Rücksicht auf niemanden

Rücksicht auf niemanden

Ob es auf Thai ein Wort für Rücksichtnahme gibt, weiß ich nicht. Aber Rücksichtnahme habe ich in diesem Land nur selten beobachtet. Im Supermarkt an der Kasse: Ich bin dran. Da legt ein Thai einen Schein hin, kassiert das Wechselgeld und ist weg. Der nächste macht es genauso.

Als der Dritte es ebenfalls so probiert, nehme ich seinen Schein, drücke ihm diesen in die Hand und sage: „Now it’s my turn“. „Sorry“, antwortet er ohne jede Emotion. Er hatte sich wohl nichts dabei gedacht. Als ich am Busbahnhof den Bus nach Bangkok betreten will, werde ich zur Seite gedrängt. Alle drängeln sich vor. Ich frage mich, wo der angebliche Respekt vor dem Alter geblieben ist. Okay, ich bin einer der Letzten, der sich, bevor die Tür geschlossen wird, in den Bus quetscht. Nach einigen Minuten steht eine junge Thai auf und bietet mir ihren Platz an. Immerhin ein Lichtblick. Am Check-in-Schalter auf dem Flugplatz stand nur ein Koffer vor mir. Plötzlich wurden daraus mehr als zwanzig. Eine Reisegruppe. Also wartete ich geduldig fast eine Stunde bis ich endlich mein Gepäck aufgeben konnte. Dass da ein alter Mann stand, der sich nur mit Mühe auf seinen Beinen halten konnte, das nahm niemand zur Kenntnis. Aber all das waren Peanuts gegen das, was mich erwartete, als ich mich aufgrund einer Operation im Rollstuhl bewegen musste. Dabei erinnerte ich mich, dass Pattaya sich seit einigen Jahren mit der Auszeichnung ziert, eine rollstuhlfreundliche Stadt zu sein. Das ist kein Witz. Das ist reiner Zynismus! Wo befindet sich in Pattaya der barrierefreie Weg für Rollstuhlfahrer? Ich habe ihn nicht entdeckt. Alle paar Meter ist der Weg zugebaut mit Pollern oder Strommasten mitten auf dem Fußgängerweg. Ich weiche auf die Straße aus, vorbei an parkenden Motorrädern. Ich muss mich bis auf die Mitte der Straße vorwagen. Kein Auto hält an. Nach einiger Zeit schaffe ich es zurück auf den Fußweg. Allerdings benötige ich dafür die Hilfe eines Passanten. Danke! Für die 300 Meter bis zum Restaurant brauche ich fast eine Stunde. Zwischendurch muss ich immer wieder auf die Straße ausweichen, weil nicht nachvollziehbare Gründe dazu geführt haben, dass der Fußweg zugebaut wurde. Aus Gedankenlosigkeit oder Rücksichtslosigkeit? Wer kontrolliert diese Bauleute? Offensichtlich niemand. Endlich wohlbehalten bei dem von Freunden empfohlenen Restaurant angekommen – es heißt „8 Jomtien“ – stehen vier Stufen im Wege. Die gesamte Belegschaft trabt an, um mich mit meinem Rollstuhl in die halboffene Gaststätte zu hieven. Der Rückweg war schwieriger. Es war Wochenende. Mehrfach bestand die Gefahr, von irgendwelchen rücksichtslosen Verkehrsteilnehmern überrollt zu werden. Wo, frage ich mich, sind die Mitarbeiter des Rathauses, die den Verkehrsstrom überwachen und dabei auch ein Auge haben für die Bedürfnisse der Rollstuhlfahrer? Im Urlaub oder schon im Ruhestand? Erinnert sich überhaupt noch jemand im Rathaus an die - wie auch immer zustande gekommene Auszeichnung – „rollstuhlfreundliche Stadt“? Ob eine Rollstuhl-Demo vorm Rathaus Abhilfe schaffen könnte. Nein, zu gefährlich. So bleibt nur mein Ratschlag an alle Rollstuhlfahrer in aller Welt, die keine Selbstmordabsichten hegen: Freunde, fahrt hin, wohin ihr immer wollt, aber nicht nach Pattaya!

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Leserkommentare

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Juergen Bongard 14.08.19 14:37
Ein Rollstuhlfahrer
in Thailand hat sicherlich seine Probleme. Grundsätzlich kann ich mich über die Freundlichkeit der Thais nicht beschweren. Im Gegenteil. Ich lebe im Isaan nahe Ubonratchathani auf dem Grundstück meiner Ehefrau. Hierist es so wie in allen Ländern: Wie man in den Wald ruft - schallt es heraus. Ich grüsse freundlich überall, wo man sich begegnet. Oft kommt diese Freundlichkeit zuerst durch nettes Lächeln von den Thais. Als letztens mein PKW nicht ansprang, fuhr der Sohn des Nachbarn -war gerade zu Besuch- mit seinem Motorrad zu einen Bekannten ein Anschlusskabel besorgen. Erst als der Wagen wieder ansprang, war er auch zufrieden. Solche Geschichten kann ich einige erzählen. Die gegenteilige Meinung hier kann ich mir nur erklären, dass man sich für etwas Besonderes hält.
Thomas Knauer 12.08.19 19:11
Ich würde jetzt Thailand einem allein reisenden Rollstuhlfahrer sicher nicht als geeignetes Ziel empfehlen, mit personeller Unterstützung eher aber auch nicht uneingeschränkt. Das trifft aber auf viele von mir bereiste Länder zu.
Rücksicht wird durchaus in Thailand genommen, aber nach anderen als uns bekannten Maßstäben. Innerhalb der Familie ist es selbstverständlich das der Ältere immer rücksichtsvoll behandelt wird, vor allem im Beisein von Dritten, ist er doch der in der Hierarchie höherstehende. Außerhalb der weitverzweigten Familie wird nur da Rücksicht geübt wo ich auf Grund der sozialen Rangordnung dazu verpflichtet bin oder es mir einen direkten monetären Vorteil bringt.
Jürgen Franke 12.08.19 03:30
Herr Krüger hat einige Punkte genannt,
die ihn offensichtlich gestört haben. Aber ganz wesentlich war ihm darzustellen, mit welchen Schwierigkeiten man als Behinderter Rollstuhlfahre in Thailand zu rechnen hat. Die Gehwege sind teilweise eine Katastrophe für Rollstuhlfahrer in Thailand. Und diese Behinderung, Herr Ronaldo haben sie in Deutschland mit Sicherheit nicht.
JoHu 11.08.19 21:07
Eventuell fehl am Platz?
Bei manchen Kommentatoren vermute ich, dass Thailand nicht der richtige Wohnsitz für sie ist. Natürlich gibt es auch hier einige Rüpel, aber insgesamt habe ich absolut positive Erfahrungen gemacht. Wer sich als DACH-Farang schon über alle möglichen Kleinigkeiten aufregt, macht sich nur selbst kaputt. Da frage ich mich, warum sie hier leben wollen. Es wäre doch logischerweise angesagt, postwendend in ihr geliebtes Heimatland zurückzukehren, wo alles viel viel besser ist!
Jurgen Steinhoff 11.08.19 16:24
Rücksichtsvolle Thais in Pattaya?
Ja und nein, kann eigentlich nicht klagen. Eine Ecke egoistischer sind die Chienesen zum grossen Teil, obwohl es da auch Ausnahmen gibt. Aber im Grossen und Ganzen gibt es mehr Rücksicht in Thailand als in China! Dass die Autos vor den Fussgängern immer Vorfahrt haben, ist eine andere Sache und scheint ein asiatisches Problem zu sen.
Ronaldo 11.08.19 13:53
Ich empfehle dem Autor einen Deutschland-Besuch!
Zum ersten mal teile ich CEffs Meinung überhaupt nicht. Gerade erst letzte Woche fiel mir in BKK auf: selbst in hoffnungslos überfüllten Skytrains und MTRs wird größtenteils Rücksicht genommen und sich verhältnismäßig gesittet verhalten (auch gegenüber Rolstuhlfahrern). Falls der Autor mal richtiges rüpelhaftes Benehmen kennenlernen will, empfehle ich ihm den Besuch deutscher Metropolen, am besten zur rush hour. Meine persönlichen Rüpel-Favoriten: Berlin, Leipzig, Dresden.
Jürgen Franke 11.08.19 11:11
Ich erlaube mir zu ergänzen,
dass ich mit Thais, mit denen ich persönlich in Berührung komme, keine Schwierigkeiten habe, da sie überwiegend freundlich und nett sind.
Jürgen Franke 11.08.19 11:11
Herr Hagemann, In Patong fährt ein VAN
als Taxe. Wenn der steht öffnet der die Heckklappe hinter der sich vier große Lautsprecher befinden, zur Beschallung der Straße vor den Hotels.
Uwe Hagemann 11.08.19 10:17
Nein Rücksichtnahme ist auch auf dem Lande im Isan unbekannt.
Der Nachbar der morgens um 6:00 seine Lautsprecher aufreißt.
Im Umkreis wird rücksichtslos der Plastikmüll verbrannt.
Vom anderen Nachbar hängt die auf Bambusstangen zusammen getüdllelte offene Stromleitung über mein Grundstück.
Wenn jedoch ich als Farang was sage, bin ich der Böse.
Jens Schinke 11.08.19 00:13
Unverständlich...
Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man in Pattaya lebt und sich dann über die rücksichtslose Gesellschaft mokiert!
1. Pattaya ist kein Ponyhof sondern eine Geldmaschine!
2. es gibt viele traumhaft schöne Städte in Thailand, wo man noch Rücksicht nimmt...
3. Das ist die heutige Generation von Egoisten, die wir selbst gross gezogen haben! Das ist in Europa nicht anders!
Jürgen Franke 10.08.19 23:15
Herr Krüger, da mir bekannt ist, dass Sie schon
länger in Thailand zu Hause sind, überraschen mich Ihre Zeilen sehr, denn das was Sie sehr ausführlich schildern, halte ich für den Alltag in Thailand. In Pattaya war ich vor fünf Jahren das letzte Mal, aber die drastisch geschilderte Situation könnte ich Ihnen von Patong exakt genauso beschreiben. Glücklicherweise bin ich körperlich nicht behindert, so dass ich lediglich die Rollstuhlfahrer bedaure, die immer wieder Möglichkeiten suchen, um sich einigermaßen fortbewegen zu können, denn Bürgersteige sind eben keine Gehwege, sondern Parkplätze für Mopeds.
Gerhard Staender 10.08.19 22:58
Diese Darstellung ist masslos übertrieben. Ich finde, dass Thais freundlich sind, wenn man ihnen auch so begegnet . Ganz einfach. Aber die meisten Farang begegnen sich ja leider untereinander schön mürrisch und misstrauisch . Und jammern ständig. Vielen fehlt Struktur.
Mike Dong 10.08.19 22:54
Untereinander haben die Thai schon "Greng Jai", aber doch nicht für einen Farang. Es ist wie es ist. Man kann die Leute hier eben nicht ändern.
Phi Nott 10.08.19 17:15
aber
so gut wie nie angewandt.
Phi Nott 10.08.19 17:15
Soweit ich weiss
wird im thailändischen für "Rücksichtnahme" der Begriff "Greng djai" benutzt.