Linken-Ikone gegen rechten Scharfmacher

​Präsidentenwahl 

Luiz Inácio Lula da Silva, former Brazilian president and presidential candidate. Photo: epa/Fernando Bizerra
Luiz Inácio Lula da Silva, former Brazilian president and presidential candidate. Photo: epa/Fernando Bizerra

RIO DE JANEIRO: Im größten Land Lateinamerikas treffen zwei Alpha-Tiere aufeinander: Der so populäre wie umstrittene Ex-Präsident Lula will Amtsinhaber Bolsonaro aus dem Amt jagen. Doch der rechte Ex-Militär denkt nicht daran, klein beizugeben. Droht eine Staatskrise?

Auf den letzten Metern vor einer drohenden Niederlage bei der Präsidentenwahl in Brasilien nutzt Amtsinhaber Jair Bolsonaro jede Gelegenheit, um das Ruder noch herumzureißen. «Wir wissen, dass wir einen Kampf des Guten gegen das Böse vor uns haben», sagt der rechte Staatschef bei der Feier zu 200 Jahren der Unabhängigkeit Brasiliens. In seiner Rede bei den Vereinten Nationen bezeichnet er seinen Kontrahenten Luiz Inácio Lula da Silva als Kriminellen. Und kurz vor der Trauerfeier für die Queen in London verspricht er seinen Anhängern sogar einen klaren Wahlsieg.

Bolsonaros Problem: In den jüngsten Umfragen kommt Ex-Präsident Lula von der linken Arbeiterpartei (PT) bei der ersten Wahlrunde am 2. Oktober auf 47 Prozent der Stimmen, Bolsonaro gerade mal auf 31 Prozent. Auch in der Stichwahl deutet alles auf einen deutlichen Sieg von Lula hin. Für die neun weiteren Kandidaten bleibt angesichts der starken Polarisierung praktisch kein Platz.

Angesichts des klaren Trends sorgt Bolsonaro schon einmal vor. Ähnlich wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump streut er immer wieder Zweifel am Wahlsystem und kündigte bereits an, eine Niederlage womöglich nicht anzuerkennen. Anhänger fordern unverhohlen einen Militärputsch zugunsten von Bolsonaro. «Dafür gibt es aber keine Mehrheit, noch nicht mal bei den Streitkräften», sagt Professor Marco Antônio Teixeira von der Stiftung Getúlio Vargas in São Paulo der Deutschen Presse-Agentur. «Wir haben eine starke Zivilgesellschaft und vielfältige wirtschaftliche Interessen. Ein Staatsstreich würde nicht in die heutige Zeit passen.»

Dennoch ist die Stimmung aufgeheizt. In den vergangenen Monaten wurden mindestens zwei Lula-Anhänger von mutmaßlichen Bolsonaro-Fans getötet. Ein Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstituts wurde von einem mutmaßlichen Bolsonaro-Anhänger angegriffen. «Es besteht ein großes Risiko, dass es während und nach den Wahlen zu Gewalt kommt, insbesondere von Wählern, die mit der Niederlage ihres Kandidaten unzufrieden sind», sagt der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Universität Rio de Janeiro der dpa. «Wir haben bereits mehrere Fälle von Aggression erlebt, und das wird wahrscheinlich auch weiterhin so sein.»

Bolsonaros Wählerbasis sind die konservativen Evangelikalen, die Waffenlobby und die mächtigen Landwirte. Die Ideologie des Rechtspopulisten wurde oft als «Bala, Boi e Bíblia» (Kugel, Vieh, Bibel) beschrieben. Für seine Anhänger ist er das letzte Bollwerk gegen den Kommunismus, seine Gegner halten ihn für einen Protofaschisten. Während der Pandemie leugnete er das Coronavirus und zog Impfungen in Zweifel. Mehr als 680.000 Menschen starben in Brasilien im Zusammenhang mit Covid-19. Das Gesundheitssystem brach zusammen, Massengräber wurden ausgehoben. Lula nennt seinen Gegner wegen dessen zögerlicher Corona-Politik einen Völkermörder.

Lula, Ikone der Linken, setzt im Wahlkampf vor allem auf Nostalgie. Der Sohn armer Eltern und ehemalige Gewerkschaftsführer regierte Brasilien bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010. Wegen der hohen Rohstoffpreise und der starken Industrie boomte Brasilien damals. Mit Sozialprogrammen holte er Millionen Menschen aus der bittersten Armut. Jetzt verspricht er nicht weniger, als Brasilien zu retten.

Allerdings blühte während Lulas Präsidentschaft auch die Vetternwirtschaft in der größten Volkswirtschaft der Region. 2018 wurde er selbst wegen Korruption zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hob ein Richter die Urteile aus formalen Gründen auf - Lula erhielt seine politischen Rechte zurück.

Während der 76-Jährige bislang kaum als grüner Politiker bekannt war, präsentiert er sich jetzt als Vorkämpfer für den Umweltschutz. «Wir werden den illegalen Goldabbau beenden und sehr ernsthaft gegen die Abholzung kämpfen», kündigte er an. Kein einziger Baum müsse mehr abgeholzt werden, um Soja und Mais anzupflanzen oder Vieh zu züchten. «Er ist grüner als früher. Just wegen des internationalen Drucks - und weil er sich so von Bolsonaro unterscheiden kann», sagt Politikwissenschaftler Santoro.

Bolsonaro sieht das für das Weltklima enorm wichtige Amazonasgebiet vor allem als ungenutztes wirtschaftliches Potenzial und will noch mehr Flächen für Landwirtschaft, Bergbau und Energiegewinnung erschließen. Kritiker werfen ihm vor, ein gesellschaftliches Klima geschaffen zu haben, in dem sich Bauern auch zur illegalen Landnahme für landwirtschaftliche Nutzung ermutigt fühlen. Zudem habe er Umwelt- und Kontrollbehörden geschwächt. Derzeit toben in den Regenwäldern Brasiliens die schwersten Brände seit fünf Jahren.

«Man sieht nur Rauch», sagt die Indigene Txai Suruí, die bei der Weltklimakonferenz in Glasgow sprach, der dpa. «Je näher die Wahl kommt, umso gefährlicher und gewaltsamer wird die Situation. Wir werden verfolgt und bedroht.» Landräuber wollen offenbar Fakten schaffen, bevor der politische Wind sich drehen könnte.

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