Polen streitet über Papst Johannes Paul II.

Brennende Kerzen auf dem Pilsudski-Platz in Warschau. Foto: epa/Radek Pietruszka
Brennende Kerzen auf dem Pilsudski-Platz in Warschau. Foto: epa/Radek Pietruszka

WARSCHAU: Vertuschungsvorwürfe gegen den 2005 gestorbenen Papst Johannes Paul II versetzen Polen in Aufruhr. Vor seiner Wahl zum Papst soll er als Erzbischof von Krakau Missbrauchstäter geschützt haben. Polens Nationalkonservative wollen seine Ehre retten - und Wähler gewinnen.

Überlebensgroß, zwei Stockwerke hoch - so erstrahlte kürzlich am Präsidentenpalast in Warschau ein Bild von Papst Johannes Paul II. Der 2005 gestorbene und 2014 heiliggesprochene Pontifex hat in seiner Heimat den Status eines Nationalhelden. Umso heftiger wird in Polen nun um diese Überfigur gestritten. Journalisten werfen Karol Wojtyla vor, er habe in seiner Zeit als Krakauer Erzbischof von sexuellem Missbrauch durch Priester gewusst und die Täter geschützt. Polens nationalkonservative Regierung schreibt sich die Verteidigung des guten Namens von Johannes Paul II. auf die Fahnen - und stilisiert die Medienberichte hysterisch zum Angriff auf die Nation.

Der Pole Karol Wojtyla war 1978 zum Papst gewählt worden und stand mehr als 26 Jahre lang an der Spitze der katholischen Kirche. Die Vorwürfe beziehen sich auf die 60er und 70er Jahre, als er Erzbischof in Krakau war. Neu sind sie nicht - bereits im vergangenen Jahr hatte die Tageszeitung «Rzeczpospolita» darüber berichtet. Doch nun kamen die Enthüllungen innerhalb weniger Tage gleich von zwei Seiten. In Polen erschien das Buch «Maxima Culpa» des niederländischen Journalisten Ekke Overbeek. Er beschreibt mehrere Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester, von denen Wojtyla gewusst haben soll. Trotzdem habe er die Täter im Amt belassen oder allenfalls versetzt.

Eine in der vergangenen Woche ausgestrahlte Dokumentation des Senders TVN24 zeichnet die Fälle von drei Priestern nach, die Kinder sexuell missbraucht hatten. Zwei von ihnen verbüßten deshalb eine Haftstrafe - trotzdem durften sie ihr Amt als Priester später wieder ausüben. In einem weiteren Fall soll Wojtyla dafür gesorgt haben, dass der Missbrauchstäter in eine Gemeinde nach Österreich versetzt wurde.

Der Dokumentarfilm stützt sich auf persönliche Gespräche, aber auch auf Akten der Kirche sowie auf Dokumente von Polizei und Geheimdienst im kommunistischen Polen. Mehrere Opfer kommen zu Wort - alle anonym. Ein Mann erklärt, er habe Wojtyla 1973 persönlich in der Krakauer Kurie von den Übergriffen eines Priesters berichtet.

Die Ausstrahlung der Dokumentation löste bei vielen Polen Entsetzen aus. Die polnische Bischofskonferenz sprach von «beispiellosen Versuchen, den heiligen Johannes Paul II. zu diskreditieren». Und die nationalkonservative PiS-Regierung witterte ein ideales Wahlkampfthema. «Ich stehe heute hier zur Verteidigung unseres geliebten Papstes», meldete sich Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in einer emotionalen Videobotschaft zu Wort. Es gebe Kreise, die versuchen würden, «in Polen nicht nur einen militärischen, sondern einen zivilisatorischen Krieg» zu provozieren.

Das polnische Außenministerium bestellte US-Botschafter Mark Brzezinski ein. Der Sender TVN24, der PiS wegen seiner kritischen Berichterstattung schon lange ein Dorn im Auge ist, gehört zur amerikanischen Discovery-Gruppe. Im Parlament brachten die Abgeordneten des Regierungslagers einen Beschluss zur «Verteidigung des guten Namens des Papstes» durch. Darin verurteilen sie die «schändliche Hetze der Medien», die sich größtenteils auf die Unterlagen des Gewaltapparats des kommunistischen Regimes stütze.

In der Tat war die katholische Kirche im kommunistischen Polen eine belagerte Festung. Manche Papst-Anhänger verteidigen den Umgang Karol Wojtylas mit Missbrauchsfällen gerne damit, dieser habe die Vorwürfe als Intrigen der Geheimdienste gegen Priester abgetan. Doch diese Verteidigungslinie sei nun nicht mehr zu halten, sagt der Publizist und Kirchenexperte Tomasz Terlikowski. «Wir wissen jetzt: Erzbischof Wojtyla wusste, dass es sich nicht um Aktionen der Geheimdienste handelte, denn zu ihm kamen die Eltern der Betroffenen.» Auch habe der damalige Krakauer Erzbischof bewusst die Entscheidung getroffen, die Täter schnell zu versetzen, bevor der Geheimdienst von den Gewalttaten erfuhr.

Schätzungen zufolge gehören in Polen knapp 33 Millionen Menschen der katholischen Kirche an - das sind mehr als 85 Prozent der Bevölkerung. Doch gerade bei jungen Leuten schwindet die Autorität der Kirche zunehmend. Nicht die Vertuschungsvorwürfe gegen Johannes Paul II, sondern vielmehr seine politische Vereinnahmung könnte weitere Menschen vergraulen, fürchtet Kirchenexperte Terlikowski. «Die radikale, blinde Verteidigung von Johannes Paul II im Geist einer kommunistischen Propaganda könnte die Säkularisierung unter jungen Menschen weiter beschleunigen.»

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