Conte gewinnt auch die zweite Vertrauensfrage

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte spricht vor dem Senat in Rom. Foto: epa/Alessandro Di Meo
Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte spricht vor dem Senat in Rom. Foto: epa/Alessandro Di Meo

ROM: Zwei Machtproben in nur zwei Tagen: Italiens Regierung fährt zwei wichtige Siege bei Vertrauensfragen im Parlament ein. Trotzdem kann Ministerpräsident Conte nicht entspannt in die Zukunft blicken - seine Mehrheit bleibt schwankend.

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte hat am Dienstag auch die zweite Vertrauensfrage im Parlament gewonnen. Knapp eine Woche nach dem Bruch seiner Mitte-Links-Koalition im Streit über Corona-Hilfsgelder erhielt er im Senat in Rom eine Mehrheit von 156 Stimmen. Er erreichte in der kleineren Kammer damit zwar sein Minimalziel des Machterhalts, verfehlte aber eine absolute Mehrheit. 140 Senatoren stimmten gegen den parteilosen Regierungschef.

Am Montagabend hatte Conte bereits ein erstes Vertrauensvotum in der größeren Abgeordnetenkammer gewonnen - dort mit absoluter Mehrheit. Die Regierung war durch den Auszug der Kleinpartei Italia Viva des früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi am 13. Januar geplatzt. In dem Streit ging es um den Einsatz von EU-Hilfsgeldern in der Corona-Pandemie.

Die zwei Siege bei den Vertrauensfragen bedeuten einen Erfolg für den 56-jährigen Juristen Conte. Aber eine stabile Koalition in Rom ist damit noch nicht in Sicht. Viele Beobachter sagten der künftigen Minderheitsregierung schwierige Zeiten voraus.

Conte hatte in Reden in beiden Häusern dafür geworben, dass andere Politiker aus europafreundlichen, liberalen oder sozialistischen Lagern für seine angeschlagene Regierung stimmen sollten. Sie besteht derzeit aus der Fünf-Sterne-Bewegung, den Sozialdemokraten (PD) und einer anderen Klein-Partei. «Die Zahlen sind wichtig, und heute sind sie das auf besondere Weise, aber noch wichtiger ist die Qualität des politischen Projekts», sagte er am Dienstag.

Auch sein Kontrahent Renzi (46), der einen Senatorensitz hat, meldete sich in der rund elfstündigen Debatte zu Wort. Renzi warf Conte falsche Konzepte im Kampf gegen die Pandemiekrise vor. Der Regierungschef klebe sogar ohne Mehrheit an seinem Posten. «Man hat uns gesagt, dass wir alles verlieren werden», sagte Renzi. «Ja, aber wir haben gelehrt, dass man auf den Ministerstuhl verzichten kann, aber nicht auf Ideen.»

In Rom wird erwartet, dass die Regierung in den nächsten Tagen und Wochen versuchen dürfte, die Basis ihrer Macht zu sichern. Sie könnte planen, Unterstützer aus den Vertrauensfragen fester an sich zu binden. Conte bot «willigen» Anhängern anderer politscher Gruppen offensiv die Mitarbeit an.

Die kleine Kammer hat 321 Sitze, es gibt 315 gewählte Mitglieder und 6 Senatoren auf Lebenszeit. Eine absolute Mehrheit ist dort mit 161 Stimmen erreicht. Italia Viva hatte vorab Enthaltungen angekündigt.

Die seit 2019 herrschende Koalition hatte sich an der Frage der Verteilung von Corona-Hilfen der EU entzweit. Italia Viva hatte verlangt, dass Rom Gelder des europäischen Rettungsschirms ESM beantragen solle. Das lehnte Conte ab, der der Fünf-Sterne-Bewegung nahe steht.

Die Bewegung sträubt sich trotz aller Finanznot in Italien gegen ESM-Kredite. Sterne-Politiker sehen sie nach der Erfahrung aus der Finanzkrise 2008 als Instrument der Einmischung Brüssels.

Conte ist seit Mitte 2018 Regierungschef. Er hat schon einen Koalitionsbruch überstanden. Den hatten 2019 Matteo Salvini und dessen rechte Lega angezettelt.


Italiens Premier Conte und die Minen auf seinem Weg
Petra Kaminsky und Johannes Neudecker (dpa)

ROM: Italiens Regierung versucht, sich über Wasser zu halten. Im Parlament gewinnt Premier Conte eine entscheidende Schlacht. Doch eigentlich kann das Land angesichts vieler Probleme den Machtpoker gar nicht gebrauchen.

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte und seine Regierung sprechen in der Corona-Krise viel von stabilen Verhältnissen. Trotz zwei gewonnener Vertrauensabstimmungen in rund 24 Stunden und einem dramatischen Machtpoker steuert die Mitte-Links-Koalition in Rom aber eher durch unsicheres Fahrwasser. «Ich für meinen Teil versichere meine maximale Bereitschaft und Verpflichtung, mit dem Beitrag aller, die Erneuerung des Landes in dieser entscheidenden Phase zu lenken», sagte Conte am Dienstag im Senat, der kleineren Parlamentskammer.

Zunächst hatte das größere Abgeordnetenhaus am Montag Contes Mitte-Links-Bündnis das Vertrauen ausgesprochen - fünf Tage nach dem Auszug der Splitterpartei Italia Viva aus der Koalition. Dass Contes Bündnis die absolute Mehrheit erzielte, dürfte der Premier als Erfolg verbucht haben.

Zwei Ministerinnen der Italia Viva von Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi hatten vor knapp einer Woche ihre Rücktritte erklärt und damit die Turbulenzen ausgelöst. Sie begründeten ihre Entscheidung mit der fehlenden Einigung im Streit um wichtige EU-Milliarden für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise.

Vor der Abstimmung im Senat am Dienstagabend war die Spannung noch größer. Dort war die Verteilung der Stimmen noch knapper. Der 56 Jahre alte Conte musste mehr denn je auf Überläufer anderer politischer Lager hoffen, um die Stimmen der Italia Viva zu ersetzen. Am Ende erreichte er mit 156 Stimmen eine Mehrheit, bei 140 Gegenstimmen. Es war jedoch nicht die absolute Mehrheit, was für zukünftige Entscheidungen, die durch den Senat gehen, ein Problem werden könnte.

Es sei schwierig, mit denen zu regieren, die ständig «Minen» auf dem gemeinsamen Weg ausstreuten, kritisierte der parteilose Anwalt Conte seine Ex-Partner in seiner Rede. Die mitregierenden Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung, der sozialdemokratischen Partito Democratico und der Mini-Partei Liberi e Uguali (Die Freien und Gleichen) stärkten dem Premier an beiden Tagen den Rücken.

Doch trotz vieler Äußerungen der Stärke aus den Koalitionsreihen wiesen italienische Medien auf zahlreiche Unsicherheiten der künftigen Mehrheitsfindung im Parlament hin. Vor dem zweiten Votum waren zudem Contes Rücktritt oder vorgezogene Wahlen nicht vom Tisch.

Dabei ist Instabilität etwas, was das 60-Millionen-Einwohner-Land aktuell am wenigsten gebrauchen kann. In Pandemie-Zeiten stehen fast täglich schwierige Entscheidungen an. «Gab es zu diesem Zeitpunkt wirklich die Notwendigkeit, eine politische Krise zu beginnen? Ich glaube nicht», sagte Conte im Senat - und gab seinem 46-jährigen Kontrahenten Renzi so erneut zu verstehen, dass dieser bei ihm abgemeldet sei. Den Oppositionsparteien, darunter auch der Italia Viva, signalisierte Conte jedoch durchaus Gesprächsbereitschaft.

Die Corona-Pandemie wütete seit Februar des vergangenen Jahres in dem Mittelmeerland heftiger als in vielen anderen europäischen Staaten. Mehr als 83.000 Menschen starben seitdem mit Sars-CoV-2. Rund 2,4 Millionen Infektionen haben die Behörden bislang registriert.

Mit dem Gesundheitsnotstand rutschte das Land zudem tief in eine gravierende Wirtschaftskrise. Durch den harten Lockdown im Frühjahr 2020 und den Teil-Lockdown seit Herbst brachen vielen Unternehmern, Ladenbesitzern und Firmen die Umsätze weg. Die Wirtschaftskraft, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), schrumpfte im vergangenen Jahr um neun Prozent, wie die Nationalbank Banca d'Italia schätzt. Der Schuldenberg des Staates wächst. Zuvor lag die Gesamtverschuldung längere Zeit einigermaßen stabil bei etwa 134 Prozent des BIP, wie die EU-Kommission im vergangenen Jahr berechnet hatte.

Contes Regierung will der Mehrfach-Krise mit einem Sanierungsplan begegnen und in Zukunftsprojekte wie die Digitalisierung investieren. Dafür braucht sie dringend die rund 210 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds. Vorher jedoch muss sie ihr Konzept dafür durchs Parlament bringen und in Brüssel vorlegen. Genau dieser Prozess war auch durch den Streit der politischen Lager gebremst worden - und lieferte nicht zuletzt einen Grund für den Austritt von Italia Viva aus der Koalition.

Obendrein muss die Regierung bald die Weichen stellen für eine der wichtigsten Personalien des Landes: Anfang 2022 endet die Amtszeit von Staatspräsident Sergio Mattarella (79). Über die Wahl des Staatschefs müssen in Rom Senat und Abgeordnetenkammer gemeinsam abstimmen - und es gelten besonders hohe Anforderungen für die Mehrheit.

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