Scherbengericht IAA - Autoindustrie wegen schwerer SUVs in der Kritik

Foto: Bodo Marks/Dpa
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FRANKFURT/MAIN (dpa) - Die Klimawende im Verkehr soll mit Elektro-Autos erreicht werden. Auf der Messe IAA werden einige davon gezeigt, doch die wirklichen Geschäfte macht die Industrie mit zunehmend umstrittenen Fahrzeugen.

Die Automesse IAA wird zum Klima-Tribunal über die Autoindustrie - aber der weltgrößte Hersteller Volkswagen hofft auf ein «grüneres» Image durch den Start der elektrischen ID-Reihe.

Nie zuvor waren zu der am Donnerstag (12. September) in Frankfurt beginnenden Automesse derart massive Proteste angekündigt. Im Zentrum der Kritik stehen nicht erst seit dem verheerenden Unfall von Berlin mit vier getöteten Fußgängern die Stadtgeländewagen - Sports Utility Vehicle (SUV) sagen deren Befürworter, Stadtpanzer oder Klimakiller deren Gegner. Ob sie klassische Verbrennungsmotoren oder hochpotente Elektroantriebe unter der Haube haben, spielt kaum noch eine Rolle.

VW, von dessen Tochter Porsche das Unglücksfahrzeug stammt, bemühte sich am Montagabend, andere Akzente zu setzen: Die Wolfsburger zeigten auf dem Messegelände das neue E-Mittelklasseauto ID.3.

Für Greenpeace steht außer Frage, dass SUVs im Widerspruch zum Pariser Klimaschutzabkommen stehen. Sie seien «zu groß, zu schwer, zu klimaschädlich». Erstmals könnten 2019 mehr als eine Million Neuwagen dieses Typs auf die deutschen Straßen rollen. «Auf der IAA werden Klimakiller gefeiert», sagte Greenpeace-Sprecherin Marion Tiemann.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat versucht, mit den Kritikern ins Gespräch zu kommen. Einem Bürgerforum in Berlin folgt eine weitere Diskussionsrunde zur IAA. Die Veranstaltung habe sich von einer Auto- zur Mobilitätsmesse gewandelt, sagte Verbandspräsident Bernhard Mattes. «Wir sind die Plattform für die individuelle Mobilität der Zukunft.» Das langfristige Ziel bleibe die CO2-neutrale individuelle Mobilität im Jahr 2050.

Auch VW-Konzernchef Herbert Diess betonte: «Wir glauben, dass das Auto in der neuen Welt noch eine große Zukunft hat.» Bei einem «taz»-Streitgespräch mit der Umweltaktivistin Tina Velo sagte er, es sei weit mehr als ein Feigenblatt, in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren rund die Hälfte der Flotte auf elektrische Antriebe umzustellen. «Wir meinen das ernst», sagte Diess.

Der ID.3 sei «mehr als ein neues Modell», meinte der VW-Chef anschließend bei der Vorstellung des Wagens. «Das ist das Auto, das von uns jetzt erwartet wird.» Es sei ein «entscheidender Moment».

Die Serienfertigung des ID.3 soll im November im VW-Werk Zwickau anlaufen, für das Frühjahr 2020 sind die ersten Auslieferungen geplant. Zwar hat der Konzern bereits einige Elektroautos im Programm - etwa den Audi e-tron oder den E-Sportwagen Porsche Taycan, dessen Produktionsstart am Montag war. Eine rein elektrische Großserie zu einem geringeren Einstiegspreis fehlte bisher aber noch.

Die nötigen Investitionen sind jedoch mit erheblichen Risiken verbunden. Der Aufbau neuer E-Fahrzeuglinien kostet VW Milliarden, während der Konzern finanzielle Lasten aus dem Dieselskandal verdauen muss. Gleichzeitig werden in den kommenden Jahren viele Jobs vom Verbrennungsmotor zu weniger arbeitsintensiven E-Antrieben verlagert.

«Es war sehr viel los», meinte Diess im Rückblick auf die vergangenen Jahre. Die Dieselaffäre sei dramatisch für die gesamte Autoindustrie gewesen und habe viel Schaden verursacht. «Es dürfte noch Jahre dauern, bis wir das Vertrauen wiedergewonnen haben.»

Der Sprecher der VW-Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, Wolfgang Porsche, sagte zu den Klimaprotesten: «Ich finde es toll, dass sich die Jungen um das kümmern.» Er sei aber auch überrascht, wie heftig die Kritik die Autobranche in Deutschland treffe. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sagte: «Ich glaube, es gibt ein paar Elemente, da muss man auch Protest akzeptieren, wenn er konstruktiv vorgetragen wird. Wir gehen auch in den Dialog mit den schärfsten Kritikern.»

Bei der IAA herrscht auch wegen mauer Absatzzahlen eine angespannte Stimmung. In China sanken die Verkäufe im August im Vergleich zum Vorjahresmonat um 9,9 Prozent auf 1,59 Millionen Autos. In der Krise sind die deutschen Hersteller noch stärker vom Erfolg ihrer SUVs abhängig. Bei BMW machten sie im August knapp die Hälfte der Verkäufe aus und liefen selbst in China prächtig. «Unsere neuen X-Modelle sind bei den Kunden sehr beliebt», sagte Vertriebschef Pieter Nota.

Der VDA verweist auf die hohe Nachfrage der Kunden nach SUVs. Die Unternehmen sollten statt Klimakillern und Rennlastern besser ein Feuerwerk alternativer Antriebe zeigen, verlangte Jürgen Resch, Chef des Vereins Deutsche Umwelthilfe (DUH). Wegen seiner erfolgreichen Luftreinhalte-Klagen ist er so etwas wie der Lieblingsfeind der deutschen Autoindustrie. Resch sieht die deutschen Hersteller bei den E-Modellen weltweit im Hintertreffen, fordert einen SUV-Verkaufsstopp und einen Ausstieg aus der Verbrennertechnologie zum 1. Januar 2025.

Mit dem Verkehrsclub VCD, dem Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club ADFC, Greenpeace und weiteren Organisationen ruft die DUH für Samstag (14.09.) zu einer Fahrrad-Sternfahrt mit anschließender Demonstration auf. Die Frankfurter Polizei erwartet hierzu rund 20.000 Menschen.

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