Russlands Privatarmeen bringen Putins Gewaltmonopol in Gefahr

Russischer Präsident Wladimir Putin in Moskau. Foto: epa/Mikhael Klimentyev
Russischer Präsident Wladimir Putin in Moskau. Foto: epa/Mikhael Klimentyev

MOSKAU: Russlands Wagner-Truppe ist die bekannteste, aber nicht die einzige Privatarmee in der Ukraine. Westliche Geheimdienste sehen eine «Paramilitarisierung», während die reguläre Armee in der Kritik steht. Droht Putin das staatliche Gewaltmonopol zu entgleiten?

Jewgeni Prigoschin will sich und seinen Wagner-Söldnern nach der extrem verlustreichen Schlacht um die ostukrainische Stadt Bachmut eine Kampfpause gönnen. Stolz zeigt der Chef der Privatarmee Wagner nach einem Hubschrauberflug in einem Video ein unterirdisches Feldlager in einem Wald mit sandigem Boden: Gemeinschaftsunterkünfte, Küche, Speisesaal und eine Sauna. Alles aus Holz gebaut. Irgendwo in Russland. Dort sollen sich die Söldner für neue Kampfeinsätze in der Ukraine rüsten. Aber die Truppe ist längst nicht die einzige paramilitärische Organisation im Krieg in der Ukraine, obwohl Privatarmeen gar nicht erlaubt sind in Russland.

Zwar hat Wagner mit Abstand die größten Ressourcen mit Zehntausenden Kämpfern, Panzern, Flugzeugen und schwerer Artillerie - und agiert etwa auch in Afrika. Aber Prigoschin selbst bestätigte, dass er nicht alleine kämpfe in der Ukraine. Der staatliche Energieriese Gazprom ist demnach aktiv mit privaten Militärfirmen und soll gleich drei gegründet haben: Strömung, Flamme und Fackel.

Es gibt eine Vielzahl anderer Organisationen, die nicht nur die Rolle der regulären russischen Armee infrage stellen. Offen diskutiert wird inzwischen schon, ob Kremlchef Wladimir Putin damit nicht das Gewaltmonopol des Staates entgleitet. Westliche Geheimdienste sprechen bereits von einer «Paramilitarisierung» in Russland.

Die militärischen Privatfirmen heißen Patriot, Storm, Redut und Jenot und werden nach Experten-Einschätzung von Oligarchen und großen Rohstoffkonzernen finanziert. Offiziell treten sie oft als Wachfirmen für strategisch wichtige Objekte in Erscheinung, obwohl dafür staatliche Sicherheitsbehörden zuständig wären.

Doch russische Medien berichten inzwischen offen darüber, dass die Privatfirmen florieren im Zuge des Krieges gegen die Ukraine. «Die privaten Militärfirmen sind ein staatliches Outsourcing - eine neue Technologie im Bereich der Kriegsführung», sagt der Analyst Sergej Jermakow vom Russischen Institut für strategische Forschungen dem Moskauer Hochglanzmagazin «Expert».

Dabei agieren diese paramilitärischen Firmen in einer rechtlichen Grauzone. Gesetzesvorhaben, sie zu legalisieren, kommen seit Jahren nicht voran. Kremlgegner sehen die Privatarmeen als mafiöse Strukturen, die Putin in der Ukraine zum Sieg verhelfen oder ihm und seinen Leuten im Fall einer Niederlage mindestens Sicherheit und bestenfalls die Macht sichern sollen. Die Kritiker beklagen, dass diese Firmen nicht staatlichen Interessen dienen, sondern einzelnen Oligarchen, Gruppierungen und Konzernen, die sie bezahlen.

Vor allem Wagners Modell macht längst Schule. Ramsan Kadyrow, der Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus, der selbst mit seinen Kämpfern in der Ukraine aktiv ist, zeigte sich begeistert, wie «eisern» Wagner agiere. Er wolle selbst eine solche Armee nach dem Ausscheiden aus dem Staatsdienst gründen - und «unserem lieben Bruder Jewgeni Prigoschin» Konkurrenz machen.

Kremlnahe Medien schwärmen immer wieder, wie gut organisiert, effizient und erfolgreich Wagner agiere. Dabei tat der Machtapparat in Moskau lange so, als wäre Wagner ein Phantom und habe nichts mit dem russischen Staat zu tun. Inzwischen ist Prigoschin allgegenwärtig. Der 61-Jährige kritisiert Korruption, Eitelkeiten und Bürokratie in der Armee. Er macht Verteidigungsminister Sergej Schoigu und seinen Generalstabschef Waleri Gerassimow persönlich für Missstände und Niederlagen verantwortlich.

Während sich einfache Bürger wegen solcher Ausfälle jahrelang im Gefängnis wiederfinden würden, poltert Prigoschin, als wäre er unantastbar. Der russische Ultranationalist und frühere Geheimdienstoffizier Igor Girkin, auch unter dem Kampfnamen Strelkow bekannt, warf Prigoschin gerade vor, einem Teil der Armee und Elite den «Krieg» erklärt zu haben - und einen Umsturz zu planen.

Girkin kritisierte Prigoschins inakzeptable «Beleidigungen» gegen die russische Armee als ein Verbrechen und fordert Schritte des Kremls gegen den Putin-Vertrauten. «Wir haben keine andere Armee und müssen sie zu einem kampffähigen Instrument machen», betonte er. Sollte Moskau bei der von Kiew geplanten Gegenoffensive eine Niederlage erleiden, drohe Russland schon zum Ende des Sommers Chaos.

Die russische Politologin Tatjana Stanowaja hält Putin selbst noch für verhältnismäßig stark, um die Machtbalance zu bewahren. «Für den Präsidenten ist eine private Militärfirma ein Attribut, wie es zu einer Großmacht mit geopolitischen Ambitionen gehört», sagt sie. Allerdings habe Wagner längst ein Eigenleben entwickelt - und Prigoschin selbst revolutionäre Ansichten, meint auch sie. «Der Krieg bringt Monster hervor, deren Rücksichtslosigkeit und Verzweiflung eine Herausforderung für den Staat darstellen können.» Schon bei der kleinsten Schwäche könne das System kippen.

In Russland sind nicht zuletzt Partisanen und Saboteure unterwegs, die gegen Russlands Kriegsmaschinerie arbeiten. Für große Verunsicherung sorgt weiter, dass die an der Grenze zur Ukraine gelegene Region Belgorod seit Tagen angegriffen wird. Auch Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow berichtete, er sei unter Feuer geraten. Nach Beschwerden fliehender und entsetzter Bürger, warum der russische Staat zwar Krieg in der Ukraine führe, aber nicht das eigene Staatsgebiet vor Angriffen schütze, sagte er, dass er selbst noch viel mehr Fragen an das Verteidigungsministerium habe.

Minister Schoigu versprach zwar nun, hart durchzugreifen. Das Ministerium meldete auch, mehr als 70 Kämpfer seien im Gebiet Belgorod «vernichtet» worden. Doch dort - wie auch in anderen immer wieder angegriffenen Grenzregionen - haben sich laut Behörden längst Bürgerwehren gebildet. Inzwischen werden Forderungen laut, diese Freiwilligengruppen mit Waffen auszustatten. Zudem formieren sich auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim private Militärfirmen - wohl auch, weil der regulären Armee zu wenig zugetraut wird.

Der Politologe Abbas Galljamow erinnerte mit Blick auf die Angriffe in Belgorod daran, dass der Machtapparat jahrzehntelang vollmundig erklärt habe, dass Russland von Feinden umgeben sei und deshalb seine Verteidigung ausbaue und stärke. «Nun, da es mal zur Sache geht, sollen sich die Leute plötzlich selbst gegen den Feind verteidigen», sagt der frühere Redenschreiber Putins. Er sieht das Land angesichts der schwierigen Lage im Krieg und wegen der Vielzahl bewaffneter Gruppierungen inzwischen sogar am Rande einer Revolution.

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