MADRID: Seit Jan Ullrich war kein deutscher Radprofi bei der Vuelta so gut wie Florian Lipowitz. Sein Team schirmt den 23-Jährigen ab - und auch erfahrene Profis mahnen.
Bevor Florian Lipowitz sich bei der Spanien-Rundfahrt endgültig auf die Spuren von Jan Ullrich begab, musste er noch einmal richtig leiden. Kaum ein Auge hatte die Entdeckung der Vuelta vor dem abschließenden Zeitfahren zubekommen, ein übles Magenvirus hatte ihm wie dem Rest des Teams zugesetzt. Lipowitz quälte sich auf der Ehrenrunde in Madrid, am Ende war er sensationeller Siebter der Gesamtwertung - so gut war seit Ullrichs Sieg 1999 kein deutscher Radprofi mehr.
«Ich hatte Magenprobleme und konnte kaum schlafen. Ich war richtig müde. Ich bin über Platz sieben sehr glücklich», sagte Lipowitz. Beinahe hätte er als erster Deutscher das Weiße Trikot des besten Jungprofis gewonnen, doch zum Dänen Mattias Skjelmose fehlte eine gute Minute. Für die Einordnung von Lipowitz' Leistung brauchte es das Trikot ohnehin nicht.
Sein Chef Ralph Denk sieht auch direkt noch Raum für Verbesserungen. «Auffallend war, dass er unter den Fahrern in den Top Ten der schwerste war. Er hat schon noch einen stattlichen Oberkörper vom Biathlon», sagte Denk der Deutschen Presse-Agentur. «In ihm schlummert noch viel Potenzial. Aber wir machen das Schritt für Schritt, haben null Eile.»
Stiller Schwabe
Mit Platz drei bei der Tour de Romandie im April empfahl sich Lipowitz für den Giro d'Italia. Nachdem der 23-Jährige bei der Italien-Rundfahrt jedoch aufgrund einer Covid-Infektion aufgeben musste, schickte ihn sein Red-Bull-Ream zur dritten großen Landesrundfahrt. Um zu «lernen und zu helfen», wie Denk betonte - doch dann «fuhr er sensationell gut».
Der stille Lipowitz ist nicht nur aufgrund seines Talents kein gewöhnlicher Radprofi. Eigentlich war er dabei, Biathlet zu werden, besuchte das legendäre Skigymnasium im österreichischen Stams. Sein älterer Bruder Philipp ging den Weg, wurde 2021 Junioren-Weltmeister.
Radtouren als Familienurlaub
Diverse Verletzungen, die im Training oft nur Radfahren zuließen, führten dann zum Umdenken. Durch das Biathlontraining saß der Schwabe im Jahr ohnehin schon 6000 Kilometer auf dem Rad. Und Familienurlaube im Hause Lipowitz waren schon mal Radtouren quer durch die Alpen und Pyrenäen. Jedermann-Rennen fuhr er aus Spaß, im Alter von 18 gewann er den äußerst anspruchsvollen Engadiner Radmarathon.
Eine Handvoll Jahre später ist Lipowitz nun Siebter bei der mit über 61.500 Höhenmetern härtesten dreiwöchigen Rundfahrt der vergangenen Jahre. Er glänzte als Helfer des Gesamtsiegers Primoz Roglic und zeigte auch in der letzten Woche noch konstante Leistungen. Da stellt sich die Frage: Was kann da noch kommen?
Geschke freut sich «mega»
Sein Team versucht, Lipowitz aus dem Rampenlicht herauszuhalten. Und auch erfahrene Kollegen wie Maximilian Schachmann bremsen die Erwartungen. «Ich wäre vorsichtig, auch ihm gegenüber», sagte der Berliner. «Um da mitzufahren, muss man richtig treten können und das kann er. Er fährt richtig konstant. Das Potenzial ist also da. Aber ich würde erst einmal eins, zwei Jahre ruhig bleiben.»
Seit den Ullrich-Zeiten ist die Sehnsucht in Deutschland nach einem starken Rundfahrer enorm. Emanuel Buchmann fuhr bei der Tour de France und dem Giro d'Italia in die Top Ten, wurde oft von Verletzungen ausgebremst. Lennard Kämna wurde Neunter des Giro 2023, kämpft sich aktuell nach einem schweren Unfall zurück.
«Es freut mich mega, dass Deutschland wieder ein Rundfahrt-Talent hat. Die besten Jahre müssten statistisch gesehen noch kommen», sagte Routinier Simon Geschke. Doch der Routinier, der am Ende des Jahres seine Karriere beendet, weiß eben auch, dass es nicht immer bergauf gehen kann. Die Basis für eine große Zukunft ist bei Lipowitz da, doch die nächsten Schritte werden ebenso entscheidend sein.