Getötete Lehrerin und verletzte Schüler in Berlin 

Scholz: «Amoktat»

Ein Auto ist in der Nähe der Gedächtniskirche in Berlin in eine Personengruppe gefahren, ein Mensch ist gestorben. Foto: Christoph Soeder/dpa
Ein Auto ist in der Nähe der Gedächtniskirche in Berlin in eine Personengruppe gefahren, ein Mensch ist gestorben. Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN: In einer bei Touristen beliebten Ecke Berlins erfasst ein offenbar psychisch beeinträchtigter Autofahrer eine Schülergruppe. Eine Lehrerin kommt ums Leben. Wie Politiker und die Polizei den Fall nach ersten Erkenntnissen bewerten.

Nach dem jähen Ende der Klassenfahrt einer hessischen Schülergruppe in Berlin hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von einer Amoktat gesprochen. «Die grausame Amoktat an der Tauentzienstraße macht mich tief betroffen», schrieb der SPD-Politiker am Mittwochabend bei Twitter. «Die Reise einer hessischen Schulklasse nach Berlin endet im Alptraum. Wir denken an die Angehörigen der Toten und an die Verletzten, darunter viele Kinder. Ihnen allen wünsche ich eine schnelle Genesung.» Neben Scholz bekundeten auch viele weitere Politikerinnen und Politiker Trauer und Anteilnahme.

Die Schülergruppe war in der Nähe der Gedächtniskirche von einem Autofahrer erfasst worden, ihre Lehrerin wurde in den Tod gerissen. 14 Menschen wurden der Polizei zufolge verletzt. Ein Verdächtiger - ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier - wurde gefasst und in ein Krankenhaus gebracht.

Der Unfallort befindet sich unweit des Ortes, an dem im Dezember 2016 ein islamistischer Attentäter mit einem Lkw in einen Weihnachtsmarkt gefahren war. Dabei und an den Spätfolgen starben insgesamt 13 Menschen, mehr als 70 wurden verletzt.

Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres zitierte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Abend bei Twitter mit den Worten: «Bin wieder in meiner Lagezentrale: Nach neuesten Informationen stellt sich das heutige Geschehen an der #Tauentzienstrasse als eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen dar.» Mehr Details dazu nannte sie nicht.

Ein Sprecher der Berliner Polizei sagte der Deutschen Presse-Agentur am Abend: «Es gibt Indizien, die die Theorie eines psychischen Ausnahmezustands stützen.» Es handle sich aber um eine von mehreren möglichen Versionen, daher ermittele man in alle Richtungen weiter. Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte zuvor im RBB ebenfalls die Offenheit der Ermittlungen betont: Man schließe im Moment «gar nichts» aus, sagte sie. Die Ermittlungen würden von einer Mordkommission geführt. Unter anderem wurde die Wohnung des Fahrers in Charlottenburg durchsucht. Viel versprechen sich die Ermittler auch von Videos und Fotos von Zeugen.

Im Wagen wurden neben Schriftstücken auch Plakate mit Aufschriften gefunden. «Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht», sagte Innensenatorin Spranger. Zuvor hatte es aus Polizeikreisen geheißen, es sei ein Bekennerschreiben gefunden worden. Spranger sprach von «Plakaten», auf denen Äußerungen zur Türkei stehen würden. Der Fahrer war nach dpa-Informationen mit einem Auto unterwegs, das seiner älteren Schwester gehört. Er soll der Polizei wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, jedoch nicht in Zusammenhang mit Extremismus.

Am Abend gedachten zahlreiche Menschen in der Gedächtniskirche der getöteten Frau und der Verletzten. Vor Ort waren unter anderem Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (beide SPD), aber auch Einsatzkräfte der Feuerwehr und Polizei. Viele Bürgerinnen und Bürger drückten bei der Andacht ebenfalls ihre tiefe Anteilnahme aus.

Auf arglose Menschen sei bei dem Vorfall am Mittwoch «brutale Gewalt» eingebrochen, sagte die Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein bei der Andacht. «Eine solche Situation verschlägt uns die Sprache.» Viele Zeugen und Betroffene hätten noch die Schreie der Menschen in den Ohren. Die Polizei richtete eine Telefonhotline für Angehörige ein, vor Ort waren Seelsorgerinnen und Seelsorger im Einsatz.

Der Vorfall spielte sich nach bisherigem Stand so ab: Der Mann fuhr den Renault-Kleinwagen am späten Vormittag an der Straßenecke Ku'damm und Rankestraße auf den Bürgersteig des Ku'damms und in die Menschengruppe. Dann fuhr er auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstraße Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Straße lenkte er den Wagen erneut von der Straße auf den Bürgersteig, touchierte ein anderes Auto, überquerte die Marburger Straße und landete im Schaufenster einer Parfümerie.

Die Bundesregierung, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigten sich bestürzt über das Geschehene. «Meine Gedanken sind bei den schwer und sehr schwer Verletzten, bei dem Todesopfer», erklärte Steinmeier. «Und sie sind bei denen, die Schreckliches erleben mussten. Mein tiefes Mitgefühl gilt ihnen, allen Angehörigen und Hinterbliebenen.» Giffey sagte den Betroffenen Unterstützung zu.

Die hessische Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU) sprach im Namen der Abgeordneten ihr tiefes Mitgefühl aus. «Ich bin tief betroffen über den entsetzlichen Vorfall», sagte Wallmann in Wiesbaden. «Der hessische Landtag ist in Gedanken bei den Angehörigen der getöteten Lehrerin, und wir hoffen, dass die Verletzten wieder vollständig genesen. Ebenso denken wir an die Kinder und Passanten, die diese Schreckensfahrt vor Ort miterleben mussten.»

Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sagte: «Wir haben umgehend Notfallbetreuungsteams nach Bad Arolsen geschickt, um den Angehörigen, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den Lehrkräften beizustehen.» Ein Team aus der Schule sei auf dem Weg nach Berlin, um den Jugendlichen vor Ort sowie ihren Eltern zur Seite zu stehen.

Die betroffenen Schüler sollen eine Anlaufstelle in ihrer Schule finden. An diesem Donnerstag werde die Schule ihren Regelbetrieb aufnehmen und zugleich die Schüler in Empfang nehmen, die aus Berlin mit Bussen zurückgebracht würden, sagte der Bürgermeister von Bad Arolsen, Marko Lambion. Betroffen sei eine Abschlussklasse mit 24 Schülern einer Realschule in Bad Arolsen. Sie sollten betreut und aufgefangen werden.

Die Gegend, in der sich der tödliche Vorfall ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürdigkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland.

Der Fall weckte in Berlin auch Erinnerung an eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.

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