Rumänien versinkt im eigenen Müll

​Und kauft Abfall aus dem Ausland

Zigeunerfamilien verdienen Geld für ihre täglichen Ausgaben, indem sie wiederverwertbares Material - insbesondere wiederverwertbares Eisen - von den Straßen Bukarests sammeln. Foto: epa/Robert Ghement
Zigeunerfamilien verdienen Geld für ihre täglichen Ausgaben, indem sie wiederverwertbares Material - insbesondere wiederverwertbares Eisen - von den Straßen Bukarests sammeln. Foto: epa/Robert Ghement

BUKAREST: Rumänien schafft es nicht, den eigenen Müll zu trennen, um ihn zu verwerten. Weil dieses Rohmaterial für die Recycling-Industrie dort fehlt, wird es aus dem Ausland gekauft.

In manchen Sommernächten wirkt Bukarest wie eine Stadt am Meer. Möwen schreien und fliegen - wie Tausende von Krähen auch - zum Abfallberg von Chiajna am Stadtrand. Wenige Meter entfernt wohnt die 67-jährige Viorica Ros mit ihren Kindern und Enkeln. Drei Familien, darunter acht Kinder, teilen sich hier zwei kleine Häuser. Als die heutige Rentnerin 1982 hergezogen ist, war das Gelände noch grünes Weideland. In der Nähe gab es eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, in der Ros Tomaten und Gurken pflegte.

Als die Familie 1999 der Errichtung der Müllkippe vor der Haustür zustimmte, ging sie davon aus, bei dem 36 Hektar großen Projekt handele es sich um eine Parkanlage. Im EU-Land Rumänien regelt ein Gesetz, dass Mülldeponien mindestens einen Kilometer von Siedlungen entfernt sein müssen. «Vor allem frühmorgens stinkt es», sagt Ros. «Langsam, langsam haben wir uns daran gewöhnt.» Nicht nur Müll aus Bukarest landet hier, sondern auch aus anderen Orten Südrumäniens.

«Morgens um sieben Uhr, wenn die Wolkendecke dicht ist, riecht man diese Müllkippe sogar am Bukarester Flughafen», sagt Constantin Damov. Er ist Präsident der Recycling-Firma Green Group und will, dass solche Müllhalden verschwinden. Vieles von dem, was dort und in Wäldern und Flüssen landet, ist für Damov wertvoller Rohstoff.

Schwerpunkt seiner Firma ist Plastik-Recycling. 100.000 Tonnen PET-Flaschen und anderer Kunststoff-Abfall gelangen jährlich in seine Fabrik im südostrumänischen Buzau. Weitere 50.000 Tonnen sind es in den zum Konzern gehörenden Werken in Litauen und der Slowakei.

Doch Green Group muss mehr als 60 Prozent des Plastikmülls, der in Rumänien verarbeitet wird, im Ausland kaufen, weil das Land am Schwarzen Meer den eigenen Abfall nicht zu trennen vermag. «Würde Rumänien 100 Prozent des Plastikmülls getrennt sammeln, müssten wir keinen mehr aus dem Ausland kaufen und könnten unsere Produktionskapazität verdoppeln», sagt Damov.

Derzeit liege dieser Wiederverwertungsgrad bei 20 Prozent. Effiziente Mülltrennung wäre nicht nur umweltfreundlich, sondern enorm profitabel: «Man muss sich vorstellen, dass Plastik-Granulat - gereinigter und zerkleinerter Plastikmüll - 2,5 Mal teurer ist als Weizen», betont Damov. Dieser Markt werde wachsen, weil die EU vorgeschrieben habe, dass bis 2025 alle PET-Flaschen zu 25 Prozent aus Recycling-Material bestehen müssen. Plastik-Granulat sei bereits jetzt schon um 30 Prozent teurer als jenes aus Erdöl.

Damov spricht von «Material», nicht von «Müll». In seine Fabrik kommt es mehrheitlich aus Deutschland, Italien, Bulgarien, Griechenland. Auch in Serbien und Nordmazedonien ist Damov aktiv. Dort wird Plastikmüll gewaschen, zerkleinert und nach Rumänien gebracht.

Seit China 2018 die Regeln für Müll-Importe verschärfte, ist Osteuropa als Ziel von Abfällen interessanter geworden. Allerdings spielt Rumänien für den Müllhandel aus Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes eine eher geringe Rolle. 2019 wurden 5317 Tonnen Kunststoffabfälle aus Deutschland in das Karpatenland exportiert. Das liegt - abgesehen von einem Ausreißerjahr 2018 - etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Nach Polen gingen 2019 etwa 83.000 Tonnen Altkunststoffe und nach Tschechien 68.000 Tonnen.

Rumänien oder andere osteuropäische Staaten können China als Zielland nach Angaben des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) nicht ersetzen. Doch sei der Export von Altkunststoffen etwa nach Osteuropa in den letzten Jahren zum Teil deutlich gestiegen, sagt ein bvse-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur.

Deutschland exportiert nicht nur Müll, es importiert auch: 2018 sind 48.904 Tonnen nicht-notifizierungspflichtiger Abfall dem Umweltbundesamt zufolge von Deutschland nach Osteuropa ausgeführt und von Osteuropa nach Deutschland 332.557 Tonnen Müll importiert worden.

Nach Einschätzung des bvse liegt das daran, dass die Kapazitäten fürs Recycling oder die Müllverbrennung unterschiedlich verteilt sind. Zudem gebe es europaweit unterschiedliche Regelungen für Hausmülldeponien: Während diese in Deutschland seit langem verboten sind, sind sie in anderen Ländern noch teilweise bis 2030 erlaubt.

Ein Ende der Deponierung ist in Rumänien nicht in Sicht. Der seit November 2019 amtierende bürgerliche Umweltminister Costel Alexe macht die Vorgängerregierungen verantwortlich. Vorerst hat sein Haus nur eine Studie vorgelegt, die untersucht, inwieweit ein in Rumänien noch fehlendes Pfandflaschen-System praktikabel wäre.

Bis Ende dieses Jahres will Alexe erreichen, dass 50 Prozent des Mülls in seinem Land zu Recycling-Zwecken getrennt gesammelt wird, wie er dem Portal hotnews.ro sagte. Doch könnte dies zu höheren Müllgebühren führen - die in Rumänien wohl jeder Politiker scheut.

Für Mülltrennung gibt es nur zarte Anfänge: Im 1. Bukarester Bezirk werden die Bürger von Abfallgebühren befreit, wenn sie den trockenen vom nassen Müll trennen. Diese sehr grobe Trennung bringe kaum etwas, sagt Damov - höchstens sieben Prozent könnten wiederverwertet werden.

Eher als umfassende Mülltrennung könnte das Aus der Deponie neben Familie Ros kommen: Die Verwaltung des angrenzenden Stadtbezirks hat die private Eigentümerfirma verklagt. Es geht um Emissionen, die bei der Verarbeitung des Deponiegases zu Strom entstehen. Geklärt werden muss im Prozess zudem, ob Teile der Deponie illegal auf einem Privatgrundstück liegen. Das Bukarester Rathaus hat den Vertrag mit dem Betreiber gekündigt. Die Genehmigung läuft aber noch bis 2028.

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