Aserbaidschan will Militäroperation fortsetzen

​Schwere Kämpfe

Foto: epa/Hakob Margaryan
Foto: epa/Hakob Margaryan

BAKU/ERIWAN: Seit Tagen wollen die Vereinten Nationen, Russland und auch Deutschland die Konfliktparteien im Südkaukasus zum Einlenken bewegen. Doch Aserbaidschan nennt Bedingungen für die Einstellungen der Kampfhandlungen.

Die verfeindeten Südkaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan haben sich den vierten Tag in Folge schwere Kämpfe um die Konfliktregion Berg-Karabach geliefert. Aserbaidschan werde seine Militäroperation bis zu einem Rückzug Armeniens aus dem Gebiet fortsetzen, sagte Staatschef Ilham Aliyev am Mittwoch in Baku. Erst dann werde es eine Waffenruhe geben. Aufrufe zum Dialog seien deshalb sinnlos, Verhandlungen würden kein Ergebnis bringen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte nach einem Telefonat mit seinen Kollegen in Baku und Eriwan die Bereitschaft Moskaus, in dem Konflikt zu vermitteln und Räume zur Verfügung zu stellen.

Zugleich forderte Lawrow einmal mehr eine sofortige Einstellung der Kämpfe und die Einhaltung der früher vereinbarten Waffenruhe. Russland sei «äußerst besorgt» wegen der Lage in Berg-Karabach, hieß es in einer in Moskau am Abend veröffentlichten Mitteilung. Moskau ist wegen seiner engen Kontakte nach Baku und Eriwan traditionell der wichtigste Vermittler in dem Konflikt.

Bei den schwersten Kämpfen seit Jahrzehnten sind in Berg-Karabach nach offiziellen armenischen Angaben bereits mehr als 100 Menschen getötet worden. Auf aserbaidschanischem Staatsgebiet sollen bei einem Angriff auf die Stadt Terter mindestens sieben Menschen verletzt und Gebäude zerstört worden sein. Das armenische Militär in Eriwan teilte mit, dass es an der gesamten Demarkationslinie um Berg-Karabach Artilleriefeuer gegeben habe.

Moskau will in dem Konflikt zwischen Baku und Eriwan vermitteln. Russische Friedenstruppen könnten mit einem UN-Mandat in die Region geschickt werden und eine Waffenruhe kontrollieren, schlug der Vize-Chef des auswärtigen Ausschusses im Parlament, Dmitri Nowikow, vor.

Die beiden Ex-Sowjetrepubliken kämpfen seit Jahrzehnten um die bergige Region, in der rund 145.000 Menschen leben. Berg-Karabach wird von Armenien kontrolliert und gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. In einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor Aserbaidschan die Kontrolle über das Gebiet. Es wird heute von christlichen Karabach-Armeniern bewohnt. Seit Sonntag gibt es heftige Gefechte, die international große Sorge auslösten.

Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums in Eriwan warf den Luftstreitkräften Aserbaidschans vor, Bombenangriffe auf Berg-Karabach zu fliegen. Dabei seien erneut türkische Kampfjets vom US-Typ F-16 eingesetzt worden. Zudem werde mit Raketen geschossen. Es seien Funksprüche in türkischer Sprache zwischen den Piloten abgefangen worden, sagte Arzrun Owanissjan in Eriwan.

Baku und Ankara hatten den Einsatz von F-16-Kampjets dementiert. Das aserbaidschanische Militär betonte, selbst ausreichend gerüstet zu sein. Die Türkei schließt aber eine militärische Unterstützung nicht aus. «Wir haben gesagt, dass wir natürlich mit allen Mitteln an der Seite von Aserbaidschan stehen werden, wenn Aserbaidschan das auf dem Feld lösen will», sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Zeitgleich rief der Kreml die Türkei erneut zur Zurückhaltung auf. Sowohl Russland als auch Frankreich hatten die Führung in Ankara zuvor in die Verantwortung genommen, auf Aserbaidschan einzuwirken. Es sei erwiesen, dass die ersten Schüsse am Sonntag aus Aserbaidschan gekommen seien, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron.

Offiziell wurden seitdem auf armenischer Seite 114 Menschen getötet. In Aserbaidschan sprachen die Behörden von offiziell zwölf getöteten Zivilisten. Vertreter beider Seiten behaupten aber auch, Hunderte Soldaten des jeweiligen Gegners getötet zu haben. In Baku war am Mittwoch sogar von insgesamt 2300 armenischen Toten und Verletzten die Rede. Zudem soll ein Raketenabwehrsystem vom Typ S-300 zerstört worden sein. Armenien wies das zurück. Unabhängige Berichte zum Einsatz von Kampftechnik und zu Opfern gibt es nicht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wies die Konfliktparteien an, jede Militäraktion zu vermeiden, die Zivilisten gefährden könnte. Die gegenwärtigen Kämpfe um die umstrittene Region Berg-Karabach seien ein ernsthaftes Risiko für Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, der beide Staaten angehören, hieß es. Armenien hatte das Gericht Anfang der Woche eingeschaltet. Mit dem Antrag wollte die Führung in Eriwan erreichen, dass das Nachbarland Angriffe auf zivile Siedlungen und die Zivilbevölkerung beendet.

Der UN-Sicherheitsrat unterstützt indes UN-Generalsekretär António Guterres bei seiner Forderung nach einer Waffenruhe, Deeskalation der Spannungen und sofortiger Wiederaufnahme von Verhandlungen. In der Nacht auf Mittwoch hatten die 15 Mitglieder des Gremiums das Thema besprochen. Die Initiative dafür war von Deutschland und Frankreich ausgegangen. Guterres forderte die sofortige Wiederaufnahme von Verhandlungen und die Wiederentsendung von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in die Region.


Gericht: Armenien und Aserbaidschan müssen Zivilisten schützen

STRAßBURG: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Armenien und Aserbaidschan angewiesen, jede Militäraktion zu vermeiden, die Zivilisten gefährden könnte. Die gegenwärtigen Kämpfe um die umstrittene Region Berg-Karabach seien ein ernsthaftes Risiko für Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, der beide Staaten angehören, erklärte das Gericht mit Sitz in Straßburg am Mittwoch.

Armenien hatte das internationale Gericht Anfang der Woche eingeschaltet. Mit dem Antrag wollte die Führung in Eriwan erreichen, dass das Nachbarland Angriffe auf zivile Siedlungen und die Zivilbevölkerung beendet. Der seit Jahrzehnten dauernde Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken war am Sonntag wieder aufgeflammt. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit Jahren.

Der EGMR gehört zum Europarat. Gemeinsam kümmern sie sich um den Schutz und Umsetzung der Menschenrechte in 47 Staaten. Der EGMR ist kein Gericht der Europäischen Union.


Macron zeigt im Konflikt um Berg-Karabach auf Aserbaidschan

RIGA: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat im Konflikt um die Region Berg-Karabach einen Waffenstillstand gefordert und gleichzeitig Aserbaidschan in die Verantwortung genommen. Es sei erwiesen, dass die Schüsse am Sonntag, als der Konflikt wieder aufflammte, aus Aserbaidschan gekommen seien, sagte Macron am Mittwoch bei einem Staatsbesuch in Riga. Er habe die Möglichkeit gehabt, mit dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan und dem aserbaidschanischen Präsident Ilham Aliyev zu sprechen.

Man habe von Anfang an auf Ebene der Außenminister in der OSZE-Minsk-Gruppe - Frankreich, Russland und USA - eng zusammengearbeitet, so Macron weiter. Er wolle nun aber auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin und dem US-Präsidenten Donald Trump sprechen. Die politischen Äußerungen der Türkei habe er zur Kenntnis genommen. Er halte sie aber für unüberlegt und gefährlich. Er habe aber noch keinen Beweis für eine Beteiligung regionaler Mächte wie der Türkei an dem Konflikt, sagte Macron.

Die Kämpfe in der Region dauern seit Sonntag an. Die verfeindeten Nachbarländer haben den Kriegszustand verhängt. Die internationale Gemeinschaft fordert ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen und eine Rückkehr zum Verhandlungstisch für eine friedliche Lösung. Russland, Armeniens Schutzmacht, will zwischen den Konfliktparteien vermitteln. Die Türkei hat sich hingegen mit deutlichen Worten hinter ihren Verbündeten Aserbaidschan gestellt.

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