MARBURG: Mit der Wahl des neuen «Unwortes» rückt eine sprachkritische Jury die Debatte um Flüchtlinge an der EU-Außengrenze in den Blick. Doch auch die Corona-Pandemie hat aus Sicht der Juroren wieder problematische Begriffe hervorgebracht.
Das «Unwort des Jahres» 2021 lautet in Deutschland «Pushback». Damit rügt die Jury der sprachkritischen Aktion einen Begriff aus der Migrationsdebatte.
Der englische Ausdruck bedeute zurückdrängen oder zurückschieben und sei im vergangenen Jahr von ganz unterschiedlichen Politikern, Journalisten oder Organisationen in der Diskussion um die Einwanderung über die EU-Außengrenzen aufgegriffen worden, sagte die Sprecherin der Jury, Constanze Spieß, am Mittwoch in Marburg.
Der Begriff «Pushback» wird dabei im Zusammenhang mit möglichen illegalen Zurückweisungen von Flüchtlingen an den Grenzen benutzt. Die «Unwort»-Jury kritisierte die Verwendung des Ausdrucks, «weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt wird, der den Menschen auf der Flucht die Möglichkeit nimmt, das Menschen- und Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen».
Die Nutzung eines Fremdwortes verstärke noch den Effekt, erläuterte Sprachwissenschaftlerin Spieß. Die Jury sah zudem einen unreflektierten Gebrauch des Wortes in den Medien auch bei Kritikern der Zurückweisungen.
Das Wort «Pusback» tauchte in den vergangenen Monaten etwa im Zusammenhang mit der Situation an der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus mit Tausenden gestrandeten Migranten auf. Berichten zufolge wurden jene, die es über die Grenze nach Polen schafften, sofort abgeschoben - auch dann, wenn sie um Asyl ersuchten. Experten erläuterten in den Medien die Rechtslage und nahmen dabei mitunter ebenso «Pushback» in den Mund wie Politiker.
Platz zwei der «Unwörter» in diesem Jahr belegte die Formulierung «Sprachpolizei». Die Jury wählte damit einen Begriff aus der Debatte um eine sensiblere Sprache etwa in Bezug auf Geschlecht oder Herkunft. Das Wort sei irreführend und diffamiere Personen, die sich für einen «angemessenen, gerechteren und nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch einsetzten, der bisher benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen sprachlich einschließt», befanden die Juroren.
Auch die Pandemie führte aus Sicht der mehrheitlich aus Sprachwissenschaftlern bestehenden Jury zu verbalen Auswüchsen. Sie rügte daher Vergleiche mit der NS-Zeit, die Gegner der Corona-Maßnahmen oder der Corona-Schutzimpfungen in den vergangenen Monaten zogen. Dazu gehören zum Beispiel: «Impfnazi», «Ermächtigungsgesetz» - als Bezeichnung für das Infektionsschutzgesetz - oder der Aufdruck «ungeimpft» auf gelben Sternen. Dies alles lege «völlig unzulässig» eine Ähnlichkeit zwischen den Corona-Maßnahmen und der NS-Diktatur nahe und verharmlose außerdem den Nationalsozialismus.
Das Unwort wird in Deutschland seit 1991 gekürt. Die Entscheidung trifft eine unabhängige und ehrenamtlich arbeitende Jury auf Grundlage von aus der Bevölkerung eingesandten Vorschlägen. Die Menge der Vorschläge für ein einzelnes Wort spielt dabei aber keine Rolle.
Die sprachkritische Aktion möchte mit ihrer alljährlichen Aktion nach eigenen Angaben auf unangemessenen Sprachgebrauch aufmerksam machen und so sensibilisieren. Dabei würden Wörter gerügt, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde oder Demokratie verstießen, die gesellschaftliche Gruppen diskriminierten oder die euphemistische, verschleiernde oder irreführende Formulierungen sind. Kritiker haben der Aktion vorgeworfen, als eine Art «Sprachpolizei» zu agieren oder politische Positionen in der öffentlichen Debatte moralisch zu diskreditieren.
Und die kann sinnvoll sein.