Paris erinnert an Kommune vor 150 Jahren

​Rote Fahne statt Trikolore

Ansicht des Krematoriums auf dem Friedhof Pere Lachaise, Paris. Foto: epa/Horacio Villalobos
Ansicht des Krematoriums auf dem Friedhof Pere Lachaise, Paris. Foto: epa/Horacio Villalobos

PARIS: In Paris kommt es 1871 zum Umsturz. Die «Commune de Paris» betritt Neuland - und geht in einem Blutbad unter. Die Hauptstadt stellt sich eineinhalb Jahrhunderte später einem schwierigen Erbe.

Dramatische Tage in Paris: Vor 150 Jahren errichteten Einwohner Barrikaden und widersetzten sich der Zentralregierung des bürgerlichen Politikers Adolphe Thiers. Der Aufstand vom 18. März 1871 war nicht von langer Hand vorbereitet, sondern verlief weitgehend spontan ab.

Anlass war ein riskanter Schachzug der Regierung: Sie wollte nach der Niederlage des Landes im Deutsch-Französischen Krieg zahlreiche Kanonen sicherstellen. Diese waren vor allem im nördlichen Stadtbezirk Montmartre abgestellt.

Thiers floh an diesem turbulenten Tag ins nahe gelegene Versailles. «Vive la République! Vive la Commune!» («Es lebe die Republik! Es lebe die Kommune!») - diese Rufe waren auf den Straßen zu hören. Das sogenannte Zentralkomitee der Nationalgarde - dies war eine Bürgermiliz - übernahm das Rathaus der Millionenstadt.

Ende März wurde dann die «Commune de Paris» offiziell proklamiert. Sie galt als erstes Gemeinwesen von Arbeitern und radikalen Bürgern. Der Philosoph und Kapitalismus-Kritiker Karl Marx verfolgte die Ereignisse in Frankreich genau und nannte die Kommune eine «Regierung der Arbeiterklasse».

Sichtbares Symbol war die rote Fahne - die Trikolore wurde als «bürgerlich» abgelehnt. Die Kommune betrat sozialpolitisches Neuland und begründete damit einen Mythos, der lange weiterlebte. Zu den Reformen gehörten die Trennung von Kirche und Staat, das Verbot der Nachtarbeit für Bäcker oder der unentgeltliche allgemeine Schulunterricht.

Anlässlich des runden Jubiläums erinnert die Stadt Paris an die revolutionären Tage, die damals weltweit beachtet wurden. Wegen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen sind Ausstellungen und Hommagen in den kommenden Wochen vor allem unter freiem Himmel geplant. Im Rathaus der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo werden die Kommune und ihr Erbe durchaus positiv gesehen.

Werte und Forderungen wie die Gleichstellung von Frauen und Männern oder das Bürgerrecht für Ausländer seien weiter aktuell, resümiert Laurence Patrice. Die für Gedenkveranstaltungen zuständige Vize-Bürgermeisterin macht aber deutlich, dass die Hinterlassenschaft eines blutigen Bürgerkrieges alles andere als einfach ist: Beim Erinnern gehe es nicht darum, Gewalt und Ausschreitungen zu verherrlichen oder unter den Tisch zu kehren.

Gewalt habe es auf allen Seiten gegeben. «Viele Kommunarden haben nach 72 Tagen bei den Hinrichtungen mit ihrem Leben bezahlt», bilanziert Patrice mit Blick auf die brutale Niederschlagung der Kommune.

Bei den Kämpfen in der «blutigen Woche» vom 21. bis 28. Mai 1871 schossen Regierungssoldaten wahllos auf Verdächtige - Männer, Frauen und auch Kinder. Die Kommunarden töteten ihrerseits Geiseln und legten Feuer. Zahlreiche bekannte Bauten, darunter die Tuilerien, das Schloss der französischen Könige, oder das Rathaus gingen bei der Verteidigung der Stadt in Flammen auf. 147 Aufständische wurden an einer Mauer auf dem Friedhof Père Lachaise im Osten der Kapitale erschossen. An der von einigen Blumen geschmückten «Mur des Fédérés» (etwa: «Mauer der Verbündeten») erinnert eine große Tafel an die Toten.

Es gab nach Angaben der Stadt Paris allein 20.000 Opfer unter den «Communards». Von den Verurteilten wurden Tausende in das pazifische Überseegebiet Neukaledonien gebracht. Unter ihnen war die Lehrerin und Revolutionärin Louise Michel (1830 bis 1905), die sich auch als Autorin einen Namen machte. Sie blieb sieben Jahre in Neukaledonien.

Hätte es den Aufstand und die Kommune auch ohne den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland gegeben können? «Die Idee der Kommune gab es schon vorher», antwortet der Historiker Hugo Rousselle. Die Krieg habe das Entstehen der Kommune aber erst ermöglicht: «Kriege führen häufig zu Bürgerkriegen», bilanziert er.

Die Entwicklung sei ganz im Sinne des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck verlaufen, denn Franzosen hätten gegeneinander gekämpft. Das neu gegründete Deutsche Reich spielte im Frieden vom Frankfurt vom 10. Mai 1871 seinen militärischen Erfolg voll aus. Frankreich musste das Elsass und Teile Lothringens abtreten. Zudem wurde eine Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Francs fällig.

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