EU schließt Luftraum für Flugzeuge aus Belarus - Minsk protestiert

Foto: epa/Toms Kalnins
Foto: epa/Toms Kalnins

MINSK/BRÜSSEL: Nach der von belarussischen Behörden erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs aus der EU zeigt die Union, wie harte Sanktionen erlassen werden. Für Maschinen aus dem Land ist der Luftraum der EU ab sofort tabu. Und dabei wird es nicht bleiben. Minsk droht.

Zum Ärger des Machtapparats in Belarus drückt die EU ihre bisher schärfsten Sanktionen gegen die autoritär geführte Ex-Sowjetrepublik durch. Belarussische Fluggesellschaften dürfen seit Samstag nicht mehr in den Luftraum der EU fliegen, Starts und Landungen in EU-Staaten sind verboten. Mit der Strafmaßnahme reagiert die EU darauf, dass der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko vor rund zwei Wochen eine Ryanair-Passagiermaschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Zwischenlandung in Minsk zwang. Er ließ danach den an Bord reisenden regierungskritischen Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega festnehmen. Beide sitzen in Haft.

In der belarussischen Hauptstadt Minsk protestierte die Regierung gegen die Entscheidung der EU und kündigte Gegenmaßnahmen sowie eine Klage auf Schadenersatz an. «Ein Komplex an Maßnahmen ist fertig als Antwort auf die Sanktionen», sagte Regierungschef Roman Golowtschenko am Samstagabend im Staatsfernsehsender Belarus-1. Belarus könne künftig komplett auf westliche Waren verzichten und sich nach Asien orientieren. Zugleich äußerte Golowtschenko die Hoffnung, dass es keine weiteren Sanktionen des Westens geben werde.

Behörden in Minsk sprachen von einer illegalen «Luftblockade» der EU gegen Belarus. Unter Umgehung internationaler Verträge werde die belarussische Fluggesellschaft Belavia «erstickt». «Diese Sanktionen sind eine gewaltsame Übernahme des Marktes und des Geschäfts», sagte der Direktor der Luftfahrtabteilung des Verkehrsministeriums, Artjom Sikorski, dem Staatsfernsehsender ONT in Minsk. Belavia habe nichts zu tun mit der Landung des Ryanair-Flugzeugs. Das Staatsunternehmen hatte angekündigt, Mitarbeiter zu entlassen.

Für Flugreisende bedeutet der EU-Beschluss Umwege etwa über Russland. In Deutschland waren von dem Flugverbot Belavia-Verbindungen nach Frankfurt, Berlin, Hannover und München betroffen.

In dem am Freitag gefassten Sanktionsbeschluss der EU gegen Belarus heißt es, die Zwangslandung mache die Unzuverlässigkeit der belarussischen Luftfahrtbehörden deutlich und stelle einen weiteren Schritt zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition in Belarus dar. Unter Verweis auf eine von Belarus behauptete Bombendrohung gegen die Ryanair-Maschine ist von gefälschten Beweisen die Rede. Die Landung soll bereits eingeleitet worden sein, als eine per Mail am 23. Mai abgesetzte Bombendrohung noch gar nicht vorlag. Die Mail ging erst später ein.

EU-Ratspräsident Charles Michel teilte mit, dass weitere Strafmaßnahmen schnell folgen würden. Nach einer Einigung der Staats- und Regierungschefs vom 24. Mai werden weitere Wirtschaftssanktionen sowie Strafmaßnahmen gegen Personen und Einrichtungen vorbereitet. Nach Angaben von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) könnte bei den Strafmaßnahmen zum Beispiel die Kali- und Phosphatindustrie ins Visier genommen werden. Dort gibt es wie etwa auch bei der Herstellung von Ölprodukten starke belarussische Staatsunternehmen.

Einigkeit besteht in der EU darüber, dass Branchen oder Unternehmen ausgewählt werden sollen, mit denen die Staatsführung möglichst hart und die Bevölkerung möglichst wenig getroffen werde. Mit den Sanktionen soll der Druck auf Lukaschenko weiter erhöht werden.

In Belarus gibt es seit der Präsidentenwahl am 9. August vergangenen Jahres Proteste gegen Lukaschenko, der bereits seit fast 27 Jahren an der Macht ist. Auslöser sind Vorwürfe der Fälschung der Wahl, nach der sich Lukaschenko mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger hatte erklären lassen. Bei den Protesten gab es bereits mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen. Menschenrechtler kritisieren Folter in den belarussischen Gefängnissen.

Groß ist die Sorge vor allem um den nach der Ryanair-Landung inhaftierten Protassewitsch. Der 26-Jährige hatte in einem am Donnerstag von den Staatsmedien in Belarus wohl unter Druck entstandenen Interview gesagt, dass er in der Opposition im Ausland gegen Lukaschenko gearbeitet und Massenproteste organisiert habe. Dabei nannte er zur Freude der Staatspropaganda zahlreiche Namen und mutmaßliche Details zur Arbeit der Lukaschenko-Gegner.

Womöglich sind ihm die Angaben diktiert worden. Betroffene und Familienmitglieder meinten, die Aussagen des Bloggers seien nach Folter entstanden. Der von Protassewitsch auch in dem Interview genannte prominente Politologe Artjom Schraibman teilte am Samstag mit, dass er aus Angst vor einer Inhaftierung des Land verlassen habe. Zugleich wies er zurück, für die Opposition gearbeitet zu haben. Protassewitsch sei eine «Geisel» Lukaschenkos, die für ihre Aussagen nicht verantwortlich zu machen sei, sagte Schraibman.

Belarussische Staatsmedien berichteten, dass Ermittler aus dem prorussischem Separatistengebiet Luhansk in der Ostukraine auf dem Weg nach Minsk seien, um Protassewitsch zu vernehmen. Lukaschenko hatte ihn als «Terroristen» bezeichnet und ihm vorgeworfen, im Krieg im Donbass als Kämpfer auf der Seite ukrainischer Truppen im Gebiet Luhansk zahlreiche Menschen getötet zu haben. Deshalb wollten die Vertreter der Separatistengebiete ihn nun vernehmen, hieß es. Protassewitsch fürchtet um sein Leben. Seine Mutter Natalja hatte gesagt, ihr Sohn sei als Journalist im Donbass gewesen.

Unter den mehr als 400 politischen Gefangenen in Belarus ist eine Vielzahl prominenter Oppositioneller, darunter der frühere Bankier Viktor Babariko und der Blogger Sergej Tichanowski. Sie wollten bei der Präsidentenwahl gegen Lukaschenko antreten, waren aber davor inhaftiert worden. Die Opposition sieht Swetlana Tichanowskaja, die in der EU im Exil lebt und für ihren inhaftierten Mann gegen Lukaschenko angetreten war, als wahre Siegerin der Abstimmung.

Tichanowskaja bezeichnete das Interview mit Protassewitsch ebenfalls als Ergebnis von Folter. Sie traf sich am Samstag erneut in Polen mit seinen Eltern Natalja und Dmitri Protassewitsch. Die 38-Jährige forderte wiederholt die Freilassung aller politischen Gefangenen, darunter auch ihre Mitstreiterin im Wahlkampf, Maria Kolesnikowa, eine ehemalige Kulturmanagerin aus Stuttgart. Dmitri Protassewitsch sagte: «Wir werden die Befreiung aller Gefangenen erreichen.»

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Ole Bayern 06.06.21 02:00
Es scheint so zu sein ....
... das die EU nun wirklich mal eine UNION ist . Diese Maßnahmen sind überfällig gegen derartige Diktatoren . Man müßte noch viel weiter gehen ... z.B. Einreisesperre für alle im " Parlament " sitzende Beifall - Geber von Lukaschenko inkl. Einfrieren aller Guthaben und Besitztümer in der EU , USA , Kanada usw. , auch für Familienangehörige der Parteimitglieder Lukaschenkos .

Das würde Einige zum Nachdenken anregen in Belaruß , wenn das schöne Leben und die Freiheit von heute auf morgen erst mal vorbei ist .... und der Besitz in der EU auch nicht mehr verfügbar ist .

Der Anfang ist gemacht .... diesmal ein Daumenhoch für die EU ..... muß auch mal sein !

VG Ole