MOSKAU (dpa) - Vor fünf Jahren zwang Kremlchef Putin die USA und die EU in die Zuschauerrolle, als er mit der Einverleibung der Krim eine im Nachkriegseuropa beispiellose Geheimoperation durchzog. Aber was hat die Atom- und Rohstoffmacht auf der Weltbühne heute davon?
Die Feiern zum fünften Jahrestag der «Heimkehr» der Schwarzmeer-Halbinsel Krim zu Russland schwanken zwischen Nationalstolz und Ernüchterung. Auf der Krim hob Republikchef Sergej Aksjonow die vielen Fortschritte hervor - trotz westlicher Sanktionen und wirtschaftlicher Probleme. Vor allem aber stehe die vom Westen verurteilte Annexion heute für eine «Wiederauferstehung Russlands als große Weltmacht», schrieb er in einem Facebook-Eintrag zu den Feiern am Wochenende. Moskau hingegen begnügt sich mit einem noch bis Montag angesetzten einfachen Stadtfest ohne übermäßige Politisierung. In der russischen Hauptstadt lassen schon seit Tagen Krim-Politiker die dramatischen Ereignisse Revue passieren.
In Kurzfassung: Nach dem blutigen Ende der von den USA und der EU unterstützten Proteste in der ukrainischen Hauptstadt Kiew spitzte sich 2014 auch die Lage auf der Krim zu. Ethnische Russen riefen Kremlchef Wladimir Putin zum Schutz vor ukrainischen Nationalisten auf. Und Putin nutzte die Gelegenheit, dem Westen nach vielen so empfundenen Demütigungen mal die Stirn zu bieten. An diesem Montag lässt sich der Präsident bei einem Besuch auf der Krim einmal mehr feiern für seine Entschlossenheit.
«Sie haben unseren Schutz gewährleistet», sagt Sergej Zekow, Chef der Organisation Russische Gemeinschaft der Krim, in Moskau. Mit «sie» meint er die «freundlichen» oder «grünen» Menschen, von denen Putin später - nachdem alle Welt darüber berichtet hatte - zugab, dass es sich um russische Soldaten handelte. Eine Invasion.
Blitzschnell lief die Geheimoperation «Russischer Frühling» 2014 auf der Krim ab: am 16. März fiel bei einer international nicht anerkannten Volksabstimmung das Votum für die Vereinigung der Halbinsel und ihren rund zwei Millionen Menschen mit Russland. Eine völkerrechtswidrige Annexion. Am 18. März folgte der Vertrag. Das Expansionsabenteuer veränderte nicht nur Russland. Vor allem ist das Verhältnis zum Westen so gespannt wie zuletzt im Kalten Krieg.
Die EU und die USA beklagen einen historischen Vertrauensbruch in der europäischen Nachkriegsordnung. Sanktionen und wirtschaftliche Milliardenschäden folgten. Die Nato sah sich angesichts einer russischen Bedrohung gezwungen, im Baltikum stärker Präsenz zu zeigen. Russland und der Westen rüsten auf. Die kremlkritische Zeitung «Nowaja Gaseta» bilanziert zum Jahrestag, dass Russland mit seinem «Größenwahn» Verbündete verprellt und Entwicklungschancen verspielt habe. «Dieser Weg führt in die Sackgasse, er schwächt und marginalisiert das Land.» So flog Russland zum Beispiel aus dem Club der G8, der wirtschaftlich starken Industrienationen.
Ganz anders dagegen die offizielle Linie in Russland, das sich als wiedererstarkte Rohstoff- und stolze Atommacht von niemandem Vorschriften machen lässt. Schon lange ärgert sich Moskau über ein Vordringen der Nato bis an seine Grenzen. Die Marschrichtung seiner Politik gab Putin in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 vor. Im August 2008 kam es zum Krieg mit Georgien. Knapp sechs Jahre später die Krim-Krise.
Krim-Politiker loben indes Russland zum Jahrestag als Schutzmacht. Der frühere ukrainische Politiker Sergej Zekow, nun Senator im Föderationsrat in Moskau, meint, dass Präsident Putin damals eine historische Mission erfüllt habe. Er spricht von «Wiederherstellung der Gerechtigkeit», nachdem der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow die Krim 1954 der Ukraine übertragen hatte, «ohne die Krimbewohner zu fragen».
Kaum jemand in Russland bezweifelt heute ernsthaft, dass die neue prowestliche Führung der Ukraine die seit 230 Jahren auf der Krim stationierte stolze russische Schwarzmeerflotte davongejagt hätte. Die hatte ihren Sitz dort zuletzt mit Zustimmung der Ukraine. Für Moskau ist die Basis im Schwarzen Meer strategisch wichtig - «als unsinkbarer Flugzeugträger», wie die russische Zeitung «Komsomolskaja Prawda» in einer Titelgeschichte zum Jahrestag schrieb.
Die Krim-Bewohner zeigen sich zum Jahrestag dankbar, dass sich, anders als zu ukrainischen Zeiten, heute etwas bewege. Sie sehen Erfolge in der vergleichsweise kurzen Zeit: ein neuer Flughafen, die Krim-Brücke zum russischen Festland, neue Straßen und Kita-Plätze. Eine Eisenbahnverbindung soll bis zum Jahresende stehen, damit mehr Touristen kommen. Rund 900 Milliarden Rubel (mehr als zehn Milliarden Euro) will Russland für das Sonderprogramm Krim zwischen 2014 bis 2022 ausgeben. Andere Regionen können davon nur träumen.
Aber die Probleme der von Korruption geprägten Wirtschaft sind unübersehbar. Es fehlen Investitionen und Arbeitsplätze. Es gebe zwar soziale Unzufriedenheit und Ernüchterung, meint der Krim-Politologe Denis Baturin. Aber wo gebe es keine Probleme? Viele auf der Krim zeigen auf die schweren sozialen und wirtschaftlichen Probleme in der Ukraine auch unter der prowestlichen Führung.
In der Ukraine, die Russland als Aggressor sieht, ist die Krim-Frage vor der Präsidentenwahl am 31. März eher Randthema. Viel größer ist die Sorge wegen des blutigen Konflikts im Osten des Landes. Im Donbass kämpfen seit April 2014 aus Russland unterstützte Separatisten gegen Regierungstruppen. Tausende sind gestorben. Fast schon zynisch wirkte es da, als der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko bei seiner Pressekonferenz in Minsk den Ukrainern ihren Krim-Verlust vorhielt: «Wie viele Schüsse sind gefallen? Kein einziger! Das bedeutet, die Krim gehört Euch nicht. Wenn sie Euch gehört hätte, dann wärt Ihr für sie gestorben.»