Risse im Paradies

Risse im Paradies

Über Deutschland fegte gerade Sturmtief „Eberhard“ hinweg, riss Dächer von den Häusern und legte Bäume um, als eine Boeing mit Eberhard Kessler an Bord auf dem Flughafen Suvarnabhumi aufsetzte, in dem Land, das er nach langem Überlegen als das Land seiner Zukunft ausersehen hatte: Thailand, sein neues Paradies.

Er hatte ein Non-O- Immigrant-Visum in Deutschland erworben und ein kleines Vermögen, letzteres nicht ganz legal. Beides trug er bei sich, als er die Immigration und den Zoll passierte. Sein Ziel war Pattaya. Hier lebte er in vollen Zügen und gab sein Geld fast so schnell aus, wie er es sich angeeignet hatte. Ein kurzer Überschlag genügte, um ihn davon zu überzeugen, dass er in spätestens einer Woche mittellos sein würde. Und dann? Plötzlich schien es ihm, als hätte das Paradies Risse. Er begriff augenblicklich, dass man auch im Paradies für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Auf diese Idee war er vorher noch nie gekommen. Mehrere Kumpel, die er auf ein Bier eingeladen hatte, bestätigten ihm die traurige Tatsache. In einem Paradies, so weit reichte Eberhards Wissen, musste man sich nur von Äpfeln fernhalten. Aber arbeiten? Was denn? Er hatte doch nichts gelernt außer gelegentliche Gaunereien. Auf sein Jammern erwiderte einer der Kumpel, durch Arbeit sei hier noch keiner reich geworden. Eberhard spitzte die Ohren. „Hierzulande leben einige Leute in Saus und Braus, die hatten Glück. Andere landeten im Gefängnis. Sie hatten weniger Glück und wurden bei ihren krummen Geschäften erwischt.” „Was für Geschäfte?“ wollte Eberhard wissen. „Es gibt drei Möglichkeiten um hier reich zu werden“, erklärte einer seiner Kumpane, „Korruption, Menschen- oder Drogenhandel.“ Aha! Damit kannte Eberhard sich nicht aus. Seine Betrügereien waren bislang stets über Banken gelaufen: Falsche Schecks, faule Kredite oder gefälschte Karten und Unterschriften. Eberhard dachte lange nach. Dann vermietete er das Apartment, das er eigentlich für sich gemietet hatte, an einen frisch eingeflogenen Holländer Er schlug das Doppelte auf den Mietpreis auf und verlangte vier Monatsmieten Kaution. Wie gesagt, dieser Mieter war gerade zum ersten Mal in Thailand angekommen und hatte keine Ahnung von den Preisen.

Stattdessen bekam er einen gefälschten Mietvertrag und bedankte sich bei Eberhard für dessen selbslose Hilfe. Der flog noch am selben Tag nach Phuket. Der Erste, der ihn auf Phuket ansprach, war ein etwa vierzigjähriger Thai, der ihm Drogen verkaufen wollte. „Wieviel hast du denn?“ fragte er den Dealer. „Ich kann jede Menge besorgen“, antwortete der. Eberhard hatte in Sekundenschnelle seine Chance erkannt: „Okay, dann besorg so viel, wie du bis übermorgen herbeischaffen kannst, Übergabe gegen cash, 17 Uhr, direkt hier neben der Tankstelle.“ Danach begab er sich zur Polizeistation, verlangte den Chef zu sprechen, sagte, er habe Informationen über eine größere Drogenlieferung und fragte, was die Polizei bereit sei für diese Information zu zahlen. Zunächst weigerte sich der Offizier, mit Eberhard über Geld zu verhandeln, aber als der ihm seine Situation schilderte, sagte er ihm eine Entschädigung zu, abhängig von der Menge der Drogen und natürlich nur für den Fall, dass die Polizei die Ware übernehmen könne.

Zwei Tage später: Eberhard stand kurz vor fünf mit einem neutralen Motorrad mit Sozius, das die Polizei bereitgestellt hatte, unauffällig neben der Tankstelle und wartete. Mehr als ein Dutzend Polizisten hatten sich in und hinter der Tankstelle versteckt. Um Punkt siebzehn Uhr hielt ein blauer Mercedes mit rotem Nummernschild neben ihm. „Money!“ riefen sie. Eberhard zog ein Geldbündel aus einem Sack, den die Polizei für ihn präpariert hatte. „Okay.“ Die beiden Männer begannen, die Pakete aus dem Laderaum des Mercedes in den Sozius zu befördern. Sie arbeiteten effektiv, ohne ein Wort zu sagen. In diesem Augenblick stürmten die Polizisten aus allen Richtungen auf sie zu. „Polizei! Hände hoch“! Es fiel kein Schuss. Schon schnappten die Handschellen zu. Der Polizeichef erschien und drückte Eberhard die Hand: „Gut gemacht“, sagte er auf Englisch. „Wir sehen uns später auf der Wache, wenn wir alles überprüft haben.“ Dann fuhren sie mit der Ware, dem Mercedes und den Dealern davon, vergaßen auch nicht, den Sack mitzunehmen, in dem sich außer wertlosen Papierpäckchen nur ein kleines Geldbündel befand. Eberhard ahnte nicht, was der Händedruck des Chefpolizisten für ihn bedeuten sollte, denn der Thai, mit dem er diesen Deal eingefädelt hatte, befand sich in der Nähe und hatte alles beobachtet. Eberhard grinste fröhlich vor sich hin. Sein erstes Geschäft im Paradies würde es ihm ermöglichen, einige Zeit hier gut zu leben. Gerade wollte er sich aufs Motorrad schwenken, als ihn ein Schuss traf. Tödlich getroffen sank er zu Boden.

Und das Fazit? Wer glaubt, im Paradies ohne zu arbeiten und ohne Geld trotzdem gut leben zu können, sollte das Paradies besser meiden. Denn im Garten Eden, den Adam und Eva wegen eines Apfels einst verlassen muss­ten, haben sich längst Mafiosi und Kriminelle aus aller Welt breit gemacht. Auf einen Toten mehr oder weniger kommt es hier nicht an.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Mike Dong 30.06.19 19:56
Ist ja gar nicht an den Haaren herbeigezogen. Trotzdem kurzweilig.