Schlechtes Jahr für Euro-Reformen

Gipfel soll neue Impulse liefern

Foto: epa/Olivier Hoslet
Foto: epa/Olivier Hoslet

BRÜSSEL (dpa) - Nach der schweren Finanzkrise, die Millionen Jobs kostete, sollte die Eurozone eigentlich gegen künftige Schocks besser gewappnet werden. Auf Finanzminister-Ebene verhakten sich die Gespräche zuletzt aber erheblich. Nun soll der EU-Gipfel neuen Schwung bringen.

Millionen neue Arbeitslose, ausufernde Staatsverschuldung in etlichen Staaten, Länder am Rande des Finanzkollapses: Die Finanzkrise brachte vor allem ab 2010 die Eurozone ins Wanken. In dramatischen Nachtsitzungen verabschiedeten die EU-Staaten Gegenmaßnahmen und milliardenschwere Hilfsprogramme. Soweit sollte es nie wieder kommen. Doch angesichts mangelnden Drucks von den Märkten kamen die angepeilten Reformen im Laufe des Jahres deutlich weniger voran als geplant. Die EU-Staats- und Regierungschefs sollten fürs kommende Jahr Anstöße geben - und landeten doch wieder beim kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Baustellen:

REFORM DES EURO-RETTUNGSSCHIRMS ESM:

Der ESM war im Zuge der vorangegangenen Krise im Hauruck-Verfahren aus der Taufe gehoben worden. Er besorgt sich - abgesichert durch die 19 Euro-Staaten - Geld am Markt und kann es gegen Spar- und Reformauflagen an pleitebedrohte Länder als Hilfskredite vergeben. Für Griechenland und weitere Euro-Staaten flossen in den vergangenen Jahren hohe Milliardenbeträge. Nun soll er künftig bei Bankenpleiten eine größere Rolle spielen und die sogenannte Letztsicherung («Backstop») für den Bankenabwicklungsfond SRF stellen. Dieser wiederum soll bis 2024 von den Banken mit mehr als 55 Milliarden Euro gefüllt werden und sicherstellen, dass keine Steuergelder mehr für die Rettung von Banken verwendet werden.

Der ESM soll außerdem bei Hilfsprogrammen für pleitebedrohte Länder eine größere Rolle spielen und nicht mehr nur in höchster Not, sondern schon früher tätig werden können.

Im Grundsatz verständigten sich die Staats- und Regierungschefs bereits im Sommer darauf, die Finanzminister sollten die Details festzurren. Bis vor Kurzem schien das reine Formsache. Doch wegen innenpolitischer Querelen stellte sich Italien quer. Oppositionsführer Matteo Salvini polemisiert gegen die ESM-Reform, auch innerhalb der Regierung regt sich Widerstand. Regierungschef Giuseppe Conte brachte zuletzt als Bedingung für eine Zustimmung Fortschritte bei der Schaffung einer gemeinsamen Absicherung für Bankguthaben in Europa ins Spiel.

Beim Gipfel verständigten sich die Staats- und Regierungschefs nun lediglich darauf, die Arbeiten «fortzuführen». Die Gipfelerklärung wurde dabei noch abgeschwächt, ein klares Bekenntnis, die Reform baldmöglichst abzuschließen, wurde in letzter Minute gestrichen.

BANKEN-UNION:

Eine gemeinsame Bankenaufsicht für die wichtigsten Geldinstitute wurde unter dem Dach der Europäischen Zentralbank in den vergangenen Jahren bereits ins Leben gerufen, ebenso der Bankenabwicklungsfonds SRF. Bei dem geplanten Sicherungssystem für Bankguthaben stockt es aber seit Jahren. Mehrere Länder pochen darauf, dass erst Risiken in den Banksektoren einiger Staaten wie etwa Griechenland und Italien reduziert werden - etwa die Zahl ausfallgefährdeter Kredite in den Bankbilanzen abgebaut wird. Zudem fordert etwa Deutschland, dass Staatsanleihen nicht mehr als risikofrei betrachtet werden. Aus Sicht vieler Experten ist die starke Konzentration von Anleihen in den Bankbilanzen der jeweiligen Staaten - etwa in Italien - ein Sicherheitsrisiko.

Ein Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der versucht hatte, die Blockade aufzubrechen, versandete zuletzt im Kreis der Finanzminister. EU-Ratspräsident Charles Michel bezeichnete die Diskussionen nun als «wichtig», in der gemeinsamen Gipfel-Erklärung gab es aber einen weiteren Dämpfer. Weitere Fortschritte sollten auf einer «einvernehmlichen Grundlage» erzielt werden, hieß es. Bereits die Suche nach einfachen Mehrheiten gestaltete sich zwischen den EU-Staaten hier bislang schwierig, Einstimmigkeit ist erst recht nicht in Sicht.

EIN BUDGET FÜR DIE EUROZONE:

In den vergangenen Monaten hatten sich die EU-Staaten vor allem auf Drängen Frankreichs und Deutschlands auf einen Minimalkompromiss für ein gemeinsames Eurozonenbudget verständigt. Es soll - im Rahmen des gesamten EU-Haushalts - für Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit und zur Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Staaten genutzt werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schwebte ursprünglich ein Multi-Milliarden-Haushalt vor. In der Diskussion zuletzt waren lediglich noch 17 Milliarden Euro - verteilt über sieben Jahre. Finnland, das derzeit den Vorsitz unter den EU-Staaten hat, strich in seinen jüngsten Vorschlägen für den mehrjährigen EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 noch einmal einige Milliarden. Aus Sicht von Kritikern würde das geplante Budget damit fast wirkungslos verpuffen.

Ratspräsident Michel solle sich nun weiter um die Verhandlungen zum Eurozonenbudget kümmern, hieß es in der Gipfelerklärung. Druck kam erneut aus Frankreich. Macron forderte nach Angaben aus Élysée-Kreisen dazu auf, die Arbeiten an den Reformen zu beschleunigen. Die erste Etappe sei genommen, aber die EU habe noch immer nicht alle nötigen Instrumente, um auf Krisen angemessen reagieren zu können. Zudem gehe es auch darum, Investitionen zu fördern und die EU fit für den Wettbewerb mit Ländern wie den USA und China zu machen.

DER EURO ALS WELTWÄHRUNG:

Der neue EU-Ratspräsident Charles Michel wünscht sich bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs künftig mehr strategische Vorgaben für die Entwicklung der Union. Ein Thema ist dabei auch die Stärkung des Euro als Weltwährung. Die EU-Kommission hatte bereits eine Reihe Ideen ins Spiel gebracht, um ihn zu stärken und vor allem die Abhängigkeit vom dominierenden US-Dollar und der US-Währungspolitik zu reduzieren. Dazu gehörte zum Beispiel, Energiegeschäfte mit Staaten wie Saudi-Arabien oder Russland künftig in Euro und nicht mehr in Dollar abzuwickeln.

Direkte Vorgaben sind hier aber kaum möglich, unter den EU-Staaten herrscht daher einige Skepsis. Die Stärke von Währungen spiegle realwirtschaftliche Gegebenheiten wider, hieß es vorab in Brüssel. Die Stärke des britischen Pfunds in der Vergangenheit sei ein Nebeneffekt der Stärke des britischen Weltreichs im 19. Jahrhundert gewesen, die Stärke des US-Dollars eine Folge der weltpolitischen Lage nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Gipfel-Erklärung war nun lediglich die Rede davon, dass Fortschritte bei den Euro-Reformen gleichzeitig die internationale Rolle des Euro stärkten.

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