«Problem größer geworden»

Der Kampf des Fußballs gegen Rassismus

Andre Voigt, Blogger, Podcast und Sportexperte aufgenommen bei einem Portraittermin. Foto: Michael Kappeler/Dpa
Andre Voigt, Blogger, Podcast und Sportexperte aufgenommen bei einem Portraittermin. Foto: Michael Kappeler/Dpa

BERLIN: Ein Jahr nach den Pöbeleien gegen deutsche Nationalspieler ist Rassismus im Fußball aktueller denn je. Mehrfach rücken Vorfälle in den Fokus. Verbände und Spieler agieren mit deutlichen Worten. Doch Experten sehen noch Probleme im Kampf gegen diesen Hass.

«Wann immer Leroy Sané am Ball war, war vom Neger die Rede. Gündogan war auf einmal der Türke (...) Immer wieder Neger, Neger, Neger». Journalist André Voigt (46) ringt sichtlich mit der Fassung, als er über die verbalen Beschimpfungen von drei Zuschauern gegen deutsche Nationalspieler während des Länderspiels gegen Serbien berichtet. Genau ein Jahr ist seit der Partie vergangen, die Voigt live als Zuschauer im Stadion verfolgt und anschließend in diesem viel beachteten Internet-Video kommentierte. Seitdem sorgten immer wieder Vorfälle für Wirbel, auch heute ist Rassismus im Fußball noch ein sehr großes Problem. Was tut der Deutsche Fuball-Bund dagegen? Was ist die Rolle der Fans sowie der Zivilgesellschaft? Und wo stockt der Kampf gegen Rassismus?

Anlässlich der Internationalen Woche gegen Rassismus wählte Fritz Keller deutliche Worte für die Position des DFB. «Rassismus ist die stärkste Form von Dummheit und Ignoranz, Ausdruck eines einfachen Geistes», teilte der Verbandspräsident mit. «Wir werden nie wegschauen, sondern aufstehen und dagegen angehen!»

Mit mehreren Aktionen wendet sich der DFB gegen Diskriminierung. Rund um Spiele der Nationalmannschaft ist Rassismus aus Sicht von Rechtsextremismusforscher Robert Claus aber noch ein Problem. Hier gebe es keine Ultrakultur wie in vielen Vereinen, die dem Thema meist kritisch gegenüberstehe. «Was es stattdessen gibt, ist ein relativ fester Kreis von rund 200 rechten Hooligans, die je nach Spielanlass mit der Nationalmannschaft fahren», sagt Claus.

Ohne die Ultrakultur wie in der Bundesliga fehle jedoch das kritische Gegengewicht zu den Hools. «Das erklärt auch ein Stück weit die vielfachen Vorfälle in den letzten Jahren bei diversen Länderspielen, wo es zu rassistischen und extrem rechten Äußerungen von rechten Hools kam, beispielsweise beim Länderspiel in Prag 2017.»

Verhindern können Ultras die Pöbeleien und Diskriminierungen jedoch auch in der Bundesliga nicht. Zuletzt sorgte Mitte Februar ein Drittligaspiel zwischen Preußen Münster und den Würzburger Kickers für Aufsehen, weil Würzburgs Leroy Kwadwo von einem Zuschauer mit Affenlauten attackiert wurde. Kurz zuvor war Hertha-Profi Jordan Torunarigha beim DFB-Pokal-Spiel auf Schalke rassistisch beleidigt worden. Nachdem die B-Junioren der Berliner während einer Partie Rassismusvorwürfe äußerten und vom Platz gingen, wurde das Spiel für sie als verloren gewertet.

Als der deutsche Nationalverteidiger Antonio Rüdiger vom FC Chelsea in England mit Affenlauten diffamiert wird, habe er sich gefühlt, «als wäre ich kein Mensch, als wäre ich ein Tier». In einem Interview des «Spiegel» forderte er harte Strafen gegen die Täter, die diesen richtig weht tun.

Nach den Beleidigungen gegen Gündogan und Sané beim Länderspiel 2019 in Wolfsburg blieben zwei der drei Beschuldigten straffrei. Nach Angaben des Amtsgerichts Braunschweig erhielt lediglich ein dritter Mann eine Geldstrafe von 2400 Euro, er hatte «Heil Hitler» skandiert. Alle drei hatten eingeräumt, einige Spieler als «Neger», «Bimbo» oder «Türke» betitelt zu haben. Doch die Beleidigungen reichten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht für ein Verfahren wegen Volksverhetzung aus.

Es sei bemerkenswert, dass kaum etwas passiert sei, sagt Voigt rückblickend. «Ich weiß, was da an menschenverachtenden Dingen gefallen ist. Wenn die Beschuldigten argumentieren, dass das nicht rassistisch gemeint war, sondern als Aufforderung, besser Fußball zu spielen, weiß ich, dass das nicht stimmt.» Dass diese Aussagen keine Volksverhetzung gewesen seien, widerspreche seinem Rechtsempfinden.

Aus Sicht des DFB-Integrationsbeauftragten Cacau ist der Vorfall «intensiv genug» aufgearbeitet worden. «Von Seiten des DFB und des Sportgerichts wurde aus meiner Sicht tatsächlich alles unternommen, die Menschen zu bestrafen und sie aus dem Stadion zu verbannen», sagt der 38-Jährige.

«Das Problem Rassismus ist im Fußball größer geworden», sagt der ehemalige Nationalspieler Cacau. Zahlen, die das belegen würden, gibt es allerdings nicht. «Ein großes Problem im deutschen Profifußball ist, dass wir kein zentrales Register haben, in dem rassistische Vorfälle erfasst werden», sagt Claus. «Die Frage, ob sich die Anzahl der Vorfälle erhöht hat, kann man daher nur auf Basis von Gesprächen, Medienberichten und eigenen Eindrücken beantworten.»

Um Rassismus aus den Stadien zu verbannen, müssen laut Cacau Sofortmaßnahmen greifen und Täter schnell bestraft werden. Gemäß des Drei-Stufen-Plans des Weltverbands FIFA kann der Schiedsrichter das Spiel zunächst unterbrechen und letztendlich auch abbrechen. «Ein probates Mittel» sei dies, «wenn aus dem Publikum Spieler rassistisch angefeindet werden. Die Regelung zielt ja auch darauf ab, die Spieler und Spielerinnen zu schützen und die Schiedsrichter flächendeckend und einheitlich im Umgang mit rassistischen Anfeindungen zu schulen», sagt Cacau.

Doch einigen Beobachtern genügt dieser Drei-Stufen-Plan nicht. Damit könnten rassistische Vorfälle «immer noch zweimal passieren und es wird trotzdem nicht abgebrochen. Dann hat jemand seine rassistische Message trotzdem rübergebracht und es gab keine Konsequenzen, außer, dass das Spiel etwas länger dauerte», kritisiert Voigt.

Auch ansonsten wirken die Maßnahmen bei rassistischen Vorfällen im Fußball häufig unzureichend. Moussa Marega, aus Mali stammender Stürmer des FC Porto, verließ Mitte Februar den Platz, als er die Affenlaute und Beleidigungen der Anhänger von Vitoria Guimarães nicht tatenlos über sich ergehen lassen wollte. Der gastgebende Club wurde zu einer Geldstrafe verurteilt - in Höhe von 714 Euro.

Die notwendige Reaktion müssten nach Meinung von Voigt vor allem von den Leuten im Stadion kommen - von den Fans. Auch für Cacau sind die Anhänger «mit der wichtigste Player» im Kampf gegen Rassismus. «Die größte Herausforderung wird sein, die Täter zu identifizieren. Das schafft man aus meiner Sicht nur, wenn alle zusammen anpacken, die Fans, die Veranstalter und die Sicherheitskräfte.»

Doch aktuell ist das Verhältnis zwischen Verband und vielen organisierten Fans zerrüttet. Der Grund: Themen wie Kollektivstrafen oder die 50+1-Regel. «Wir müssen sehen, dass wir die zuletzt entstandene Lücke zwischen Verband und Funktionären und Fans wieder schließen», betont der frühere Nationalstürmer.

Auch Claus bestätigt, dass das Verhältnis zwischen Verband und Fanszenen einen entscheidenden Einfluss darauf habe, inwieweit gemeinsam gegen Rechtsextremismus gearbeitet werden könne. «Es kann sich nämlich durchaus eine radikalisierende Wirkung in Fanszenen entwickeln, wenn Fußballfans das Gefühl bekommen, keine Teilhabemöglichkeit an ihrem Sport oder ihrem Club zu haben und nur bevormundet werden. Entmündigungserfahrungen sind nicht förderlich für demokratische Entwicklungen.»

Zuletzt hatten viele Fanszenen dem Verband mangelnde Glaubwürdigkeit vorgeworfen. Auslöser von Protesten war die von den Fankurven als Kollektivstrafe empfundene Sanktion gegen die Anhänger von Borussia Dortmund, die kurz vor Weihnachten beim Auswärtsspiel in Hoffenheim wiederholt mit Beleidigungen gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp aufgefallen waren. Der DFB verhängte eine Sperre gegen Dortmunder Anhänger von zwei Jahren für Auswärtspartien bei der TSG.

Man könne nie zu 100 Prozent ausschließen, dass es rassistische Vorfälle in den Stadien geben werde, sagt Cacau. «Denn der Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. In unserer gesamten Gesellschaft sind rechtsextreme Positionen heute verbreiteter als noch vor zehn Jahren».

Hoffnung macht jedoch auch DFB-Direktor Oliver Bierhoff, dass der Kampf gegen Rassismus inzwischen auf der öffentlichen Agenda oben angesiedelt ist. «Und ich hoffe, dass das auch zu einer Reaktion führt, dass man ganz deutlich macht, dass wir das einfach nicht sehen und haben wollen. Die Gesellschaft und jeder Einzelne sind gefordert, da zu agieren», sagt Bierhoff.

Die Bundesliga hatte bereits in der Vergangenheit unter anderem Aktionsspieltage gegen Diskriminierung veranstaltet, Vereine starteten Kampagnen. Beispielsweise der FC Bayern sprach sich zuletzt mit der Aktion «Rot gegen Rassismus» gegen Hass und Ausgrenzung aus. «Wir sind aus meiner Sicht alle gefordert, dass sich das abscheulichste Kapitel unserer Geschichte nicht wiederholt», hatte Münchens Nationalspieler Leon Goretzka anlässlich der Geschehnisse von Wolfsburg betont. «Und dazu gehört auch, dass wir bei rassistischen Vorfällen nicht weg-, sondern hingucken und dafür sorgen, dass sich die Täter isolieren und im Rahmen der Gesetzgebung bestraft werden.»

Nicht nur im Profibereich, sondern auch in den unteren Ligen ist laut Cacau eine engere Zusammenarbeit vorgesehen, um Rassismus aus dem Fußball zu verbannen. «Der DFB-Masterplan schreibt vor, dass alle Landesverbände eine Anlaufstelle einrichten, wo Betroffene Gewalt- und Diskriminierungsfälle melden und aufarbeiten können. Bei einigen Landesverbänden ist diese Stelle bereits besetzt, der Rest folgt in den kommenden Monaten.» DFB-Projekte wie Fußball für Geflüchtete, Fachtage oder Gedenkstättenfahrten wie die jährliche Fahrt der U18-Nationalmannschaft nach Israel müssten zudem zwingend aufrechterhalten bleiben.

Experte Claus fordert dennoch eine konsequentere Haltung vom DFB. «Einerseits wird von Fußballfans oft Zivilcourage gefordert und gleichzeitig ist die Funktionärselite des deutschen Fußballs nicht in der Lage, die Sätze von Herrn Tönnies als rassistisch zu verurteilen.» Im Sommer 2019 waren Äußerungen des Schalke-Aufsichtsratvorsitzenden Clemens Tönnies über Afrika von vielen Seiten als rassistisch eingestuft worden. Daraufhin hatte er sein Amt für drei Monate ruhen lassen.

Man müsse an die Elite des Fußballs appellieren, damit sie sich in den entscheidenden Debatten zu Wort melden würden, so Claus. «Denn sonst verbleibt es auf der Ebene von Sonntagsreden, die real und politisch kaum Auswirkungen haben.»

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