Russlands Superjet SSJ-100 fliegt tiefer in die Krise

Foto: epa/Moscow News Agency
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MOSKAU (dpa) - Für Russlands Flugzeugindustrie sollte der Superjet SSJ-100 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Rückkehr aufs internationale Parkett markieren. Doch nicht erst seit der Katastrophe in Moskau fragen sich viele, ob der Jet wirklich super ist.

Die Bilder vom verkohlten Wrack des Suchoi Superjets (SSJ-100) auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo sind Gift für das Vorzeigeprojekt der russischen Luftfahrt. Eigentlich wollte Kremlchef Wladimir Putin mit dem Mittelstreckenflieger auch westlichen Herstellern Konkurrenz machen. Die Ursache für die Bruchlandung vom Sonntag ist zwar noch unklar. 2012 war auch ein SSJ-100 wegen eines Pilotenfehlers in Indonesien abgestürzt. Nach dem neuen Zwischenfall stehen aber nun mehr als 86 Todesfälle mit dem erst seit 2011 eingesetzten Jet in Verbindung.

Der SSJ-100 werde trotzdem weiter fliegen, heißt es in Moskau. Das schon seit Jahren von Pannen begleitete Projekt jetzt fallen zu lassen, wäre von viel größerem Schaden, betonen Beamte. Sie verwiesen auch auf die Sanktionen des Westens gegen Russland. Deshalb brauche das Land eine eigene solide Luftfahrt.

Dabei hatte noch vor einigen Monaten sogar die Putin-Vertraute und mächtigste Frau Russlands, Valentina Matwijenko, das Vorhaben in Frage gestellt. «Wozu bauen wir ein Flugzeug, das niemand braucht?», sagte sie. Und sie kritisierte, dass viele SSJ-100 am Boden stünden. Auch aus dem Ausland kommt kaum Interesse. Die Verkaufszahlen sanken zuletzt: Nach 30 Exemplaren 2017 waren es im vorigen Jahr nur 26 Maschinen.

Eine Online-Petition, die SSJ-100 bis zur Klärung der Unglücksursache am Boden zu lassen, hatte bis Dienstagnachmittag mehr als 140.000 Unterzeichner. Doch die Stimmung in der Politik ist kämpferisch. Der Superjet-Hersteller hat seit April eine neue Führung. Mit dem Okay von Putin soll noch mehr Geld in die Entwicklung fließen.

In der zersplitterten Branche war es der Hersteller Suchoi, der als erster eine Maschine mit weltweitem Anspruch entwickelte - und dazu im großen Stil auf Zulieferer aus dem Westen baute. Auf der Luftfahrtmesse in Le Bourget bei Paris präsentierten die Suchoi-Leute schon vor Jahren stolz ihre Partner wie den Luftfahrtkonzern Leonardo aus Italien und den Triebwerksbauer Safran aus Frankreich - wohl auch um das Vertrauen westlicher Fluggesellschaften zu gewinnen. Dazu werben die Russen mit deutlich günstigeren Preisen als bei vergleichbaren westlichen Modellen.

Aus dem Ausland erhoffte sich Suchoi die meisten Bestellungen für den Flieger. Aus dem Iran etwa. Und schon jetzt fliegen einzelne Superjets zum Beispiel in Thailand und Kasachstan. Aufträge über 800 Maschinen wollten die Russen bis zum Jahr 2024 hereinholen, 500 davon aus dem Ausland. Doch technische Probleme, Zweifel an der Qualität der Bauteile und der daraus folgende schlechte Ruf der Maschine stehen dem bisher im Weg.

Die mexikanische Fluglinie Interjet, die die Russen einst als Vorzeige-Kundin aus dem Westen präsentiert hatten, will wegen technischen Dauer-Ärgers mit ihren 22 Maschinen des Typs keine weiteren Exemplare mehr haben. Das einzige europäische Unternehmen, die Fluglinie CityJet aus Irland, will seine Maschinen nun an Adria Airlines in Slowenien abgeben, wie Industrie- und Handelsminister Denis Manturow mitgeteilt hatte. Und so fliegen von den insgesamt 138 Superjets, die weltweit im Einsatz sind, 105 für russische Airlines - allen voran für die größte Gesellschaft Aeroflot.

Der Fall zeigt aber auch, wie schwer es für neue Hersteller aus Russland oder China ist, sich auf dem weltweiten Flugzeugmarkt zu etablieren. Flugzeugbau ist Hightech auf höchstem Niveau. Und auch wenn Russland im Flugzeugbau über eine große Tradition verfügt, Passagierflugzeuge auf dem aktuellen Stand der Technik bekommen Hersteller aus Russland oder auch China bisher nicht alleine hin.

Mit gerade einmal 100 Sitzen und einer Reichweite von rund 4.000 Kilometern zielt der Superjet auf das Segment, das bis dahin von dem kanadischen Hersteller Bombardier und dessen brasilianischem Rivalen Embraer beherrscht wurde. Seine größere Schwester, die MS-21 vom russischen Hersteller Irkut, wartet schon seit Jahren darauf, endlich einmal auf einer der großen Luftfahrtmessen in Le Bourget bei Paris oder Farnborough bei London gezeigt zu werden.

Doch seit dem schon um Jahre verspäteten Erstflug von 2017 ist das nicht gelungen, die Maschinen dort hinzufliegen. Der Termin für die erste Auslieferung wurde mehrfach verschoben, zuletzt von 2019 auf 2021. Auch bei der chinesischen C919, die wie die MS-21 den Mittelstreckenjets von Boeing und Airbus Konkurrenz machen soll, blieb es bisher beim Testflugbetrieb.

An der wichtigen Triebwerkstechnik kann es nicht hängen: Die Russen setzen bei der MS-21 auf einen Antriebstyp des US-Herstellers Pratt & Whitney, der auch bei den Airbus-Typen A320neo und A220 zum Einsatz kommt. Und die Chinesen bedienen sich beim amerikanisch-französischen Hersteller CFM, der praktisch den gleichen Antrieb auch an Boeing und Airbus liefert.

Angesichts der Hängepartien sehen viele Experten wenig Grund für Boeing oder Airbus, sich Sorgen wegen möglicher Konkurrenz aus Russland zu machen. Nicht nur, weil Verzögerungen in Entwicklung und Fertigung das Vertrauen der Fluggesellschaften in die Hersteller schwinden lassen. Sondern auch, weil Airlines neben zuverlässigen und sparsamen Flugzeugen ein breites Servicenetz an Flughäfen in aller Welt brauchen - und eine gute Versorgung mit Ersatzteilen. Auch ein Schnäppchenpreis beim Einkauf relativiert sich dann ganz schnell.

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