Mieses Zeugnis für Polen und Ungarn

​Rechtsstaats-TÜV der EU 

Foto: Pixabay
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BRÜSSEL: Geht es Polen und Ungarn jetzt ans Geld? Neue Prüfberichte der EU-Kommission lassen kaum Zweifel, dass bald die ersten Verfahren zur Kürzung von EU-Geldern beginnen könnten.

Länder wie Ungarn und Polen müssen nach der Veröffentlichung eines neuen Prüfberichts der Europäischen Kommission Verfahren zur Kürzung von EU-Geldern befürchten. In der am Dienstag vorgestellten Untersuchung zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards werden den beiden Staaten Defizite bei der Unabhängigkeit der Justiz und bei der Korruptionsbekämpfung attestiert.

Mit Blick auf Ungarn ist unter anderem von unzureichenden unabhängigen Kontrollmechanismen und einem mangelnden Vorgehen gegen Klientelismus und Vetternwirtschaft die Rede. Zu Polen heißt es, es gebe Risiken hinsichtlich der Wirksamkeit der Bekämpfung von Korruption auf hoher Ebene, einschließlich der Gefahr eines unzulässigen Einflusses auf die Strafverfolgung zu politischen Zwecken.

«In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt es Anlass zu ernster Besorgnis», kommentierte die zuständige Vizepräsidentin der Kommission, Vera Jourova. Insbesondere sei dies in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz der Fall.

Relevant sind die Befunde, weil Staaten seit diesem Jahr bei bestimmten Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit EU-Gelder gekürzt werden können. Voraussetzung ist, dass wegen dieser Verstöße ein Missbrauch von Geldern aus dem Gemeinschaftshaushalt droht. In Ungarn und Polen könnte diese Voraussetzung nach dem Bericht erfüllt sein, weil eine unzureichende Korruptionsbekämpfung das Risiko birgt, dass EU-Gelder veruntreut werden.

Aus der EU-Kommission hieß es am Dienstag, dass es für die Einleitung von Verfahren für Mittelkürzungen eine gesonderte Untersuchung brauche. Der jetzt vorgelegte Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in der EU könne aber eine Grundlage dafür sein. Nach früheren Angaben sollen die ersten Verfahren noch in diesem Herbst eingeleitet werden.

Für Ungarn und Polen könnte es um erhebliche Summen gehen. Aus dem regulären EU-Haushalt erhielt Polen zuletzt mehr als 12 Milliarden Euro pro Jahr. Zudem sind für das Land derzeit rund 23,9 Milliarden Euro an Corona-Hilfen einkalkuliert. Ungarn bekam zuletzt rund 6 Milliarden Euro pro Jahr aus den Haushalt und kann eigentlich mit rund 7,2 Milliarden Euro an Corona-Hilfen rechnen.

Europaabgeordnete forderten, auf Grundlage des Berichts nun schnell Schritte gegen Ungarn und Polen einzuleiten. «Wenn wir verhindern wollen, dass sich Ungarn und Polen weiter zu Autokratien entwickeln, muss die EU-Kommission die Auszahlung von EU-Geld an Warschau und Budapest unmittelbar stoppen», kommentierte der Grünen-Politiker Daniel Freund.

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), äußerte sich ähnlich, mahnte allerdings Kürzungen mit Augenmaß an. «Wichtig dabei ist, dass diese Maßnahmen in erster Linie die Regierungen treffen und nicht die Bevölkerung», sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag).

Polen und Ungarn wehren sich derzeit bereits mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das neue EU-Instrument für Mittelkürzungen. Sie gehen davon aus, dass der sogenannte Konditionalitätsmechanismus nicht mit dem geltenden EU-Recht vereinbar ist. So dürfen aus polnischer Sicht für die Vergabe von Geld aus dem EU-Haushalt einzig «objektive und konkrete Bedingungen» gelten. Die EU habe keine Befugnis, den Begriff «Rechtsstaat» zu definieren, heißt es. Die Vorwürfe zu Defiziten in der Rechtsstaatlichkeit werden zudem kategorisch zurückgewiesen.

Im Gegensatz zu Ungarn und Polen muss die Bundesrepublik vorerst keinen Ärger wegen rechtsstaatlicher Defizite befürchten. «Das Justizsystem funktioniert weiterhin effizient», heißt es im Deutschland-Kapitel des sogenannten Rechtsstaats-TÜV. Verbesserungsbedarf wird lediglich in Bereichen wie Transparenz gesehen. So werden zum Beispiel rechtliche Lücken bei den Regeln zur Parteienfinanzierung und zu hohe Spendenobergrenzen kritisiert.

Der für Justiz zuständige EU-Kommissar Didier Reynders erklärte zur Vorlage des Prüfberichts, dass dieser im Idealfall positive Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit fördere, zumindest aber ehrliche und offene Gespräche anrege. Er selbst habe den Bericht aus dem vergangenen Jahr auch in 20 nationalen Parlamenten erörtert, sagte der Belgier.

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Leserkommentare

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Nino 21.07.21 16:40
Raus aus der EU
Es war doch ein grundsätzlicher Fehler diese Länder den Beitritt zu ermöglichen. Neben Polen und Ungarn gehört dazu auch Slowenien.
Juergen Bongard 21.07.21 14:30
@Ingo Kerp im Gegenteil. Ein Exit von Polen und
Ungarn und vielleicht einigen anderen, gleichdenkenden Ländern würde der EU gut tun. Was nützt die Masse an Ländern wenn durch innere Gegensätze die Effektivität verwässert wird? Also raus mit denen und der verbleibende Teil blüht auf. Wobei ich überzeugt bin, das die Mehrheit der Menschen in diesen Ländern eher die Regierungen rausschmeissen, statt aus der EU zu fliegen.Aber das ist deren Sache.
Hans Wopalensky 21.07.21 14:15
Unabhängige Gerichte?
Da auch n Deutschland die Regierung mittlerweile Gerichtsbeschlüsse kritisiert und bei Richtern und Sachverständigen Hausdurchsuchungen vornimmt, verstehe ich die Aufregung über Ungarn und Polen nicht.
Ingo Kerp 21.07.21 13:50
Wenn die EU die Gelder kürzen würde, koennten Polen und Ungarn damit drohen, ebenfall einen Exit vorzunehmen, der die EU im Mark erschüttern würde. Das wäre der langsame Zerfall der EU, da es dann nur noch wenige Geber- und in der Hauptsache Nehmer-Länder geben würde. Ein Mißverhältnis, das wohl nicht allen gefallen würde. Da paßt es gut, das die EU Behoerden sich derzeit um weitere 1.000 neue Mitarbeiter bemühen.
Rudolf Lippert 21.07.21 13:10
Wenn es ohnehin keine Kohle mehr gibt
Raus aus der EU so schnell wie möglich! Dann könnten diese Länder mit Russland und anderen frei zusammenarbeiten. Freedom
Beat Sigrist 21.07.21 01:30
Polen und Ungarn
Trieften langsam auf das gleiche politische System wie in Belarus / Weissrussland zu! Man ist zum Schutz oder zur Ruhigstellung der Bevölkerung wohl der EU angeschlossen. Aber im Kern dieser 2 Länder wird ganz langsam eine Diktatur aufgebaut und wenn das Ziel erreicht ist, werden die Flaggen der ganz schnell eingemottet. Jedes Jahr zwischen 5 - 10 Milliarden Euro pro Land von der EU einkassiert zum Aufbau der maroden Wirtschaft und um die Kassen der Diktatoren zu füllen.(Auch aus der Schweiz sind Beträge von über 1 Milliarde geflossen) Ich hoffe die vorgesehenen Coronagelder im Betrage von über 20 Milliarden werden sofort eingefroren für die zwei Länder. Aus humanitären Gründen könnte die EU ja eigene Impfstationen in diesen 2 Ländern einrichten und durch westliche EU Mediziner gratis Impfungen an die Bevölkerung verteilen. Damit könnte auch sichergestellt werden, dass kein einziger Euro von den Coronagelder veruntreut werden kann.