Scheuers Verkehrswende

«German Vernunft» oder «German Wahnsinn»?

Fahrzeuge stauen sich auf der Autobahn 3. Wegen einer Baustelle wurden die Fahrbahnen verengt. Foto: David Young/Dpa
Fahrzeuge stauen sich auf der Autobahn 3. Wegen einer Baustelle wurden die Fahrbahnen verengt. Foto: David Young/Dpa

BERLIN (dpa) - Der Verkehrsminister hat den größten Investitionshaushalt des Bundes. Scheuer plant Milliardenausgaben für die Straße, aber auch mehr Geld für die Schiene. Opposition und Verbände aber zerpflücken den Haushalt. Und dann ist da noch die Pkw-Maut.

Es war ein ungemütlicher Tag für den Verkehrsminister, zumindest im Bundestag. Und es könnte noch ungemütlicher werden. Dabei wollte Andreas Scheuer (CSU) eigentlich eine Botschaft setzen. In einem Gastbeitrag für die «Welt» warnte er davor, beim Klimaschutz die Menschen zu überfordern - indem zum Beispiel Sprit- und Heizkosten sofort drastisch erhöht werden. Ein Wink an den Koalitionspartner SPD, eine Woche vor den entscheidenden Beratungen im Klimakabinett. «Wir brauchen German Vernunft», schrieb Scheuer. Am Mittag dann aber geriet er im Bundestag ins Kreuzfeuer der Kritik - wegen des Debakels bei der Pkw-Maut und seiner Etatpläne. Ein Überblick:

GESAMTETAT: Die Ausgaben im Verkehrsetat erhöhen sich laut Entwurf insgesamt um rund 540 Millionen Euro oder 2 Prozent auf 29,8 Milliarden Euro. Nur die Etats für Arbeit und Soziales sowie Verteidigung sind höher. Ein Teil der Ausgaben sind Verwaltungs- und Personalausgaben, auch für nachgeordnete Behörden, sowie Förderprogramme. Mehr als die Hälfte des Geldes, nämlich 17,8 Milliarden Euro, ist für Investitionen eingeplant - der weitaus größte Teil für Straße, Schiene und Wasserstraße.

STRASSE: Die meisten Ausgaben gehen in die Bundesfernstraßen, also Autobahnen und Bundesstraßen, nämlich insgesamt 10,81 Milliarden Euro - etwas mehr als im Vorjahr. Davon fließen nach Angaben des Bundestags 9,6 Milliarden Euro in den Bau, die Erhaltung und den Betrieb der Straßen, knapp 400 Millionen Euro mehr als 2019 - also um zum Beispiel Schlaglöcher zu beseitigen oder Brücken zu sanieren.

SCHIENE: Die Bahn stärken, damit mehr Leute von der Straße umsteigen - das ist das erklärte Ziel Scheuers. Es ist ein wesentlicher Aspekt auch bei seinen Vorschlägen im Klimakabinett der Regierung. Für die Schienenwege sollen die Ausgaben im Verkehrsetat laut Entwurf um 1,2 Milliarden Euro auf 6,8 Milliarden Euro steigen. 1,5 Milliarden Euro davon sind Baukostenzuschüsse für Investitionen in den Neu- und Ausbau von Schienenwegen, etwas weniger als im Vorjahr. Das meiste Geld fließt in den Erhalt des zum Teil maroden Schienennetzes.

Bund und Bahn hatten sich vor wenigen Wochen auf wesentliche Regelungen für eine neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) geeinigt. Sie soll von Beginn des kommenden Jahres an bis zum Jahr 2029 gelten. Die Mittel des Bundes werden deutlich erhöht. Allein für die neue LuFV will der Bund im Zeitraum 2020 bis 2029 insgesamt rund 51,4 Milliarden Euro einsetzen. Außerdem sind im Etat 2020 mehr Gelder für die Digitalisierung der Schiene oder die Elektrifizierung von Schienenstrecken vorgesehen.

DIGITALE INFRASTRUKTUR: Für den flächendeckenden Breitbandausbau vor allem auf dem Land sind Mittel in Höhe von 1,05 Milliarden Euro geplant, deutlich mehr als im Vorjahr. Für digitale Infrastruktur hat der Bund außerdem 2018 ein «Sondervermögen» eingerichtet - in diesen Topf gehen auch die Erlöse aus der 5G-Frequenzversteigerung von rund 6,5 Milliarden Euro.

RADWEGE: Für den Radverkehr sind insgesamt 130 Millionen Euro eingeplant, einer Grünen-Analyse zufolge weniger als im Vorjahr. Für Bau und Erhalt von Radwegen an Bundesfernstraßen bleiben die Mittel mit knapp 100 Millionen Euro nahezu auf dem Niveau des Vorjahrs.

KRITIK: Opposition und Verkehrsverbände ließen kaum ein gutes Haar an den Haushaltsplänen. Tenor: zu viel Geld für die Straße, viel zu wenig für die Schiene, den Öffentlichen Personennahverkehr und den Radverkehr. Der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar sagte, Scheuer habe eigentlich das beste Ministerium, weil er so viel investieren könne - der Minister aber betreibe eine rückwärtsgewandte Verkehrspolitik: «Er betoniert Jahr für Jahr Milliarden sinnlos in Straßen. Klimaschutz funktioniert so nicht, Verkehrswende gleich gar nicht.» Gelbhaar nahm Scheuers «German Vernunft» auf und schimpfte, es handle sich eher um «German Wahnsinn».

MAUT-DEBAKEL: Scheuer steht unter Druck, weil er die Verträge zur Erhebung und Kontrolle der Maut mit den Betreibern Kapsch und CTS Eventim 2018 geschlossen hatte, bevor endgültige Rechtssicherheit bestand. Tatsächlich erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Maut Mitte Juni für rechtswidrig, direkt nach dem Urteil kündigte der Bund die Verträge. Daraus könnten nun finanzielle Forderungen der Firmen resultieren. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Maut wird immer wahrscheinlicher.

Im Bundestag warfen Oppositionspolitiker Scheuer schwere Fehler vor. Der Linke-Politiker Victor Perli etwa sagte: «Minister Scheuer hat voreilig milliardenschwere Betreiberverträge mit Konzernen unterschrieben.» Nun drohten Schadenersatzforderungen der Konzerne, es gehe um Hunderte Millionen Euro, die Zeche zahle der Steuerzahler. Auch für den Verkehrshaushalt kann die Pkw-Maut noch unangenehme Folgen haben. Denn es waren für die kommenden Jahre bereits Einnahmen von rund einer Milliarde Euro eingestellt worden. Wie dies nun kompensiert werden soll, ist offen.

AUSBLICK: Der Etat Scheuers ist wie der gesamte Bundeshaushalt unfertig. Denn vieles wird davon abhängen, welche konkreten Maßnahmen das Klimakabinett beschließt. Vor allem der Verkehrsbereich muss liefern, damit der Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 sinkt. Scheuer hat umfassende Vorschläge vorgelegt - so will er die Bundesmittel für den Aus- und Neubau von Schienenverkehr auf 3 Milliarden Euro pro Jahr verdoppeln.

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