Scholz, Macron und Draghi zu Besuch in Kiew

Mario Draghi (l-r), Ministerpräsident von Italien, Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), reisen von Polen aus mit dem Zug nach Kiew. Foto: Ludovic Marin
Mario Draghi (l-r), Ministerpräsident von Italien, Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), reisen von Polen aus mit dem Zug nach Kiew. Foto: Ludovic Marin

KIEW: Lange hat Olaf Scholz gezögert, am 113. Kriegstag kommt der Kanzler nach Kiew. Zwei Mal gibt es während des Besuches Luftalarm. Am Ende gibt Scholz ein Versprechen. Ob die Ukraine damit zufrieden ist?

Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben sich erstmals dafür stark gemacht, dass die Ukraine Beitrittskandidat für die Europäischen Union wird. Scholz sagte am Donnerstag bei seinem lang erwarteten Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew: «Meine Kollegen und ich sind heute hier nach Kiew gekommen mit einer klaren Botschaft: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie.» Er ergänzte: «Deutschland ist für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine. Das gilt auch für die Republik Moldau.» Konkrete Zusagen für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine machte der Bundeskanzler nicht.

Neben Macron begleiteten Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und der rumänische Präsident Klaus Iohannis den Kanzler bei diesem Solidaritätsbesuch. Scholz, Macron und Draghi waren gemeinsam nachts mit dem Zug angereist. Iohannis hatte eine andere Route gewählt.

Angesichts umfangreicher Forderungen nach Lieferung schwerer Waffen sagte Scholz: «Wir unterstützen die Ukraine auch mit der Lieferung von Waffen, und wir werden das weiterhin tun, solange die Ukraine unsere Unterstützung benötigt.» Der Kanzler hob den Widerstand des Landes gegen Russland hervor: «Die Ukraine befindet sich seit 113 Tagen in einem heldenhaften Abwehrkampf gegen Russland. Die Tapferkeit der Soldatinnen und Soldaten ist groß. Es ist bewundernswert, wie die Ukrainerinnen und Ukrainer sich gegen die Invasion Russlands zur Wehr setzen.»

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj würdigte den Besuch von Scholz. Es würden Waffen geliefert, auch die gewünschten. «Hier hilft uns Deutschland sehr», sagte er. «Ja, ich bin überzeugt, dass das ganze deutsche Volk die Ukraine unterstützt.» Macron kündigte die Lieferung weiterer Caesar-Haubitzen für die Ukraine an.

Scholz: Beitrittsstatus ein Meilenstein

Scholz nannte den Status eines EU-Beitrittskandidaten einen Meilenstein auf dem «voraussetzungsreichen europäischen Weg» der Ukraine. Beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni werde er sich für eine einheitliche Haltung stark machen - für die Entscheidung ist Einstimmigkeit notwendig. Macron sagte: «Auf jeden Fall unterstützen wir den Beitrittsstatus der Ukraine zur Europäischen Union.»

Selenskyj: EU-Kandidatenstatus historische Entscheidung

Am 113. Tag des Krieges begrüßte Selenskyj das Bekenntnis seiner Gäste: «Der EU-Kandidatenstatus könnte eine historische Entscheidung für Europa sein.» Die Ukraine hatte kurz nach dem Angriff Russlands am 24. Februar einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt.

Macrons klare Aussage zum EU-Kandidatenstatus ist umso bedeutender, da Frankreich derzeit die wechselnde EU-Präsidentschaft inne hat. Draghi sagte bei der gemeinsamen Pressekonferenz: «Präsident Selenskyj hat verstanden, dass der Kandidatenstatus ein Weg ist und noch nicht das Ziel. Ein Weg, auf dem tiefgreifende Reformen notwendig sind in der ukrainischen Gesellschaft.»

Es wird erwartet, das die EU-Kommission in Brüssel am Freitag den Vorschlag machen wird, der Ukraine eine klare Beitrittsperspektive zu geben. Beitrittsverhandlungen sind kompliziert und dauern in der Regel Jahre.

Kanzler: Versprechen gegenüber Westbalkan einlösen

Scholz sprach sich dafür aus, auch die Westbalkanstaaten näher an die EU heranzuführen. «Es ist eine Frage der europäischen Glaubwürdigkeit, dass wir gegenüber den Staaten des westlichen Balkan, die sich seit Jahren schon auf diesem Weg befinden, nun endlich unser Versprechen einlösen, jetzt und konkret», sagte er. Die EU müsse sich auf diese Entwicklung vorbereiten und ihre Strukturen und Verfahren modernisieren.

Draghi regte ein Umdenken bei den Verhandlungen vor allem mit den Staaten des Balkans an: «Wir wissen alle, dass das eine historische Entwicklung ist für Europa, die tiefgreifende Überlegungen verlangt.»

Kurz nach der Ankunft des Quartetts wurde in der ukrainischen Hauptstadt Luftalarm ausgelöst, der nach gut 30 Minuten wieder aufgehoben wurde. Am Nachmittag beim Treffen mit Selenskyj heulten die Sirenen erneut.

Scholz in Irpin

Nach seiner Ankunft besuchte Scholz den teils zerstörten Kiewer Vorort Irpin. Ähnlich wie im benachbarten Butscha waren dort nach dem Rückzug der Russen Ende März knapp 300 teils hingerichtete Zivilisten gefunden worden. Scholz verurteilte die «Brutalität» des russischen Angriffskrieg und sprach von sinnloser Gewalt.

Iohannis verlangte erneut, dass Gräueltaten Russlands vor ein internationales Strafgericht gebracht werden. Draghi traut der Ukraine einen umfassenden Wiederaufbau zu. «Das hier ist ein Ort der Zerstörung, aber auch der Hoffnung», sagte Draghi in Irpin.

In einer ersten Reaktion versuchte Russlands früherer Präsident Dmitri Medwedew den Besuch kleinzureden. Die Politiker müssten mit dem Zug reisen wie vor 100 Jahren und stellten der Ukraine eine EU-Mitgliedschaft und «alte Haubitzen» in Aussicht, meinte Medwedew, der stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates ist. «Das ist alles gut. Aber es wird die Ukraine nicht näher in Richtung Frieden bringen.»

Russland reduziert Gaslieferungen weiter

Parallel zum Besuch von Scholz in Kiew reduzierte der russische Energieriese Gazprom wie angekündigt in der Nacht zum Donnerstag seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Ostseepipeline Nord Stream weiter. Russland schloss auch ein komplettes Runterfahren der wichtigsten Versorgungsleitung für Deutschland nicht aus. Gazprom hatte die Reduzierungen mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten begründet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermutet dahinter hingegen eine politische Entscheidung.

Seit Mitte März sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs in die Ukraine gereist. Der Besuch von Scholz, Macron und Draghi war allerdings besonders bedeutend: Sie repräsentieren die drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten EU-Länder. Die drei Staaten gehören zur G7, in der sich demokratische Wirtschaftsmächte zusammengeschlossen haben. Deutschland hat in dieser Gruppe derzeit den Vorsitz. Selenskyj hatte Scholz schon vor Wochen nach Kiew eingeladen. Zuerst standen aber Verstimmungen wegen der kurzfristigen Absage einer Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite im Weg.


Macron bei Gesten von Putin zu Reise nach Russland bereit

KIEW: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist unter Bedingungen zu einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau bereit. «Ich denke, dass eine Reise nach Russland heute Vorbedingungen voraussetzt, das heißt Gesten von Präsident Putin, ich werde dort nicht einfach so hinfahren», sagte Macron am Donnerstagabend dem Sender TF1 in Kiew.

Weiterhin werde er mit Putin über humanitäre Angelegenheiten, den Schutz von Gefangenen oder die Nahrungsmittelsicherheit sprechen, um eine Lösung zu finden, so Macron. «Und so schließe ich nichts aus, aber ich werde dies immer in Transparenz mit dem ukrainischen Präsidenten tun und wann immer es sinnvoll ist.»

Zur Frage möglicher territorialer Zugeständnisse der Ukraine an Russland sagte Macron, dass dies die Ukraine entscheiden müsse. «Ich denke, dass es heute unsere Pflicht ist, auf der Seite unserer Werte, des internationalen Rechts und damit der Ukraine zu stehen.» Der Ukraine müsse geholfen werden durchzuhalten.

«Aber wir haben nicht die Aufgabe, anstelle der Ukrainer über die Bedingungen für das Ende dieses Krieges zu entscheiden. Und irgendwann muss es entweder einen militärischen Sieg geben oder es müssen Verhandlungen eröffnet werden.» Entscheidungen über Gebiete müsse die ukrainische Führung treffen, ebenso zur Frage, ob mögliche Zugeständnisse gemacht werden oder nicht.

Macron hatte sich am Donnerstag gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew getroffen.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jürgen Franke 21.06.22 08:50
Zur Freude der USA Industrie
werde neue Wafen gefordert.
Jürgen Franke 20.06.22 08:10
Herr Srauß, habe den Eindruck, dass
Krieg Ihnen richtig Spaß macht. Melden Sie sich doch zum Einsatz an die Front.
Strauss 18.06.22 03:50
Die Richtigen fehlen eben dort immer noch...
Mit ein paar Patriots bereit , einer FA 18 Staffel und das in einer kriegserfahrenen Armee wie Israel,
würde ich sofort den Leo in einer Panzerschlacht gegen die Russen steuern. (Habe lange den Centourion gefahren.)
Thomas Gittner 18.06.22 02:00
@ Strauss, warum nehmen
Sie sich eigentlich keine Waffe und kämpfen an vorderster Front gegen die Putin Armee, ?
Strauss 17.06.22 22:00
nein eben nicht, Jürgen
Russland wird jetzt ringsum eingekreist. Die Nordländer mit Australien und Kanada zusammen ziehen dem Brezelbuch aus Russland die Schlinge zu. Der kann jetzt ein Steigerung überlegen, wie er sein A Bomben- palaver nochmals in schwindelerregende Höhen treiben kann. Scholz und Macron merken noch lange nicht, um was es da überhaupt geht. Angst ist eben ein schlechter Antreiber im Leben.
Jürgen Franke 17.06.22 16:30
Man könnte den Eindruck gewinnen,
dass immer noch in den USA entschieden wird, was in Europa passiert.
Bernd Lange Berlin 17.06.22 15:50
Scholz wollte nicht wieder als alleiniger
Waffenverweigerer auftreten und hat sich hierzu Beistand mitgenommen! Rückgrad is was anderes!
Ansonsten viel Bla Bla nichts konkretes-Hinhaltetaktik!
Ingo Kerp 17.06.22 13:50
Bundeskanzler Scholz war zu einem sinnlosen Besuch in der Ukraine. Es gab viel Verständnis und Zustimmung, was in vielen warmen Worten ausgedrückt wurde. Zusätzlich noch die evtl. Zukunftsaussicht, irgendwann als EU Mitglied aufgenommen zu werden, wenn die Voraussetzungen vorhanden sind und es keine Gegenstimmen gibt. Für Scholz, der ja geradezu ein Abbild für überbordende Spontanität ist, war die Reise wohl ein grandioser Erfolg. Staatsmänner wie ihn braucht die Welt.