ST. GALLEN: Im Prozess um die Ermordung von drei Oppositionellen in Belarus vor 24 Jahren fällt ein Urteil gegen den Angeklagten erst kommende Woche. Der Richter des Kreisgerichts Rorschach sah sich am Mittwoch in St. Gallen in der Schweiz außerstande, die Akten im Laufe weniger Stunden zu studieren und ein Urteil zu verkünden, wie er sagte. Die Verteidigung verlangte zum Abschluss des zweitägigen Verfahrens einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Haftstrafe von drei Jahren für Juri Garawski (45), der nach eigenen Angaben an der Todesschwadron beteiligt war, die die drei Männer entführte und umbrachte.
«Für mich wäre ein Schuldspruch sehr wichtig», sagte die Tochter eines der 1999 Verschwundenen, Alena Sacharenko, der Deutschen Presse-Agentur in einer Verhandlungspause. «Es wäre das erste Mal, dass ein Gericht feststellt, dass die Morde stattgefunden haben.»
Ihr Vater, der ehemalige Innenminister Juri Sacharenko, war nach Angaben des Angeklagten Juri Garawski (Schreibweise auch Yury Harauski) 1999 in Minsk entführt und in einem Wald erschossen worden. Bei den beiden anderen Verschwundenen handelt es sich um den Ex-Leiter der Wahlkommission Viktor Gontschar und den Geschäftsmann Anatoli Krassowski. Offiziell ist ihr Schicksal bis heute ungeklärt.
Menschenrechtler sehen einen Meilenstein in dem Prozess, weil erstmals Machenschaften der autoritären Regierung von Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) vor einem Gericht zur Sprache gebracht wurden. Der Angeklagte hat Lukaschenko mehrmals bezichtigt, die Morde in Auftrag gegeben zu haben. Der Mann steht in der Schweiz vor Gericht, weil er dort Asyl beantragt hat. Die Schweiz kann nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit verurteilen, auch wenn die Taten an Ausländern im Ausland verübt wurden.
In Belarus herrscht der Agrarökonom Lukaschenko seit 1994, nach Angaben von Oppositionellen mit zunehmend brutalen Methoden. Nach den Präsidentenwahlen 2020 ließ er sich zum sechsten Mal in Folge zum Sieger erklären. Es kam zu Massenprotesten, die Lukaschenko mit Rückendeckung des engen Verbündeten Russland niederschlagen ließ. Die EU erkennt den inzwischen 69-Jährigen nicht mehr als Präsidenten an.