Schicksale unter rotem Schlamm

Brumadinho-Opfer wollen Gerechtigkeit

Feuerwehrleute bergen mit Hilfe eines Hubschraubers eine Leiche, Helfer suchen im Schlamm nach Opfern und möglicherweise Überlebenden. Foto: Rodney Costa/Dpa
Feuerwehrleute bergen mit Hilfe eines Hubschraubers eine Leiche, Helfer suchen im Schlamm nach Opfern und möglicherweise Überlebenden. Foto: Rodney Costa/Dpa

BRUMADINHO (dpa) - Vor einem Jahr brach der Damm der Eisenerzmine Córrego do Feijão in Brasilien. 270 Menschen kamen dabei ums Leben. Der TÜV Süd hatte kurz zuvor noch die Sicherheit der Anlage bestätigt. «Es war kein Unfall, es war ein Verbrechen», sagen die Hinterbliebenen.

Von elf Verschütteten fehlt auch noch nach einem Jahr jede Spur. Tag für Tag suchen die Feuerwehrleute in Brumadinho unter Schlamm und Geröll nach den letzten Vermissten des verheerenden Dammbruchs, selbst an Weihnachten gruben sie weiter. «Was mich motiviert? Ich will diesen Familien eine Antwort geben», sagte eine Feuerwehrfrau dem Nachrichtenportal «G1». «Wir werden nicht aufhören, bis die elf Familien Gewissheit haben.»

Der Damm an der Mine Córrego do Feijão brach am 25. Januar 2019. Eine Schlammlawine rollte über Teile der Anlage und benachbarte Siedlungen nahe der Ortschaft Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais hinweg und begrub Menschen, Häuser und Tiere unter sich. Insgesamt 270 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Die Leichen von 259 wurden bereits geborgen und identifiziert. Jetzt suchen die Einsatzkräfte nach den letzten elf Vermissten.

Rund 3200 Feuerwehrleute beteiligten sich in den vergangenen zwölf Monaten an den Sucharbeiten. Sieben Millionen Quadratmeter wurden abgesucht. «Wir werden so lange weitermachen, wie wir die Elf gefunden haben oder die Polizei die Überreste nicht mehr identifizieren kann», sagte Feuerwehrchef Edgard Estevo.

Während sich die Einsatzkräfte weiter durch die rotbraune Erde von Brumadinho graben, wühlen sich die Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft durch Akten, Gutachten und Dokumente, um die Verantwortlichen für das Unglück zu identifizieren. Über 40 Spezialisten sichten derzeit rund 80 Millionen Dokumente, darunter auch E-Mails und Textnachrichten, wie die brasilianische Bundespolizei zuletzt mitteilte. Die Ermittlungen richten sich vor allem gegen den Betreiber der Mine, den brasilianischen Konzern Vale, eines der größten Bergbauunternehmen der Welt, und das Tochterunternehmen des deutschen TÜV Süd, das kurz vor dem Dammbruch die Rückhaltebecken geprüft und für sicher befunden hatte.

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft wurde das Zertifikat ausgestellt, obwohl dem TÜV der schlechte Zustand der Anlage und das Risiko bewusst waren. Ein verantwortlicher Prüfer hatte in Vernehmungen erklärt, sich von Vertretern des Minenbetreibers Vale unter Druck gesetzt gefühlt zu haben. Im Laufe der Ermittlungen waren 13 Mitarbeiter von Vale und TÜV Süd festgenommen worden. Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt. Anklage wurde bislang nicht erhoben.

In Deutschland hatten im vergangenen Jahr fünf Hinterbliebene Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung und Bestechung gegen den TÜV Süd und einen seiner Manager gestellt. «Der Dammbruch war kein Unfall, er war ein Verbrechen. TÜV Süd wusste, dass der Damm ein Sicherheitsrisiko barg, trotzdem wurde die Stabilitätserklärung ausgestellt», sagte eine der Anzeigeerstatterinnen, Marcela Nayara Rodrigues. «Für mich ist die Anzeige eine persönliche Angelegenheit: Weil mein Vater beim Dammbruch getötet wurde und weil sich das korrupte Geschäft mit der Sicherheit ändern muss, denn es zerstört unsere Leben und unseren Planeten.»

Unterstützt werden die Hinterbliebenen vom katholischen Hilfswerk Misereor und dem European Center for Constitutional and Human Rights. «Das Ermittlungsverfahren bietet die Chance, die Rolle der Unternehmenszentrale von TÜV Süd vollständig aufzuklären sowie den Opfern und Hinterbliebenen zu ihrem Recht zu verhelfen», sagte Misereor-Menschenrechtsexperte Armin Paasch. «Der Dammbruch hat unsägliches Leid über die Menschen in Brumadinho gebracht, einen Fluss verseucht und in der Region die Lebensgrundlagen lokaler Gemeinschaften zerstört.»

TÜV Süd erklärte sich bei der Aufarbeitung des Unglücks zur Zusammenarbeit mit den Behörden bereit, wollte sich aber im Detail nicht zum laufenden Verfahren äußern. «Unser großes Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Familien. Auch ein Jahr nach dem Unglück sind die Ursachen des Dammbruchs noch nicht abschließend geklärt», teilte der TÜV Süd der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit. «TÜV Süd hat unverändert großes Interesse an der Aufklärung der Unglücksursache und bietet im Rahmen der laufenden Ermittlungen den Behörden und Institutionen in Brasilien und Deutschland weiterhin seine Kooperation an.»

Unterdessen ringen die Familien der Opfer in Brasilien um eine gemeinsame Entschädigung. «Die Forderung der Familien und Organisationen ist, dass ein Vertrag über eine gutachterliche Begleitung des Verfahrens geschlossen und die Entschädigung kollektiv vorgenommen wird», sagte der Koordinator der katholischen Hilfsorganisation Caritas im Bundesstaat Minas Gerais, Rodrigo Vieira, der dpa. Bislang setzt der Bergbaukonzern Vale auf Verhandlungen mit einzelnen Opferfamilien. «Die Betroffenen nehmen dann oft, was ihnen angeboten wird, auch wenn es unter dem liegt, was sie bekommen könnten», sagt Vieira.

Das Unternehmen antwortete auf Anfrage der dpa, Vale wolle schnell handeln. «Das Ziel war, die kurzfristigen Ausgaben der Familien, landwirtschaftlichen Produzenten und Händler in Brumadinho zu decken, damit sie in Ruhe ihre jeweiligen individuellen Entschädigungen aushandeln können», heißt es in einer Erklärung. Bis Mitte Januar haben demnach schon mehr als 4.500 Familien von Betroffenen und Arbeitern diesen Vereinbarungen zugestimmt.

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