Zehntausende fordern Unabhängigkeit

«Sag Nein zu China»: 

Foto: epa/Ritchie B. Tongoanti-china-demonstration In Taipeh.
Foto: epa/Ritchie B. Tongoanti-china-demonstration In Taipeh.

TAIPEH (dpa) - Es war der größte Protest seit langem. Der Druck, den China auf Taiwan ausübt, bringt die demokratischen Taiwanesen nur weiter gegen die Kommunisten in Peking auf. Eine Zwickmühle für Präsidentin Tsai.

Zehntausende haben in Taiwan gegen Peking und für eine Unabhängigkeitserklärung der demokratisch regierten Insel demonstriert. «Sag Nein zu China» oder «Keine Schikane mehr» stand am Samstag in Taipeh auf den Bannern der Kundgebung. Die Organisatoren von der «Formosa Allianz» mit den früheren Präsidenten Lee Teng-hui und Chen Shui-bian an der Spitze fordern eine Volksabstimmung, ob sich Taiwan förmlich unabhängig erklären soll. Doch sind Fragen der Souveränität von Referenden in Taiwan bisher gesetzlich ausgeschlossen.

Ein solcher Schritt, der den Status Quo verändern würde, könnte China auch veranlassen, die Insel gewaltsam zu erobern. Die Führung in Peking beharrt darauf, dass Taiwan ein Teil der Volksrepublik ist, obwohl es nie dazu gehört hat. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat den Druck auf Taiwan seit dem Amtsantritt von Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 noch erhöht, da sie anders als ihr Vorgänger auf Distanz zu Peking geht. Die Präsidentin gehört der Fortschrittspartei (DPP) an, die ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung hat.

Es war die erste Demonstration dieser Art seit Tsai gewählt wurde. Nur einen Monat vor der Kommunalwahl am 24. November gerät die Präsidentin in eine schwierige Position. Tsai will einen offenen Konflikt mit Peking vermeiden und den Status Quo bewahren. Ihre Fortschrittspartei hat sich auch nicht an der Demonstration in Taipeh beteiligt, sondern eine eigene Kundgebung in der Hafenstadt Kaohsiung in Südtaiwan veranstaltet, an der rund 10.000 Menschen teilnahmen. Trotzdem zogen einige DPP-Mitglieder die Demonstration in Taipeh vor, darunter ein früherer Präsidentenberater und Außenminister.

«Wir müssen die Welt wissen lassen, dass wir entschlossen sind, die Unabhängigkeit zu verfolgen», sagte Kuo Bei-hong, der Gründer der erst im April ins Leben gerufenen «Formosa Allianz». Peking werde immer versuchen, Kontrolle über Taiwan auszuüben. Durch eine Volksabstimmung könnten die Taiwanesen aber selbst über ihre Zukunft entscheiden. «Das taiwanesische Volk muss die Stimme erheben», sagte eine Demonstrantin, die 77-jährige Lehrerin Lai Chin-nan. «Ich bin enttäuscht von der Fortschrittspartei, die mehr hätte tun können.»

Die Empörung ist gewachsen, da China verstärkt versucht, Taiwan international weiter zu isolieren. Von den bisher nur zwei Dutzend meist kleineren Staaten, die Taiwan diplomatisch anerkannt hatten, konnte Peking fünf auf seine Seite ziehen. Taiwan kritisiert, dass Peking mit Finanzhilfen gelockt hat. Mit seiner Ein-China-Doktrin erlaubt die kommunistische Führung keinem Land, sowohl diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik als auch mit Taiwan zu unterhalten. Auch Deutschland ist deswegen in Taipeh nur inoffiziell mit einem «Deutschen Institut» vertreten.

Das Tauziehen um den Status Taiwans geht auf den Bürgerkrieg in China zurück, als die Truppen der nationalchinesischen Kuomintang nach ihrer Niederlage gegen die Kommunisten nach Taiwan geflüchtet waren. Seit ihrer Machtübernahme und Gründung der Volksrepublik 1949 in Peking betrachtet die kommunistische Führung die Insel als Bestandteil Chinas und droht mit einer Rückeroberung.

Mehr als zwei Jahrzehnte hielt die «Republik China» in Taiwan sogar noch den ständigen Sitz Chinas im Weltsicherheitsrat. Taipeh musste ihn 1971 an Peking abgeben und verlor auch seine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Die Regierung in Taipeh ist seither selbst von ihren Anspruch abgerückt, ganz China zu repräsentieren.

Für Aussöhnung sorgte zunächst ein vager Konsens in den 90er Jahren, wonach beide Seiten zu «einem China» gehören, auch wenn sie unterschiedliche Interpretationen akzeptierten, was darunter zu verstehen ist. Die Annäherung stieß aber auf wachsenden Widerstand unter den 23 Millionen Taiwanesen, was auch zur Wahl von Tsai vor zwei Jahren beigetragen hat. Die Präsidentin vermeidet es, den Konsens zu bestätigen, was die Spannungen mit China verschärft.

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