strömungen die Aktion gefährlicher und erhöhen die Gefahr, dass der alternde Koloss auseinanderbricht.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Marcel Edouard Petter 12.05.22 19:20
Es ist einfach zum Heulen
Seit 2016 ist das Problem erkannt, sechs Jahre hat sich nichts getan, und jetzt heisst es plötzlich, man sei unter Zeitdruck. Ich kann da nur den Kopf schütteln, ich mag gar nicht soviel saufen, wie ich kotzen möchte.
Ingo Kerp 12.05.22 16:55
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. So heißt ein Sprichwort, das in vielen Fällen zutrifft und für Hilfe und Abwendung der Gefahr sorgt. Der rostende Oelkahn ist bekannt, seine Ladung ebenso, die Gefahr das Oel ausläuft auch. Getan wurde bisher nichts, außer geredet.Man darf gespannt sein, wann es zur Gefahrenabwehr kommt. Wahrscheinlich erst dann, wenn der Tanker zerbricht und das große Jammern startet.