GENF: In den offiziellen Corona-Statistiken stehen die USA, Italien und Spanien mit der absoluten Zahl nachgewiesener Infektionen zwar ganz oben. Aber wenn man nach der Zahl der Fälle pro 100 000 Einwohner geht, steht die Schweiz hinter Spanien ganz vorn, weit vor Italien, Deutschland und den USA. Wie kommt das?
In der Schweiz wird viel getestet, nach einer Auswertung der «Neuen Zürcher Zeitung» auf 100.000 Einwohner berechnet sogar deutlich mehr als in Deutschland. Danach wurde Ende März nur in Bahrain und Norwegen intensiver getestet als in der Schweiz. Je mehr Tests, desto höhere Infektionszahlen.
Betroffen sind vor allem die Grenzregionen zu schwer belasteten Staaten wie Frankreich und Italien. Zum Beispiel der Kanton Tessin: er grenzt an die italienische Krisenregion Lombardei. Von dort kamen vor der Krise täglich 70 000 Arbeitskräfte über die Grenze. Dort ist die Lage, was Fall- und Totenzahlen angeht, entsprechend dramatisch. Die Infektionsrate lag dort Anfang April bei mehr als 600 pro 100 000 Einwohner. Auch in Genf, das fast vollständig von Frankreich umgeben ist, ist die Fallzahl deutlich höher als im Rest der Schweiz.
Dennoch gibt es keine Panik. Zum einen ist die Kurve der Neuansteckungen seit Ausrufung des Notstands am 16. März abgeflacht. Das ging mit Grenzschließungen, Geschäftsschließungen, einem Versammlungsverbot und anderen Maßnahmen einher. Vor dem Notstand verdoppelte sich die Zahl der Fälle in weniger als fünf Tagen, Ende März waren es mehr als 11 Tage.
Außerdem bleiben die Menschen wie empfohlen daheim, zeigten anonymisierte Handydaten: «Erste Auswertungen zeigen, dass seit dem Versammlungsverbot von mehr als fünf Personen deutlich weniger Menschen unterwegs waren», so das Bundesamt für Gesundheit. Ausgänge allein oder mit der Familie, die im gleichen Haushalt wohnt, sind erlaubt. Mundschutzzwang gibt es nicht. Die Menschen halten sich an die Restriktionen, die bis mindestens 19. April in Kraft sind.
Zum anderen ist das Gesundheitssystem gut aufgestellt. So gut, dass die Krankenhäuser nicht am Limit sind. Einige haben sogar wie Spitäler in Deutschland Covid-19-Patienten aus Frankreich und Italien aufgenommen.
Die aufnehmenden Kantone stellen das als selbstverständliche Solidaritätsaktion dar, aber ganz uneigennützig ist es nicht. Sie sind auch auf das Wohlwollen der Nachbarländer angewiesen, etwa die Grenzen nicht für Grenzgänger zu schließen. Im Tessin und in Genf arbeiten tausende Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte aus Italien und Frankreich. Frankreich könnte etwa sämtliche französischen Pflegekräfte zum Einsatz nach Hause beordern. Die Schweizer Krankenhäuser könnten dann nicht mehr weiterarbeiten.
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