Nobelpreis an Deutschen für «Revolution» in der Chemie

Die Medaille, die dem Nobelpreisträger für Medizin, Rice, überreicht wurde, wird während einer Zeremonie in New York ausgestellt. Foto: Mary Altaffer/Pool Ap/dpa
Die Medaille, die dem Nobelpreisträger für Medizin, Rice, überreicht wurde, wird während einer Zeremonie in New York ausgestellt. Foto: Mary Altaffer/Pool Ap/dpa

STOCKHOLM: Zwei Forscher haben große Teile der Chemie grundlegend optimiert. Viele Reaktionen sind nun effizienter und präziser. Das habe zu einem Goldrausch auf diesem Feld geführt, schreibt die Nobel-Jury.

Von Solarzellen bis zu Arzneimitteln: Die Erkenntnisse der diesjährigen Nobelpreisträger für Chemie machen die Herstellung zahlreicher Produkte umweltfreundlicher und effizienter. Der Deutsche Benjamin List und der in Schottland geborene US-Forscher David W.C. MacMillan hätten mit ihrer Arbeit eine Art «Goldrausch» auf ihrem Feld erzeugt, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. Die Technik werde bei der Produktion von Tausenden von Substanzen genutzt, darunter Energiespeicher, Solarzellen, elastische und zugleich langlebige Materialien und Medikamente.

«Ihre Werkzeuge haben die Konstruktion von Molekülen revolutioniert», schreibt die Nobel-Jury. Mit den von ihnen entwickelten Reaktionsbeschleunigern (Katalysatoren) ließen sich nicht nur höhere Mengen einer Substanz herstellen, sondern auch präzisere Ergebnisse erzielen. So könne das durch Agatha Christie bekannte und auch anderweitig genutzte Gift Strychnin nun 7000-mal effizienter hergestellt werden. Zuvor habe es dabei viel Abfall gegeben. Und es gibt einen weiteren entscheidenden Vorteil der Technik.

Bei vielen chemischen Reaktionen entstehen zwei spiegelbildliche Substanzen, die sich wie rechte und linke Hand gleichen. Oft wird aber nur eine Variante benötigt, die dann kompliziert abgetrennt werden muss. Der Clou bei den sogenannten asymmetrischen Organokatalysatoren: Sie stellen überwigend nur eine der beiden Formen her. Wie entscheidend das ist, zeigte der Contergan-Skandal, da die eine Form des Wirkstoffes zu Fehlbildungen bei Kindern führte. Heute werden auch Medikamente unter anderem gegen Grippe und HIV mit den neuen Katalysatoren produziert.

Die Nobelpreisträger hätten die Konstruktion von Substanzen auf ein komplett neues Level gebracht, schreibt die Nobel-Jury. «Das hat die Chemie nicht nur umweltfreundlicher gemacht, sondern es zugleich viel leichter gemacht, asymmetrische Moleküle zu produzieren.» Die neuen Katalysatoren kämen - anders als viel ältere - ohne umweltschädliche Metalle aus.

List, heute Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, beschrieb im Jahr 2000 die asymmetrische Organokatalyse mit Hilfe des kleinen bekannten Proteinbausteins L-Prolin. Dies sei im Vergleich zu Katalysatoren aus Metallen oder Enzymen ein «traumhaftes Werkzeug für Chemiker», schreibt die Nobelstiftung. «Es ist ein sehr einfach gebautes, billiges und umweltfreundliches Molekül.» MacMiller (University of California) präsentierte noch im selben Jahr eine ähnliche Reaktion mit einem anderen Katalysator.

«Ich freue mich immer, wenn ich dazu beitragen kann, irgendwie aktuelle Medikamente herzustellen», sagte List im vergangenen Juni in einem SPRIN-D-Podcast. Sein Team habe etwa die Corona-Zeit dazu genutzt, an der Herstellung des Covid-19-Mittels Remdesivir zu arbeiten, das sehr schwierig herzustellen sei. «Wir haben eine tolle neue Synthese entwickelt, die das hoffentlich vereinfacht.» Er beschäftige sich auch mit der Herstellung von Corona-Impfstoffen. Mit der Katalyse können Forscher aber auch künstliche Substanzen produzieren, die sonst nur in seltenen Pflanzen oder Tiefseeorganismen vorkommen.

List habe «eine neue Art der Katalyse entdeckt, die es erlaubt, mit besonders hoher Effizienz neue chemische Verbindungen herzustellen - und das besonders schonend», sagte Ferdi Schüth, ebenfalls Direktor am MPI für Kohlenforschung. Die Zusammenarbeit mit dem frischgebackenen Nobelpreisträger sei hervorragend und freundschaftlich. «Das macht einfach Spaß, mit Ben hier zu arbeiten», betonte Schüth. Die Nachricht, dass List nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird, sei am Institut mit Begeisterung aufgenommen worden. «Ich bin direkt zum Empfang gegangen und habe eine Lautsprecherdurchsage gemacht. Und aus den Büros hat man nur laute Jubelschreie gehört.»

List ist bereits der vierte gekürte Nobelpreisträger innerhalb von zwei Jahren, der in Deutschland arbeitet, nach der in Berlin forschenden Französin Emmanuelle Charpentier, dem deutschen Astrophysiker Reinhard Genzel (2020) und dem Meteorologen Klaus Hasselmann (2021).

Und noch jemand freute sich über den Preis für List: Seine Tante Christiane Nüsslein-Volhard, Nobelpreisträgerin von 1995. Die Auszeichnung für ihren Neffen habe sie noch nicht erwartet. «Ben ist wirklich fabelhaft, und die asymmetrische Katalyse mit Prolin war eine bahnbrechende Erfindung. Er ist Sohn meiner älteren Schwester Heidi und ist richtig nett und gescheit.» Mit Blick auf ihre Auszeichnung mit dem Nobelpreis sagte sie: «Er war damals als Doktorand mit dabei in Stockholm und war begeistert und angespornt.»

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